Culture | Literatur Lana

"Genau sein zum Wort und zur Welt"

Literatur und Kunst müssen als Teil der Gesellschaft präsent sein, sie müssen da sein wie der Schlern und die Autobahn und die Apfelplantagen, sagt Christine Vescoli.

30 Jahre Literaturtage Lana - dieses besondere Datum feierten die Bücherwürmer in Lana mit einem 3-tägigen Programm im Schallerhof in der Vill, mit Autorenlesungen und -begegnungen, mit einem Fest und einer Exkursion ins Nonstal. "Wie eins zum andern kommt" lautete das Motto der diesjährigen Literaturtage, das einerseits an die wechselvolle Geschichte der literarischen Institution erinnern soll, als auch den Weg für zukünftige Aktivitäten bereitet. Ein Gespräch mit Christine Vescoli, der Leiterin von Literatur Lana.

 

30 Jahre Literatur Lana, was wird mit diesem besonderen Datum verbunden und gefeiert?

Christine Vescoli: Das Jubiläum feiert eine Geschichte, zu der Literatur Lana durch ein offenes Tun und durch ein beständiges Befragen der Möglichkeiten von Sprache gekommen ist. Dazu gehört eine reiche Sammlung an literarischen Stimmen und Formen und Gesprächen. Mit einem vielfältigen poetischen Reigen, der quer durch verschiedene Sprachen Europas und quer durch die unterschiedlichen Positionen der Literatur zieht, haben wir das gefeiert.  Und vielleicht haben wir auch Freundschaften, Nähen und verbindende Lesarten gefeiert, die die Literatur Lana auszeichnet. 

Das Motto lautet "Wie eins zum anderen kam" - wer kam hier zu wem, welche Fügungen hat es gegeben?

Im Laufe der 30 Jahre sind zahlreiche  Dichterinnen und Dichter durch Lana und ins Land gezogen, Begegnungen sind dadurch entstanden und Gespräche in Gang gesetzt worden und dadurch wieder nächste Ereignisse und Verknüpfungen hervorgetreten. So entsteht eine Geschichte und eine Folge von Zusammenhängen, die Spuren hinterlassen haben und eine literarische Auseinandersetzung mit der Welt zeichnen. Wer bei den Literaturtagen aus und ein ging, schrieb deren Geschichte mit und dazu gehören Schriftsteller wie H.C. Artmann, Oskar Pastior, Inger Christensen, Herta Müller, Georges Arthur Goldschmidt, Péter Esterházy, Friederike Mayröcker, Jonas Mekas, Thomas Kling, Elke Erb, Monika Rinck, Ruth Klüger u.v.a.

Man macht sich dieses oder jenes Bild und lebt diese oder jene Haltung. Literatur schärft dieses Verhältnis. Sie macht sich einen Reim darauf und findet in ihrem Reim die Sicht, mit der man in der Welt steht und Realität erfährt. 

Dass ein so kleiner und ein wenig abseits der urbanen Zentren agierender Verein 30 Jahre lang überlebt hat, ist wem oder was zu verdanken?

Wir hoffen ja nicht zu überleben, sondern zu leben. Dass das recht beschwingt gelingen kann, ist sicher einer hartnäckigen und neugierigen Arbeit zu verdanken, die einerseits die Auseinandersetzung mit Literatur in aller Leidenschaft und Ernsthaftigkeit betreibt. Andererseits lebt diese Arbeit vom kontinuierlichen Gespräch und von der Verbindung mit anderen, die das literarische Wort suchen und reflektieren. Und nicht zuletzt ist es natürlich dank der öffentlichen und privaten Hand möglich, einen solchen Ort wie die Literatur Lana als kleines Literaturhaus auf dem Lande zu pflegen und zu halten. Dafür sind wir sehr glücklich und dankbar. 

Als Verein der Bücherwürmer ist Literatur Lana gestartet, damals war man vor allem Literaturveranstalter, was ist heute wichtig in der Auseinandersetzung mit Literatur?

Literatur ist heute nicht weniger oder nicht mehr wichtig als früher. Sie ist immer ein wesentlicher Teil einer Gesellschaft. Wer sich ernsthaft darauf einlässt, pflegt ein intensives Verhältnis zu den Dingen, die im Menschen und zwischen den Menschen ablaufen und Wirklichkeiten herstellen. Zu diesen Wirklichkeiten stellt man sich ja im Laufe des Lebens in irgendeiner Weise. Man macht sich dieses oder jenes Bild und lebt diese oder jene Haltung. Literatur schärft dieses Verhältnis. Sie macht sich einen Reim darauf und findet in ihrem Reim die Sicht, mit der man in der Welt steht und Realität erfährt. Man kann in dieser Wahrnehmung nicht präzise genug und nicht wachsam genug sein. Das ist ein Teil der Auseinandersetzung mit Literatur. Man muss möglichst genau sein zum Wort und zur Welt. 

Welchen Stand und Wert hat Literatur in Südtirol? 

Die Literatur hat in Südtirol sicherlich keinen prominenten gesellschaftlichen Stellenwert. Sie ist recht untauglich für ein Nutzdenken, das in diesem Land ein gesellschaftliches und politisches Bewusstsein antreibt. Daher ist sie wohl eher ein Randphänomen. Aber diesen Rand kennzeichnet eine Lebendigkeit aus, die mittlerweile die unterschiedlichsten und vielfältigsten Ausdrucksweisen hat und sich munter artikuliert. 

Ich glaube, man kann Literatur nicht anders als andere Inhalte nur vermitteln, indem man sie als Möglichkeit der Welterfahrung offen anbietet. Es ist uninteressant, mit Literatur und Kunst als Botschaft oder Lehre oder Dekoration unter die Leute zu gehen. Literatur und Kunst müssen als Teil der Gesellschaft präsent sein, sie müssen da sein wie der Schlern und die Autobahn und die Apfelplantagen. Und irgendwann tun sie vielleicht etwas in unseren Köpfen wie bisher die Berge und die Straßen und die Apfelplantagen.