Culture | Baukultur

Eine architektonische Idylleria

Wohl nirgends sonst kann man in Südtirol die Zersiedelung in den letzten Jahrzehnten so gut mitverfolgen wie am Ritten
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Kreuzung Oberbozen/Klobenstein
Foto: Google Street View

In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

Text: Thomas Huck

 

Als Kind entdeckte ich auf dem Weg zum Wolfsgrubnersee einmal eine kleine Baustelle auf einer Wiese am Straßenrand, heute befindet sich dort schon eine ganze Siedlung. Wohl nirgends sonst kann man in Südtirol die Zersiedelung in den letzten Jahrzehnten so gut mitverfolgen wie am Ritten.

Frei nach Le Corbusier: „Ein Haus ist ein Traum, eine Million Häuser sind ein Albtraum“

„Der Besitz eines Sommerfrischhauses am Ritten“, die dritte der acht Bozner Seligkeiten, gilt wohl als Ursprung der Sommerfrische. Was als Sehnsuchtsort des Bozner Bürgertums begann und noch heute das Ziel eines jeden „Stadtlers“ ist, verbreitete sich bis in den hohen Norden, so dass heutzutage sogar der Deutsche Bundespräsident auf dem Ritten seine Sommerfrische verbringt. Doch wie es sich gehört verbringt man diese nicht in einem Hotel, sondern in einem Haus, am besten in seinem eigenen. Deshalb findet man auch an fast jedem grünen sonnigen Plätzchen mit Ausblick ein solches kleines Häuschen oder gleich mehrere. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, scheint der Ritten noch immer ein kleines Idyll, denn frei nach Le Corbusier: „Ein Haus ist ein Traum, eine Million Häuser sind ein Albtraum“ scheint die Entwicklung klar.

Ein Beispiel für diese Entwicklung ist Oberbozen, kein historisches Dorf sondern eigentlich eine große Bushaltestelle oberhalb von Bozen, welche im Zuge der Errichtung der Seilbahn schon bald Maria Himmelfahrt als Ortschaft ablöste und schon längst mit Klobenstein um die Vormachtstellung am Hochplateau ringt.

Doch was anfangs so einfach möglich war, ein einzelnes Haus im Grünen zu errichten, wird genau dadurch immer schwieriger. Es ist nämlich gar nicht mehr so einfach, ein solches Plätzen zu finden. So hat der Bauboom am Ritten in den letzten Jahren nochmals ordentlich angezogen und diesen Prozess noch einmal deutlich beschleunigt.

Und somit gilt der Ritten in Zeiten, in denen der Tourismus in Nächtigungen und Gästebetten gemessen wird, als touristisch unterentwickelt.

Denn am Anfang was es die Nähe zu Bozen, die die Tagesgäste brachte, welche den Ritten wirtschaftlich und touristisch florieren liesen. Heute scheint genau das das Problem zu sein. Es ist zu nah. Man bleibt nicht über Nacht. Und somit gilt der oft fast schon überlaufene Ritten in Zeiten, in denen der Tourismus in Nächtigungen und Gästebetten gemessen wird, als touristisch unterentwickelt und muss aufgewertet werden. Und dies ist zurzeit in vollem Gange.

Wie weit dies inzwischen fortgeschritten ist, kann man am besten entlang der Freudpromenade beobachten. Ein Panoramarundweg, der nicht nur den Blick auf die Landschaft und die umliegenden Berge ermöglicht, sondern auch auf die Bautätigkeit am Ritten. Entlang der Rittnerbahn schlängelt sich der Weg von der Seilbahnstation in Oberbozen durch Wälder und Wiesen ins Dorfzentrum von Klobenstein und präsentiert die landschaftlichen und baulichen „Perlen“ der Gegend.

Als neuer Startpunk fungiert sicherlich das neu errichtete Gloriette Guesthouse in Oberbozen, wo man Architektur und Landschaft quasi als Take away direkt an der Bergstation erhält. Ohne den Ritten wirklich betreten zu müssen, erhält man eine kaiserlich goldige Idylle serviert. Der Lustturm des gegenüberliegenden Parkhotel Holzner, mit seinem unterirdisch auswuchtenden Sockel, mag wohl dem gleiche Gedankengang entsprungen sein, jedoch historisch und baulich durchaus nachvollziehbarer umgesetzt. Weiter geht es entlang des Dorfparkplatzes, welcher sich im Gegensatz zu manch anderen durchaus zeigen lassen kann und als Dorfeingang funktioniert, wenn er auch sehr große und sichtbare Eingriffe in die Landschaft benötigte. Dann verlässt der Weg Oberbozen und führt durch vereinzelte kleine Bauten in eine kleine Siedlung aus Villen, Ferienhäusern und Klischee-Bauernhäusern, bevor er dann endgültig in die Natur gelangt.

Es lässt sich aber durchaus erahnen, in welche Richtung sich der Ritten langfristig entwickeln soll.

Nach einem kleinen Waldstück versteckt sich dann, ein bisschen abseits beim Wolfsgrubener See, ein kleines Überbleibsel längst vergangener Zeiten. Ein 500 Jahre alter Bauernhof konnte dort erhalten werden. Zwar führt er als Imkereimuseum Plattner ein vielleicht fragwürdiges Leben, dies ermöglicht jedoch die originalgetreue Erhaltung inkl. des ständig erneuerungsbedürftigen originalen Strohdachs, welches wohl eines der letzten verbliebenen im Land ist.

Noch ein paar hundert Metern erreicht man dann die Ortschaft Lichtenstern. Ein kleiner Weiler im Wald mit einem beeindruckenden Ausblick auf den Schlern. Fast jedes Haus hier wurde in den letzten paar Jahren umgebaut, erweitert oder neugebaut, leider die wenigsten ehrlich saniert. Doch zeigt der Umbau der dortigen Kirche, dass es durchaus möglich ist, Umbauten und zeitgemäße Gegebenheiten sichtbar in ein ortsprägendes Gebäude einzuverleiben ohne das Ensemble zu stören oder zu verändern. Während das gegenüberliegende Hotel Lichtenstern im Gegensatz zeigt, wie man die Bestandssubstanz so in einem Neubau verschwinden lassen kann, dass sie nicht mehr erkennbar ist und alles als gänzlicher Neubau erscheint. Auch der liebevolle Umbau des historischen „Waldhauses“ scheint im ersten Moment gelungen, doch stellt sich die Frage, warum ein solch geschichtsträchtiges Gebäude nicht in seinem Originalzustand erhalten werden konnte oder strenger geschützt war. Denn obwohl es sich beim Haus der Familie um einen öffentlichen Verein handelt, spürte auch dieser den lokalen Druck wirtschaftlicher und moderner zu werden, wodurch die Baukultur zweitrangig oder unwirtschaftlich wird. Dieser Druck zeigt sich dann auch schon bald entlang der Promenade selbst, welche im Wald plötzlich einen Gehsteig erhält. Dieser ermöglicht die sichere Anreise des Individualverkehrs zur Adler Lodge Ritten, einem der neusten Prestigeprojekte am Hochplateau. Gut versteckt im Wald ist es vor den neugierigen Augen der Wanderer sicher und unerreichbar, präsentiert sich jedoch voller Stolz zur Rittner Bahn hin, wo man im Vorbeifahren einen kurzen, sehnsüchtigen Blick des „American Mountain Resorts“ erhaschen darf. Fast schon froh, über diesen kurzen Gehsteig im Wald muss man sein, wenn man von ehemaligen Plänen eines asphaltierten Fahrradweges anstelle der Promenade erfährt. Das Vertrauen in die lokale Verwaltung wird dadurch zumindest teilweise wiederhergestellt, dass dieser nun abgelegen weiter unten im Wald errichtet wird. Die Rast- und Infoplätze entlang der Promenade, welche einen auf vielseitige Weise, sei es inhaltlich wie optisch, auf Freuds Pfaden begleiten, sind zwar nicht schlecht und wurden hochwertig umgesetzt, es lässt sich dadurch aber durchaus erahnen, in welche Richtung sich der Waldweg langfristig entwickeln soll.

„Der Besitz eines Sommerfrischhauses am Ritten“, die dritte der acht Bozner Seligkeiten, gilt wohl als Ursprung der Sommerfrische

Zum Glück nur schwer einsehbar vom Panoramaweg, dafür um so besser von den umliegenden Bergen ist der Stammsitz der Loacker oberhalb von Unterinn. Dort hat man vor einigen Jahren den lang gegangenen Weg, die Produktionsstätte in einer mehr oder weniger modernen regionalen Art weiterzubauen, verlassen und eine weiße fensterlose Wand hochgezogen, die, obwohl hangwärts angeordnet, das alte Gebäude bei weitem überragt. Das dort platzierte Firmenlogo war fast noch von Steinegg aus lesbar und wurde zwar vor kurzem entfernt (oder wird es ersetzt?), die Wand erscheint jetzt jedoch noch größer und sichtbarer.

Am Ende erreicht man das neue Zentrum von Klobenstein mit Eisstadion, Tankstelle, Zivilschutzzentrum und Busterminal. Zwar ist es bei weitem nicht der einzige Ort in Südtirol, welcher inzwischen an der Dorfeinfahrt eine Gewerbezone besitzt, ist dies dort eigentlich nicht der Fall. Diese wurde nämlich in einer schlecht einsehbaren Landschaftsmulde Dorftaufwerts recht gut und unauffällig situiert, selbst für seiner Größe. Umso schmerzhafter ist es, dass trotzdem die restlichen technischen Notwendigkeiten der Ortschaft hier abgestellt wurden. Zwar kann hier ein weiteres Mal das Panorama über diese urbanistische Planung hinweghelfen und wurden mit dem Zivilschutzzentrum – welches mit seiner Silhouette an das Mountain House am Ritten von Mies van der Rohe erinnert – und anderen kleineren Erweiterungen des Eisrings architektonisch motivierte Bauwerke geschaffen, doch können diese nicht die unklare bauliche Situation klären und die Dorfeinfahrt aufwerten. Denn das historische Zentrum liegt weiter bergab, man könnte behaupten in Lengmoos. Doch wuchs das Dorf immer weiter Richtung Kreisverkehr Oberbozen/ Rittner Horn.

Zwar mag es durchaus nachvollziehbare und positive Entwicklungen am Ritten geben, und immer wieder kleine bauliche Perlen auffindbar sein, unterstützt durch ambitionierte Architektur, doch geht der Grundtenor immer mehr in eine fragwürdige Richtung. Denn eine Vielzahl solcher kleinen Entwicklungen, wie an der Kreuzung Oberbozen/Klobenstein -wo aus einer kleinen Straßenkreuzung im Wald ein normgerechter betonierter „Nicht-Ort“ wurde- machen langfristig dem Ritten wohl gleich viel zu schaffen wie die unzähligen omnipräsenten Sommerfrischhäuser.

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Salto User
Margot Wittig Sun, 01/30/2022 - 17:14

im Artikel wird der Begriff "Nicht-Ort" verwendet: davon gibt es in unserem Land leider immer mehr und es wäre wünschenswert, daß sich unsere Bevölkerung bewußt wird, welches der Unterschied zwischen einem "Nicht-Ort" und einem lebenswerten Ort ist. Dies geht alle an, nicht nur sogenannte "Fachleute". Könnten wir hier eine Diskussion darüber beginnen?

Sun, 01/30/2022 - 17:14 Permalink