Culture | Bibliophile Fragen

„Ohne Lesen werde ich unduldsam“

Der Autor und Übersetzer Stefano Zangrando war gestern Gast der 39. Literaturtage in Lana. Außerdem hat er "die immer gleichen Fragen" von SALTO beantwortet.
Zangrando
Foto: Marco Olivotto
  • SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?

    Stefano Zangrando: In meiner Kindheit las ich sehr viele Comichefte – Braccio di Ferro, Provolino, Trottolino, das ganze Disney-Zeug, die Diabolik-Hefte meines Großvaters – so sehr, dass ich behaupten würde, ich war damals Comic-süchtig. Mein Lebenstraum damals war, als Erwachsener einen Zeitungskiosk zu betreiben, wo ich den ganzen Tag hätte Comics lesen können! Die beiden richtigen Bücher, von denen ich mich erinnere, wie sie bei mir irgendwann richtig abgenutzt waren, sind Mario Nardones Manuale del giovane detective und den Manuale delle giovani marmotte. Kinderhandbücher also, die Literatur kam erst später. Und trotzdem haben sie sich nicht so tief in eingeprägt wie diese damalige Sucht an sich: Ohne Lesen werde ich heute noch unduldsam.
     

    Von „nie“ war bei mir eigentlich noch nie die Rede. 

  • Literatur Lana: Die 39. Ausgabe der Literaturtage in Lana stand ganz im Zeichen von: Arm und Reich. Über die Soziale Frage Foto: Literatur Lana

    Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?

    Ich habe ehrlich gesagt ein schlechtes Gedächtnis für Romantexte, meistens prägen sich Bilder, Figuren und Begriffe ein. Eine Ausnahme bildet Kafka, von dem ich zum Beispiel immer wieder die Erzählung Das Urteil, diesen unfassbaren Drehpunkt seines Werkes lese und versuche, mich dem Geheimnis anzunähern. Der letzte Satz, nachdem es tödlich gebüßt wird, bleibt für mich ein unerschöpflicher Bildwechsel: «In diesem Augenblick ging über die Brücke ein geradezu unendlicher Verkehr».

    Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?

    Von „nie“ war bei mir eigentlich noch nie die Rede. Als ich allerdings als Literaturstudent zum ersten Mal und ziemlich zufällig in Paolo Volponis Corporale las, konnte ich kaum begreifen, wie es geschrieben war und worum es eigentlich in diesem Roman ging: mir kam er viel zu abstrus vor. Zwei oder drei Jahre später habe ich das ganze Werk von Volponi wieder in die Hand genommen, Corporale wie kaum einen anderen Roman geliebt und meine Magisterarbeit über Paolo Volponi und Corporale geschrieben.

  • Literaturtage Lana: Gestern mit Ingo Schulze und Stefano Zangrando. Heute geht der Veranstaltungsreigen mit einer Kafka-Lesung des Schauspielers Ulrich Matthes zu Ende. Foto: Martin Streitberger

    Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?

    Ich glaube nicht an die Existenz von Außerirdischen, darum sollte ich eigentlich noch mehr um die Banalität von Lokalkrimis trauern: Da wir bis zum Beweis des Gegenteils allein im All sind, kann niemand sich ums Geheimnisvolle daran erkundigen. Und trotzdem lasse ich mich da nicht anöden: Jede Leserin und jeder Leser ist für das eigene Genussniveau selbst verantwortlich.

    Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?

    Denen meines Kollegen Giacomo Sartori: Von ihm bekomme ich nicht so oft Büchertipps, dafür erweisen sie sich immer als äußerst zutreffend. Ein Beispiel: Goliarda Sapienza. Ihr Roman Die Kunst der Freude habe ich dann im Lauf der Jahre immer wieder weiterempfohlen. Überhaupt verlasse ich mich mittlerweile vor allem auf stille Post und die Empfehlungen von Kollegenfreunden.

    Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?

    Eine schlechte Übersetzung, egal von welchem Buch. Denn eine schlechte Übersetzung ist immer, wenn man das Buch mit auf die Insel genommen hat, nachdem einem die Originalversion empfohlen wurde, eine ärgerliche Überraschung.
     

    Wer soll sich sonst in Zukunft um gute Literatur kümmern?

  • Buch oder E-Book?: "Digitale Unterstreichungen sind für mich keine Alternative" Foto: Marco Olivotto

    Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?

    Jedes Buch, von dem ich ahne, dass es mir gut gefallen wird, in welchem ich also genug unterstreichen könnte. Als Leser bin ich immer mit Bleistift bestückt. Digitale Unterstreichungen sind für mich keine Alternative. Und nach jeder Lesestunde spiele ich mit dem zugeklappten Buch in meinen Händen, schaue es mir an, streichle es: darauf kann ich nur bei richtigen Reinfällen verzichten.

    Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?

    Wundränder von Sepp Mall, auch in der italienischen Übersetzung von Sonia Sulzer. Noch vor einigen Tagen habe ich eine Passage aus diesem wunderschönen Roman bei der Vorlesung an einer Kinder-Uni in Deutschland zitiert, denn der Roman eignet sich auch für jüngere Leserinnen und Leser. Es geht nämlich vor allem um das Leben und Leiden von jüngeren Figuren, auch wenn im Hintergrund die Südtiroler Geschichte der Sechziger Jahre wettert. Ein junges Leserpublikum zu gewinnen und zu züchten scheint mir einfach prioritär: Wer soll sich sonst in Zukunft um gute Literatur kümmern?