Culture | Dirigieren & VR

Erfahrungswerte im Dirigieren?

Eine „Haydn VR-Experience“ kann noch bis Donnerstag am Waltherplatz, ab Sonntag am Cesare Battisti Platz in Trient in Anspruch genommen werden. Bereit, sich als Dirigent:in zu versuchen?
Haydn VR Experience
Foto: Fondazione Haydn Stiftung
  • Wie schwer kann das schon sein, sich mit einem Stock auf die Bühne zu stellen und ein bisschen „herumzufuchteln“? Mit „Virtual Reality“ Brille, Kopfhörern und einem 3D-Bewegungs-Controller als Taktstock in der Hand geht es entlang der Sinfonie Nr. 94 in G-Dur Joseph Haydns (auch bekannt als „Surprise“, dt. „Überraschung“) durch ein Tutorial und drei „Level“. „Dirigiere ein virtuelles Orchester“ ist der Werbeslogan, das „virtuelle Orchester“ ist dabei eine Videoaufnahme des reellen Haydn, welches vor Kamera Auszüge aus der vielleicht bekanntesten der Londoner Sinfonien eingespielt hat. Für die technische Umsetzung der einfachen S(t)imulation zeichnet der Genueser Softwareentwickler ETT S.p.a. verantwortlich.

    Das Projekt richtet sich dabei am touristischen Knotenpunkt situiert an ein möglichst breites Publikum, die Aufgabenstellung ist daher weder für Menschen ohne Erfahrung am Dirigentenpult noch am Controller eine zu schwere. Zwei Punkte gilt es im 2/4 Takt des 2. Aktes, aus welchem die Klangexzerpte stammen, während man einen Knopf gedrückt hält, in einer pendelnden Bewegung zu verbinden. Auf den Displays vor den Augen und jenem im Zelt erscheint dann idealerweise eine Spur, welche dem Pfeil „von a nach z“ eines großen Onlineanbieters ähnelt. Idealerweise, denn Bewegungssteuerung ist nach wie vor eine sensible Angelegenheit, Schnitzer im Takt lassen den digitalen Klangkörper langsam lallen oder hastig haspeln, zielt man an den Punkten vorbei, gibt es schiefe Töne. Wird der „Bogen“ flacher oder steiler gezeichnet, gibt es keinen hörbaren Unterschied, von einer liegenden Klammer bis zu einem V herrscht große Toleranz.

  • Haydn VR-Experience: Beim Blick über die Schulter eines virtuell Dirigierenden, sehen wir die ausgeführten Gesten und sein Blickfeld auf einen Bildschirm übertragen. Foto: Fondazione Haydn Stiftung

    Im Vorteil ist dabei klar, wer erstmals andere ans Pult treten lässt und eine Runde zusieht. Klarauch , dass da vor einem eine angehende Nachwuchsdirigentin aus Hamburg einen Sprung macht, wenn die titelgebende „Surprise“ der Sinfonie kommt, die im Deutschen doch eher unter dem Namen „Sinfonie mit dem Paukenschlag“ gehandelt wird. Aber wo wäre bei diesem Namen noch das Vergnügen der Aufsichtsperson?

  • Zum Auftakt, dem Höhepunkt mit Paukenschlag und zum Finale des zweiten Aktes, ist dabei jeweils ein veränderter Takt gefragt, die VR-Erfahrung verzeiht dabei so einiges für das ein:e Berufsdirigent:in längst wegen Tremor oder fahrigen Bewegungen zum Ausnüchtern nach Hause geschickt würde. Was wir auf die Ohren bekommen, ist wie eine Sinfonie unter Wasser, das Orchester „belohnt“ einen relativen Erfolg mit - bitte nicht in den Konzertsaal mitbringen - Szenenapplaus, eine Missleistung wird durch entsprechend abschätzige Reaktionen der Musiker:innen abgestraft und führt zur Wiederholung. Auf eine ganz eigene, kurzweilige Art ist das stressig, schafft einen gewissen Druck und - neben Publikum - eine Motivation, sein Bestes zu geben. Ein wirkliches „Gefühl“ für die Erfahrung eines Dirigenten erweckt die Haydn VR-Experience trotz Aufnahmen aus dem Konservatorium mit den Musikern nicht. Unterhaltsam und rasch durchgespielt ist das Szenario dabei aber.

  • Haydn VR-Experience: Durch die Projektion über zwei Bildschirme in kürzester Distanz zu den Augen entsteht eine Art Tiefenwirkung, die einem das Gefühl gibt an Ort und Stelle zu sein. Wem in Virtuellen Realitäten schnell übel wird, der sei versichert, dass die dafür verantwortlichen Bewegungen auf ein absolutes Minimum beschränkt sind. Foto: Fondazione Haydn Stiftung
  • Schade, dass man dem Denkmuster des Dunning-Kruger-Effekts hier nicht durch eine etwas ausgearbeitetere Simulation etwas entgegensetzen kann. Von den beiden Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger wurde 1999 in Experimenten bemerkt, dass oberflächliche Kenntnis eines Gebiets häufig mit Unwissen um das Ausmaß der eigenen Unwissenheit einhergeht. Weniger kompetente Personen neigen eher dazu, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, überlegene Fähigkeiten anderer nicht wahrzunehmen und das Ausmaß ihrer Inkompetenz falsch einzuschätzen. Wer sich also im Gefühl, dass er ein Orchester dirigieren könnte bestärken lassen will, oder  einfach nur ein paar Minuten Zeit totzuschlagen hat, der kann sich am Waltherplatz in die Schlange stellen. Wer will kann auch „herumfuchteln“.

  • Haydn VR Experience Termine

    Die „Haydn VR-Experience“ kann witterungsunabhängig heute (31. Oktober) bis 19 Uhr, morgen Mittwoch von 10 bis 13 Uhr, sowie sowohl am Mittwoch, als auch am Donnerstag von 14 bis 18 Uhr am Bozner Waltherplatz in Anspruch genommen werden.

    Am Cesare Battisti Platz in Trient kann man an vier Tagen in die Virtuelle Realität eines Dirigenten eintauchen: von Sonntag (5. November) bis Mittwoch, jeweils 11 bis 19 Uhr.