Society | Gastbeitrag

"Kein besonders gutes Jahr"

urania-Direktorin Marlene Messner wirft einen Blick zurück. Auf ein 2015 der Baustellen, über dem dunkle Wolken hängen. Und doch Lichtblicke erkennen lässt.

In meiner Studentenzeit wohnte ich mehrere Jahre lang in einer kleinen Wohngemeinschaft in einer Substandard-Altbauwohnung in Wien. Unser Hauptmieter vernachlässigte seine Studien sträflich. Er verfolgte vor allem ein Ziel: Die Wohnung ohne viel finanziellen Einsatz und durch mühevolle handwerkliche Eigenarbeit nach und nach zu sanieren. Die Folge: eine jahrelange Baustelle, monatelang konnte die Küche nicht betreten werden, dann lag wieder einmal eine halbe Tonne Schutt im Bad, das Heizungssystem kollabierte im kältesten Winter, etc. Das Leben auf dem Provisorium Baustelle wurde ein Normalzustand und ein Ende war nie in Sicht, da die Baustelle die einzige Rechtfertigung für das nicht vernachlässigte Studium meine Wohnkollegen war. Trotzdem war es eine schöne Zeit, legendär waren unsere „Baustellen“-Feste und das einfache, improvisierte Leben hatte einen besonderen Reiz.

Beim Rückblick auf die letzten Jahre fühle ich mich wieder in die Studentenzeit zurückversetzt. Die bekannte Problematik rund um die Nicht-Abrechnung und infolgedessen Nicht-Auszahlung bereits lange durchgeführter ESF-Projekte hat sich für uns in der urania meran, einer Kleinst-Organisation mit neun hauptamtlichen MitarbeiterInnen und einem Jahresumsatz von einer Million Euro zu einem kleinen Albtraum, einer jahrelangen Baukatastrophe entwickelt. Kein Verband, keine kirchliche oder politische Lobby konnte die Hand über uns halten, aus eigener Kraft mussten wir uns aus dem Wasser ziehen.

2015 war ein schwieriges Jahr und nur sehr langsam lichten sich die dunklen ESF-Wolken. Von den 2014 noch ausstehenden ESF-Beiträgen in der Höhe von 1,7 Millionen Euro (für 11 durchgeführte Projekte im Zeitraum 2008-2014) sind aktuell noch immer 1,2 Millionen ausständig (9 Projekte). Mit Mühe und Not haben wir durch strikte Sparmaßnahmen und eine Umschuldungsaktion im Sommer 2015 etwas Luft bekommen. Wir haben unser Personal reduziert (eine Entlassung und Stundenkürzungen), rigoros gespart, verzweifelt Sponsoren gesucht, Finanzierungsanleihen an Mitglieder ausgegeben, eine Hypothek aufs Haus aufgenommen, um die hohen Passivzinsen bezahlen zu können (100.000 Euro jährlich).

Zum ESF-Desaster kamen noch andere ewige Baustellen dazu, z.B. die schon seit Jahren bestehenden Unsicherheit, welche Verträge mit KursleiterInnen noch abgeschlossen werden können, welche 2015 mit Renzis Jobs Act und dem damit verbundenen Versuch prekäre Arbeitsverhältnisse abzuschaffen, nochmals Nahrung bekam. Oder der ständig steigende verwaltungstechnische Aufwand in anderen Punkten z.B. in der Arbeitssicherheit oder in der Abwicklung öffentlicher Aufträge.

Dazu zeichnet sich am Weiterbildungshimmel erstmals seit Jahrzehnten eine Sättigung ab, der Weiterbildungsboom ist vorbei und vielen Menschen fehlt in ökonomischen Krisenzeiten schlichtweg das Geld für allgemeine Weiterbildung.

Also, alles in allem kein besonders gutes Jahr für die urania meran, dennoch gab es auch viele positive Entwicklungen und Erlebnisse, die uns zuversichtlich stimmen.

Trotz der ständigen notwendigen und zeitlich extrem aufwändigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (in der Abwicklung der ESF-Abrechnungsprozeduren), haben wir die Standardtätigkeit halten und viele gesellschaftspolitische und kulturelle Projekte (z.B. das Ausstellungsprojekt Gatterer 9030, den  Open-Online-Kurs Ich-Mooc zum Thema „Mein digitales Ich“ oder das Forschungsprojekt „Metakognitiv fundiertes Lernen in der Grundbildung“) umsetzen können.

Die urania-MitarbeiterInnen haben sich kollegial und solidarisch in die Großbaustelle eingebracht und dort angepackt, wo es notwendig war, sie haben in weniger Arbeitszeit mehr erledigen müssen als je zuvor und niemand hat die Flinte ins Korn geworfen.

Und noch etwas, wir haben uns sehr gefreut, dass unser Präsident Paul Rösch Bürgermeister geworden ist, auch wenn wir ihn dadurch „verloren“ haben, seine Wahl ist auch für uns das Signal, dass fast Unmögliches möglich wird und damit auch ein Zeichen der Hoffnung für 2016.

Und, auch wenn wir es uns auch auf der Baustelle inzwischen „gemütlich“ eingerichtet haben, fein wäre es schon, wenn wir wieder eine Art „Normalzustand“, einen in die Zukunft gerichteten funktionierenden Betrieb ohne Altlasten und finanzielle Sorgen hätten.


Marlene Messner ist studierte Historikerin und Kulturmanagerin. Seit 1998 ist sie  - mit einer kurzen Unterbrechung - als Direktorin an der urania meran tätig. Zu ihren Aufgaben gehören neben der Strategieentwicklung und der organisatorischen Gesamtleitung auch pädagogische Aufgaben, z. B. die Kurs- und Tätigkeitsplanung für den Bereich Kultur & Gesellschaft und die Planung und Koordination von Projekten. Sie hat weiters die Verantwortung für das Marketing und die Qualitätssicherung.