Society | Jahresrückblick

Die Iden des März

Es war der Aufreger des Jahres: Der Athesia-Konzern will durch eine Klage jede kritische Berichterstattung unterbinden und das Online-Portal SALTO ausschalten.
Salto Slapp
Foto: Seehauserfoto
  • Die Geschichte beginnt kurz vor Fasching.
    Am 9. Februar 2023 wird der Genossenschaft Demos 2.0 eine Schadenersatzforderung zugestellt, welche die Athesia AG, die Athesia Druck GmbH und Michl Ebner persönlich wegen vermeintlicher Verleumdungen gerichtlich gegen den Herausgeber des Nachrichtenportals SALTO, die Genossenschaft Demos 2.0, und den Journalisten Christoph Franceschini durchsetzen wollen.
    Beanstandet werde nicht weniger als 58 auf salto.bz veröffentlichte Artikel aus den Jahren 2018 bis 2022.
    Es handelt sich dabei vorwiegend um Artikel, die politische und wirtschaftliche Hintergründe rund um den Athesia-Konzern, die Südtiroler Handelskammer (deren Präsident Michl Ebner seit 15 Jahren ist) und das Medienmonopol in der Region Trentino-Südtirol nachzeichnen. Des Weiteren geht es aber um Interviews mit Südtiroler Politikerinnen und Politikern (SVP-Senatorin Julia Unterberger, PD-Senator Luigi Spagnolli), Journalisten (Ex-Alto-Adige Chefredakteur Mauro Fattor) oder Verbraucherschützern (Walter Andreaus und Rechtsanwalt Massimo Cerniglia), die sich kritisch mit dem Wirken des Medienhaus Athesia auseinandersetzen.
    Die einzelnen Artikel stammen aus der Feder von Fabio Gobbato, Lisa Maria Gasser, Christoph Franceschini, Paolo Ghezzi und Wolfgang Mayr.

     

    „Beanstandet werde nicht weniger als 58 auf salto.bz veröffentlichte Artikel aus den Jahren 2018 bis 2022.“

     

    Die zugestellte Klage führt nur die Titel und das Erscheinungsdatum der Artikel an, aber keinerlei detaillierte Gründe für die angeblichen Verfehlungen.
    Tatsächlich handelt es sich beim Großteil der Artikel um Recherchen, die die Redaktion jederzeit und auch vor Gericht belegen kann.

    Die Kläger unterstellen vielmehr SALTO pauschal eine „andauernde und mit Nachdruck durchgeführte Verleumdungskampagne“ (continua e pressante campagna diffamatoria) gegenüber dem Athesia-Konzern und der Familie Ebner. Einzelnen Verfassern wird zudem „mediales Stalking“ (stalking mediatico) und der Tatbestand der „verleumderischen Unterstellung von Absprachen mit politischen Parteien und der öffentlichen Verwaltung“ (calunniose insinuazioni di collusione con partiti politici e con la pubblica amministrazione) vorgeworfen.

  • Die Ankündigung

    Für die Herausgeber von SALTO und auch für Redaktion ist von Beginn an klar, dass es sich bei dieser Klageandrohung um den Versuch einer bewussten Einschüchterung einer kritischen, unbequemen Pressestimme handelt. 
    Auch die Entscheidung, dass man damit an die Öffentlichkeit gehen soll und muss, wird einstimmig gefällt.
    Am frühen Morgen, des 6. März 2023 erscheint auf SALTO ein Editorial mit dem Titel „Angriff auf die Pressefreiheit“. Maximilian Benedikter, Präsident des Verwaltungsrates der Genossenschaft Demos 2.0, Herausgeber von SALTO und Chefredakteur Fabio Gobbato schreiben:

    Der Medienkonzern Athesia beherrscht bekanntlich gut 80 Prozent des Medien- und Anzeigenmarktes in der gesamten Region Trentino-Südtirol. (Laut einem Untersuchungsbericht der staatlichen Aufsichtsbehörde AGCOM aus dem Jahr 2018 kontrolliert der Medienkonzern Athesia 78,1 Prozent des lokalen Nachrichtenmarktes; dieser Anteil ist seither weiter angewachsen.)

  • Max Benedikter und Fabio Gobbato (vorne): "Wir aber werden nicht aufgeben". Foto: Seehauserfoto
  • Dazu kommen noch unzählige Unternehmen in anderen Wirtschaftsbereichen. Athesia-Direktor und -Hauptaktionär Michl Ebner, der 30 Jahre lang für die SVP zuerst im nationalen und dann im EU-Parlament saß, ist zudem seit 15 Jahren Präsident der Südtiroler Handelskammer, einer öffentlichen, auch mit Steuergeldern finanzierten Institution.
    Die Öffentlichkeit muss über diesen Frontalangriff aus dem Hause Ebner informiert werden.
    Allein vor diesem Hintergrund wird klar, dass es sich bei dieser Schadenersatzforderung um den Versuch handelt, kritische Berichterstattung und investigative Recherche zu unterbinden. Diese Klage ist eine klassische SLAPP, mit der ein übermächtiger Medienkonzern einen unbequemen Konkurrenten ausschalten möchte. Es geht darum, ein kritisches Medium mundtot zu machen.

     

    „Diese Klage ist eine klassische SLAPP, mit der ein übermächtiger Medienkonzern einen unbequemen Konkurrenten ausschalten möchte. Es geht darum, ein kritisches Medium mundtot zu machen.“

     

    Die Kläger verlangen 150.000 Euro an Schadenersatz.
    Die Öffentlichkeit muss über diesen Frontalangriff aus dem Hause Ebner informiert werden.
    Wir aber werden nicht aufgeben, weiterhin unabhängige und kritische Berichterstattung zu machen, zu fördern und zu ermöglichen. Das ist einer der Grundgedanken des vor 10 Jahren gegründeten Portals salto.bz und der Genossenschaft Demos 2.0.“

  • Pressekonferenz & Reaktionen

    Noch am selben Vormittag findet im Bozner Filmclub eine Pressekonferenz statt, auf der die Slapp-Klage der Athesia gegen SALTO der breiten Öffentlichkeit vorgestellt wird. Herausgeber-Präsident Maximilian Benedikter, Chefredakteur Fabio Gobbato und vor allem die beiden SALTO-Anwälte Hans Magnus Egger und Nicola Canestrini, erläutern im vollbesetzen Saal die rechtlichen, politischen und ökonomischen Hintergründe der Aktion aus dem Ebner-Verlag.
    Die Reaktionen auf die Pressekonferenz sind überwältigend. Die Klage wird in fast allen renommierten Medien weit über Südtirol hinaus aufgegriffen. So erscheinen fundierte Artikel in der Süddeutschen Zeitung, auf SPIEGEL online, im Wiener Standard, eine große Reportage im Falter, oder Artikel in „La Repubblica“ oder im „Il fatto quotidiano“. Auch Fernseh- und Radioberichte im ORF oder auf Ö1 folgen. 
    Die inhaltliche Bandbreite der Berichterstattung lässt sich einem Titel zusammenfassen, der dabei immer wieder gebraucht wird: „Goliath gegen David in Südtirol: Athesia klagt kritisches Online-Portal“.

  • SALTO-Pressekonferenz im Filmclub: Überwältigendes Presseecho im In- und Ausland. Foto: Seehauserfoto
  • Überwältigend sind aber vor allem die ermunternden Reaktionen und Solidaritätsbekundungen, die SALTO in den darauffolgenden Tagen zu Hunderten erreichen. Politische Parteien wie die Südtiroler 5-Sterne-Bewegung, die Linke/Sinistra, Italia Viva aber auch Team K, die Südtiroler Grünen oder von Gewerkschaften wie den AGB/CGIL oder den SGB/CISL geißeln in Pressemitteilungen die Athesia-Aktion. Auch die regionale Journalistengewerkschaft drückt etwas zögerlich seine Solidarität mit SALTO aus. 
    Dazu kommen hunderte SALTO-Leserinnen und Leser, die in Kommentaren und persönlichen Zuschriften ihrer Empörung, über den Versuch SALTO den Mund zu stopfen, freien Lauf lassen.

  • Die Athesia-Stellungnahme

    Athesia-Sprecher Elmar Pichler Rolle: "Völlig verfehlt und in keiner Weise nachvollziehbar.“

    Noch am Tag der Pressekonferenz meldet sich dann auch der Athesia-Verlag zu Wort. In einer Stellungnahme schreibt der Unternehmenssprecher, der ehemalige SVP-Obmann und Landesrat Elmar Pichler-Rolle:

    „Wie gesetzlich vorgesehen, findet bei Schadenersatzforderungen wegen schädigender Veröffentlichungen vor einer möglichen Zivilklage eine verpflichtende Mediation statt. Die Athesia Gruppe wird erst nach Ausgang des Mediationsverfahrens entscheiden, ob sie zur Wahrung ihres Rufes und jenes ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, eine Zivilklage gegen den Journalisten Christoph Franceschini und das Online Portal „salto.bz“ einbringen wird. Es ist bedauerlich und bedenklich, dass Letztere noch vor dem ersten Mediationsgespräch ihre Aggression – diesmal über eine Pressekonferenz - weiter fortsetzen.

  • „Es ist bedauerlich und bedenklich, dass Letztere noch vor dem ersten Mediationsgespräch ihre Aggression – diesmal über eine Pressekonferenz - weiter fortsetzen.“

     

    Die Athesia Gruppe und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen sich seit Jahren einer Diffamierungskampagne seitens einiger Journalisten des Online Portals „salto.bz“ ausgesetzt, wie insbesondere 58 aus einer Vielzahl von beanstandeten Artikeln belegen. Selbst eine formelle Ermahnung seitens der Berufskammer der Journalisten an Christoph Franceschini scheint die Wirkung verfehlt zu haben.
    Es ist das gute Recht von Athesia, sich gegen andauernde Diffamierungen zu wehren. Daraus einen Angriff auf die Meinungsfreiheit zu konstruieren, ist völlig verfehlt und in keiner Weise nachvollziehbar.“

  • Der Appell der 1.500

    Am 8. März 2023 veröffentlich der Historiker und grüne Landtagsabgeordnete unter dem Titel „Solidarität mit SALTO“ einen Appell.
    In diesem Text heißt es:

    Presse- und Medienfreiheit sind ein hohes Gut. Als Grundsäulen von Verfassung und Demokratie bilden sie eine Basis für eine offene Gesellschaft. In Südtirol hatten es Freiheit und Vielfalt von Presse und Medien lange nicht leicht. Sie wurden für die Sprachminderheiten mühsam errungen, der Medienpluralismus gewann nur langsam an Boden. Seit gut 40 Jahren hat sich langsam ein wenig Vielfalt eingestellt, wenn auch immer wieder mit Rückschlägen. Trotz der Dominanz eines Medienhauses, von Athesia, das rund 80 % der Medien kontrolliert, bleibt Pluralismus noch gewahrt, wenn auch unter großen Mühen. Dank Rundfunk, Presse, Online-Medien und eines bürgerschaftlichen citizen-journalism.
    Umso schwerwiegender daher, wenn Athesia, der stärkste Akteur der Südtiroler Medienwelt, gegen einen kleinen Konkurrenten wie salto.bz mit Rechtsmitteln massiv und bedrohlich vor Gericht zieht.

  • Autor Hans Heiss: Über 1.500 Menschen unterzeichnen seinen Appell für SALTO. Foto: SALTO
  • Der Präsident von Athesia-Druck, Michl Ebner, will salto.bz und Redakteur Christoph Franceschini wegen Beleidigung vor dem Landesgericht Bozen klagen und hohen Schadensersatz fordern. Die Liste der als beleidigend angeführten Artikel und Sachverhalte ist lang, bei näherer Durchsicht aber hat die Anklage wenig Substanz und Gehalt: Inhalt und Ton sind scharf, mitunter schmerzhaft, wahren aber den Ton bissiger Polemik.

     

     „Genau dies ist die Aufgabe eines kleinen Mediums wie salto.bz: Verschwiegenes und Vertuschtes aufzudecken, um so die Informationsrechte und Wissensgrundlage einer demokratischen Öffentlichkeit zu sichern.“

     

    Vor allem bieten die Artikel Informationen und Hintergründe, deren Kenntnis für die Öffentlichkeit Südtirols notwendig ist. Genau dies ist die Aufgabe eines kleinen Mediums wie salto.bz: Verschwiegenes und Vertuschtes aufzudecken, um so die Informationsrechte und Wissensgrundlage einer demokratischen Öffentlichkeit zu sichern. Werden dabei die Inhaber des Südtiroler Medienmonopols angegriffen und ihre Praktiken enthüllt, so ist dies legitim. Wenn aber der Angegriffene nicht die eigenen Medien nutzt und nicht mit journalistischen Mitteln antwortet, sondern stattdessen zur Klage greift, so lässt dies tief blicken. Warum nutzt die Athesia-Spitze nicht die mediale Feuerkraft des eigenen Konzerns, um den salto-Artikeln zu begegnen, sondern beschreitet den Weg der Klage?
    Journalismus wird von Athesia-Verantwortlichen offenbar nicht nur als Informationspflicht begriffen, sondern als Machtinstrument. Dasselbe Medium, das gegen politisch und persönlich Missliebige oft jede Objektivität vermissen lässt, nimmt gegen Angriffe eines kleinen Mediums den Gerichtsweg, um salto.bz einzuschüchtern oder gar zum Schweigen zu bringen.

     

    „Gegen solche Übergriffe muss sich eine demokratische Öffentlichkeit zur Wehr setzen“

     

    Gegen solche Übergriffe muss sich eine demokratische Öffentlichkeit zur Wehr setzen. Wir bekunden unsere volle Solidarität mit salto.bz und Christoph Franceschini, den weiteren Autorinnen Lisa Maria Gasser. Paolo Ghezzi, Fabio Gobbato, Wolfgang Mayr und ermutigen sie, ihren Weg eines aufklärenden, investigativen und meinungsfreudigen Journalismus weiter zu beschreiten. Athesia hingegen ist gut beraten, die Klage zurückzuziehen: im Interesse der Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch, um sich selbst ein hohes Maß an Peinlichkeit zu ersparen. Eine pluralistische und offene Presse- und Medienlandschaft in Südtirol ist kein Luxus, sondern dringend notwendig, heute vielleicht mehr denn je.“

    Innerhalb einer Woche unterzeichnen über 1.500 Menschen diesen Appell von Hans Heiss.

  • Auf Standby

    Immer wieder werden wir seitdem gefragt: Wie ist die Geschichte mit der Athesia-Slapp-Klage weitergegangen?
    Die Antwort darauf ist durchaus ernüchternd: Wir wissen es nicht.
    Noch am Nachmittag des 6. März 2023 findet am Bozner Landesgericht das zur Einreichung einer Zivilklage obligatorische Mediationsverfahren statt. Das Gespräch endet ohne Ergebnis. Seitdem haben wir nichts mehr gehört.
    Formalrechtlich haben Michl Ebner und die Athesia zehn Jahre lang Zeit eine Zivilklage einzubringen. Die Kläger werden dann die 58 beanstandeten SALTO-Artikel analysieren und herausstreichen müssen, wo, wer, welche Straftat begangen haben soll.

     

    "Wie geht’s weiter? Die Antwort darauf ist durchaus ernüchternd: Wir wissen es nicht."

     

    Dieses Damoklesschwert aus dem Hause Ebner schwebt damit immer noch über SALTO.
    Aber eines können wir Ihnen schon jetzt auf jeden Fall versichern. Wir lassen uns nicht einschüchtern und werden auch im neuen Jahr weiter kritisch und fundiert über den Medienkonzern berichten, der in dieser Region das gute und schlechte Wetter machen will. Und auch über die Familie Ebner.
    Die überwältigende Solidarität der Leserinnen und Leser, die wir in diesem Jahr erfahren durften, hat uns gezeigt, wie wichtig kritische Stimmen in diesem Land sind.