Società | Interview
„Subtile Ausgrenzung nicht selten“
Foto: Manuela Tessaro
salto.bz: Frau Pirrone, Sie haben Ihre Aufträge als Vertrauensrätin in der Gemeindeverwaltung Bozen, im Sanitätsbetrieb und in der Landesverwaltung nach einigen Jahren gerade abgeschlossen. Welche Aufgabe hatten Sie als Vertrauensrätin für Bedienstete der öffentlichen Verwaltungen?
Marcella Pirrone: Alle Bediensteten dieser Verwaltungen (es sind insgesamt mehr als 23.000) – auch Führungskräfte – konnten sich an mich wenden, um über gewisse Themen ein vertrauliches Gespräch mit einer externen Expertin zu verschiedenen Situationen am Arbeitsplatz zu haben. Das können Situationen sein, die zu einem mehr oder weniger gravierenden Unwohlbefinden führen wie: Konflikte bis zu psychologischer Gewalt mit Vorgesetzten oder Kolleg*innen, Diskriminierungen jeglicher Art, Schikane oder Belästigungen aller Art bis eventuell zu Mobbing. Dies sind beispielhaft einige der Probleme, die das Leben am Arbeitsplatz häufig schwierig machen. Es ist nicht einfach, am Arbeitsplatz einen ‚internen‘ geeigneten Rahmen dafür zu finden, ohne Befürchtungen von direkten oder indirekten Konsequenzen bzw. mit wenig Hoffnung / Vertrauen auf einer angemessen Antwort seitens des Arbeitgebers in den Personen der verschiedenen Verantwortlichen. Dies passiert überall, in privaten wie in öffentlichen Betrieben, und deshalb ist diese Rolle wichtig, da von außen jemand mit Kompetenz, Erfahrung und mit einem aufmerksamen Auge für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu diesen Themen Unterstützung für die Betroffenen und die Verantwortlichen bietet.
Es gibt viel ‚formale‘ (hierarchische) wie ‚informale‘ Macht auf der Arbeit und leider kann es zu Machtmissbrauch kommen.
Wie gehen Sie vor, wenn Arbeitnehmer*innen um Ihren Rat bitten?
In den Beratungsgesprächen können sich die Personen erstens darauf verlassen, dass alles vertraulich bleibt; dass eine unabhängige Expertin die Situation analysiert, um gemeinsam mit der betroffenen Person zu entscheiden, ob und auf welche Art intern in der Organisation etwas getätigt wird, für eine Verbesserung bzw. Lösung der Situation. Dies passiert mit einer internen Aktivierung von Verantwortlichkeiten und Ressourcen.
Welche Fälle gab es?
In zu vielen Fällen ist die Umgangsart miteinander sehr verletzend bis zu subtil (psychologisch) gewalttätig. Es gibt viel ‚formale‘ (hierarchische) wie ‚informale‘ Macht auf der Arbeit und leider kann es zu Machtmissbrauch kommen. Nicht transparente Kommunikation und / oder Entscheidungsprozesse zu Arbeitsbedingungen und Karriere können Schaden anrichten. Hier kann es z.B. zu verschiedenen Formen von Diskriminierung kommen: Mann – Frau, alt – jung (sei es anagrafisch wie Dienstalter), andersartige Arbeitserfahrung, andersartige Herkunft (außerhalb Südtirols z.B.), andere Sprache / Kultur; subtile (aber schmerzhafte) Ausgrenzung ist leider nicht selten. Belästigungen jeglicher Art (nicht nur sexueller) am Arbeitsplatz kommen ebenso vor und können zu Schikanen (bis eventuell Mobbing) werden.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesen Erfahrungen als Vertrauensrätin?
Ich habe gemerkt, dass eine Klarheit von geltenden Werten ‚im Hause‘ sehr wichtige Botschaften für das gesamte Personal sind; das klare Vorleben derselben seitens der Führungskräfte spielt eine wesentliche Rolle. Leider gibt es noch häufig ‚veraltete‘ Führungsstile (z.B. nach dem ‚divide et impera‘ Prinzip), die nicht nur gegen eine gute und respektvolle Zusammenarbeit steuern, sondern auch ein schlechtes Arbeitsklima mit persönlichen Verletzungen (bis zu gesundheitlichen Auswirkungen) bringen. Dies ist ein großes Hindernis für Anerkennung und Raum zur Entfaltung beruflicher Kompetenzen mit negativen Auswirkungen auf die Motivation, Freude und Qualität auf dem Arbeitsplatz.
Es gibt teilweise auch eine Art ‚Hoffnungslosigkeit‘ bezüglich der ehrlichen und wahren Achtsamkeit für das Wohlbefinden des Personals.
Was meinen Sie mit Anerkennung?
Anerkennung ist ein sehr wichtiges Thema, das oft zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Die Leute verlieren ihre Motivation, wenn sie nie gelobt, sondern nur auf ihre Fehler hingewiesen werden; ebenso wenn sie keine berufliche Wachstumsmöglichkeiten sehen bzw. nicht nachvollziehen können, nach welchen allgemeingültigen Kriterien dies möglich ist.
Welche Lösungen gibt es in schwierigen Situationen am Arbeitsplatz?
Den Zauberstab hat niemand, oft sind Situationen sehr komplex bzw. seit Jahren nicht gelöst. Es ist wichtig zu erkennen, wer verantwortlich und handlungsfähig ist. Dies sind die internen Ressourcen, die die Vertrauensrätin zu aktivieren versucht, um gemeinsame Schritte zu setzen. Laut dem Zivilgesetzbuch und mehrerer nationaler und internationaler Gesetzesbestimmungen muss der Arbeitgeber einen physisch und psychisch gesunden Arbeitsplatz garantieren. Niemand sollte bei solchen Problemsituationen wegschauen dürfen. Die Vertrauensrätin hat keine hierarchische formale Autorität, sie kann aber als Expertin bei den Verantwortlichen auf diese Situationen verweisen und ihre Kompetenz und Achtsamkeit für eine Verbesserung anbieten.
Wieso ist die Position von außen so wichtig?
Die Dynamik in Organisationen ist immer sehr verwickelt. Ein Blick von außen, mit dem gemeinsamen Ziel des Wohlbefindens auf dem Arbeitsplatz, kann gewisse Dynamiken durchbrechen, auflösen und zur Aktivierung aufrufen.
Welche Bedeutung haben unabhängige Vertrauenspersonen in Organisationen?
Diese öffentlichen Verwaltungen haben verstanden, dass es wichtig ist, für die eigenen Bediensteten diese ‚externe / interne‘ Ressource zu schaffen, die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit garantieren kann. Es ist inzwischen allen klar, dass es sich besser arbeitet, wenn es dem Personal gut geht.
Alle ‚change manager‘ wissen, wie schwierig es sein kann, Vertrauen und Offenheit bei allen Betroffenen zu erwecken.
Die Führung dieser Betriebe hat diesen Auftrag mit einer gewissen Überzeugung eingeführt, hat sich bemüht, die neue Rolle der Vertrauensrätin zu unterstützen. Das gab mir die Möglichkeit, mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen als erste Vertrauensrätin in Südtirol zu diesen Themen zu sensibilisieren, eine ‚Kultur‘ zu schaffen. Es war für mich eine sehr interessante, positive und wichtige Erfahrung und ich bin dankbar, dass mir so viele Menschen das Vertrauen dafür entgegengebracht haben. Es ist nun wichtig, diese Aufgabe mit gleicher Überzeugung und Stärke weiterzuführen. In diesem Sinne haben sich die genannten Betriebe schon um eine Neubesetzung dieser Rolle bemüht, damit eine Kontinuität gewährleistet wird.
Wie offen ist Südtirol für diese neue Kultur?
Wie bei allen ‚Neuigkeiten‘ ist eine gewisse Skepsis menschlich. Alle ‚change manager‘ wissen, wie schwierig es sein kann, Vertrauen und Offenheit bei allen Betroffenen zu erwecken. Es gibt teilweise auch eine Art ‚Hoffnungslosigkeit‘ bezüglich der ehrlichen und wahren Achtsamkeit für das Wohlbefinden des Personals. Ich getraue mich zu sagen, dass ich es wenigstens geschafft habe, mit der Bereitwilligkeit der Auftraggeber, eine erste gute Basis für diese Rolle und ‚Kultur‘ zu schaffen; die vielen positiven Rückmeldungen sind in diesem Sinne ermunternd und ich bin zuversichtlich, dass dies nun weiterwachsen kann.
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