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Vergessene Vorwahlen

Fünf Jahre lang gab es innerhalb der SVP bei allen Wahlgängen Vorwahlen. Doch bei den anstehenden EU-Wahlen vergisst man dieses Prinzip plötzlich. Der Grund dafür ist die Angst vor der eigenen Basis.

Herbert Dorfmann ist ein glücklicher Mensch. Am Montag hat die SVP-Parteileitung beschlossen, ein technisches Bündnis mit dem PD einzugehen. Der EU-Kandidat der SVP braucht am 25. Mai 50.000 Stimmen zum Wiedereinzug in das Europaparlament. Das Abkommen liege bereits unterschriftenreif vor, heißt es aus der Brennerstraße. Für den amtierenden Eisacktaler EU-Abgeordneten ist das eine sichere Fahrkarte nach Brüssel.
Schon eine Woche zuvor hatte der SVP-Ausschuss Dorfmann zum EU-Kandidaten gekürt. Kurz und bündig, ohne größere Diskussionen. Mit bulgarischer Mehrheit. Überlagert vom allgegenwärtigen Rentenskandal.
Aber war da nicht etwas?

Die Basiswahl

Im SVP-Statut wurde vor sechs Jahren ein neuer Passus eingeführt. Im Artikel 131 mit dem Titel „Vorwahlen“ heißt es:

Alle Kandidat/innen für politische Wahlen auf jedweder Ebene können mittels Vorwahlen ermittelt werden. Zur Stärkung der Basis und Förderung der Mitsprache von allen Mitgliedern werden grundsätzlich zur Nominierung des/der Spitzenkandidaten/in für die Europawahlen sowie für alle Kandidaturen für politische Mandate auf jedweder Ebene, die nicht mit Vorzugsstimmen bestimmt werden, Vorwahlen unter den Mitgliedern durchgeführt.

An dieses Prinzip der Basiswahl hielt sich die SVP in den letzten Jahren eisern. Bei allen Wahlgängen der letzten fünf Jahre gab es unterm Edelweiß Vorwahlen. Die Mitglieder der Volkspartei konnten so nicht nur entscheiden, wer sie in Rom vertreten soll, sondern auch, wer letztlich Spitzenkandidat bei den vergangenen Landtagswahlen werden sollte.
Bei manchen Wahlgängen gab es sogar eine Art doppelte Vorwahl. Zuerst bestimmten die Ortgruppen und deren Delegierte  nach dem traditionellen Modus der Kandidatenaufstellung per Stimmrecht die Kandidatinnen und Kandidaten, die zur Basiswahl zugelassen werden. Danach konnten die SVP-Mitglieder per Basiswahl jene Kandidaten ermitteln, die dann wirklich auf die SVP-Liste kommen.

Premiere 2009

Das neue System der Basismitbestimmung feierte ausgerechnet im Frühjahr 2009 bei den damals anstehenden EU-Wahlen seine Premiere. Insgesamt sechs Kandidatinnen und Kandidaten stellten sich zur Wahl. Zuerst bestimmten die SVP-Bezirke mit ihren Stimmrechten landesweit die Reihung der Kandidaten auf dem Stimmzettel; in jenem Wahlgang setzte sich nicht Herbert Dorfmann (570 Stimmen), sondern der Bozner Anwalt Christoph Perathoner mit 766 Stimmen durch. Dann kam es erst zur eigentlichen Vorwahl. Bei dieser Basiswahl am 5. April 2009 hatte dann Herbert Dorfmann mit 42,28 Prozent der Stimmen die Nase vorn.
Heute, fünf Jahre später, ist plötzlich alles anders. Obwohl es bei den anstehenden EU-Wahlen keine Vorzugsstimmen gibt, denkt anscheinend niemand mehr an Vorwahlen. Es gibt weder Gegenkandidaten, noch scheint sich jemand daran zu stören, dass selbst die seit Jahrzehnten praktizierte Wahl durch die Ortsgruppen und Bezirke kurzerhand ausgesetzt wird. Der SVP-Parteiausschuss hat den neuen EU-Parlamentarier einfach per Akklamation wieder nach Brüssel entsandt. Laut SVP-Statut ist das auch möglich.

Russisches Roulette

Es gibt viele Gründe für das plötzliche Ende des basisdemokratischen Furors unterm Edelweiß. Offiziell wird man sagen: „Es war organisatorisch nicht mehr machbar. Man kann nicht gleichzeitig einen Parteiobmann wählen und Vorwahlen abhalten. Zudem gab es im vergangenen Jahre gleich zweimal Vorwahlen (Parlament und Landtag). Langsam wird es den Mitgliedern zu viel."
Dabei steht der Termin der EU-Wahlen seit fast fünf Jahren mehr oder weniger fest. Die Organisation der Vorwahlen hätte zu Beginn dieses Jahres starten können. Da gab es weder einen Rentenskandal noch Wutbürger.
Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Hauptgrund für den plötzlichen Prinzipienwechsel in der SVP. Der Rentenskandal hat die Volkspartei in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt. Die Parteispitze bereits geopfert weiß man in der Brennerstraße nur zu gut, dass die Mitglieder damit noch nicht besänftigt sind.
Niemand kann derzeit wirklich sagen, ob man die eigene Parteibasis überhaupt noch unter Kontrolle hat. Davor hat man Angst. In dieser Situation das politische Initiativrecht der Basis in die Hand zu geben kann ein bisschen wie russisches Roulette sein.
Deshalb hat man jetzt in der Volkspartei nach alter Manier von oben herab entschieden und die Vorwahlen ganz schnell vergessen. In der Hoffnung, dass es niemandem auffällt