Politica | Wie können die Bürger die Finanzen der eigenen Gemeinde mitbestimmen?

Den Bürgerhaushalt auch in Südtirol anwenden

Normalerweise haben die Bürger in Italien aufgrund der Verfassung (Art. 75, Absatz 2) keinen Zugriff auf die öffentlichen Haushalte, Ausgaben und auf Steuerbestimmungen; sie können demnach nicht direkt über die Gemeindefinanzen abstimmen. Doch gibt es in anderen Ländern und Regionen seit Jahrzehnten bewährte Verfahren der Bürgerbeteiligung an Haushaltsentscheidungen, vor allem auf Gemeindeebene. Der sog. Bürgerhaushalts bietet den Bürgerinnen die Möglichkeit, direkt, dauerhaft und eigenständig an der Gestaltung des Gemeindehaushalts mitzuwirken. In Brasilien und Neuseeland entstanden, wird dieses Verfahren heute in Hunderten von kleineren und größeren Kommunen Europas angewandt. Bekannt ist das Städtchen Grottammare in den Marken, aber auch Großstädte wie Sevilla und Córdoba, Bradford und Darmstadt, sowie Stadtbezirke von Berlin, Rom und Paris wenden den Bürgerhaushalt an. In Südtirol hat bisher nur die Gemeinde Mals den Bürgerhaushalt per Statut eingeführt.
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 Der Bürgerhaushalt ist keine bloß einmalige Volksabstimmung oder Umfrage, sondern ein auf Dauer angelegtes, genau geregeltes Verfahren. In der Regel wird mit dem Bürgerhaushalt zumindest über einen Teil des Haushaltsvoranschlags, meistens über einen Teil der Investitionen des kommenden Jahres mitbestimmt. Dabei werden die Bürger viel genauer als bisher über den Haushaltsvoranschlag informiert, sie können eigene Vorschläge entwickeln und in aufeinander abgestimmten Bürgerversammlungen auch zumindest über einen Teil der Investitionsvorhaben mitentscheiden.

Doch was nützt ein Bürgerhaushalt, wenn die Gemeinde ohnehin knapp bei Kasse sind? Ist das Verfahren nicht zu aufwändig, wenn gleichzeitig gespart werden muss? Nein, das Verfahren ist im Vergleich zum Zugewinn an demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeit nicht besonders aufwändig. Zudem hat es sich gerade bei knapper werdenden Gemeindefinanzen als Vorteil erwiesen, dass Bürgerwissen erschlossen wird, dass Sparmöglichkeiten gemeinsam erörtert und bestehende Verschwendung mithilfe der Bürger aufgezeigt wird.

 

Auch die Frage der Kompetenz wird immer wieder gestellt: ist der Haushalt nicht zu schwierig für die einfachen Bürger, zumal sich selbst Gemeinderäte nicht immer damit auskennen? In Südtirol haben viele Gemeinden mit breiter Beteiligung der Bevölkerung Leitbilder entwickelt und Schwerpunkte für ihre Entwicklung gesetzt. Konkret werden solche Leitlinien aber, wenn es ums Geld geht, wenn finanzielle Entscheidungen getroffen werden. Der Haushalt ist das in Zahlen geronnene Tätigkeitsprogramm der Gemeindeverwaltung für das kommende Jahr, das in einer modernen Demokratie nicht nur Experten überlassen bleiben kann. Der Bürgerhaushalt übt einen heilsamen Zwang auf die Verwaltung aus, den Haushalt besser zu erklären, und motiviert die Bürger, sich aktiv mit diesem Dokument zu befassen.

 

Eine neue Publikation von POLITiS geht auf Sinn und Zweck, Formen und Verfahrensabläufe der heute praktizierten Bürgerhaushalte ein. Darin werden kurz Erfahrungen aus dem In- und Ausland geschildert, Bürgermeister interviewt und ein Modell eines solchen Verfahrens für typische Südtiroler Gemeinden vorgeschlagen. Der Bürgerhaushalt könnte in einer passenden Variante auch in Südtirol eingeführt werden, um der direkten Mitwirkung an der Gemeindepolitik mehr Qualität zu verschaffen. Die Publikation ist erhältlich bei der Sozialgenossenschaft POLITiS Onlus, [email protected].
 

Thomas Benedikter