Cultura | Salto Afternoon
„Traurig, aber auch menschlich“
Foto: Frontiere Grenzen/La Bottega dell'Arte
Herr Zangrado, die Presseaussendung des Trägervereins La Bottega dell'Arte bleibt vage: „Non ci sono più le condizioni per proseguire.“ Welche Vorraussetzungen sind nicht mehr gegeben?
Stefano Zangrado: Wir hatten dazu natürlich einen internen Austausch. Soweit ich weiß war der Tod von Nando Acierno am Anfang des Jahres entscheidend, denn Nando war sozusagen die Säule des Preises. Er war ein wirklich engagierter Organisator und der erste, mit dem ich vor Jahren gesprochen habe. Er hatte mich angerufen um mich einzuladen teilzunehmen. Weil diese Gruppe von Organisatoren und Organisatorinnen sehr verbunden, wie eine kleine Familie ist, war auch der Tod von Nando ein ziemlicher Schlag. Schon letztes Jahr wurde beschlossen den Preis aus Pandemie-Gründen um ein Jahr zu verschieben, dann kam Nandos Tod. Seitdem war die Organisation nicht mehr so einfach. Meines Wissens nach wäre es auch schwerer gewesen, Sponsoren in das Projekt einzubinden. Das ist allgemein nicht einfach, für einen solchen Literaturpreis besonders. Es wurde, glaube ich, auch versucht, bei anderen Leute anzufragen, ob sie mitmachen würden, das hat aber nicht geklappt. Da war eine Gruppenatmosphäre, die nicht mehr da gewesen ist. Trauer war da.
Ein familiäres Gefühl findet sich auch in den Reaktionen auf den Tod von Joseph Zoderer und Peter Oberdörfer wieder, die Teil der Jury waren, hatten Sie mit ihnen Berührungspunkte?
Nicht mit Zoderer, aber Oberdörfer war derjenige, der mich einbezogen hat. Ich weiß noch, als Peter dann gestorben ist, das war schon… das ist eben die Sache: Diese Gruppe war kein Büro. Das war eine kleine Familie in den Bergen, die aus reiner Leidenschaft diesen Preis auf die Beine gestellt hat. Sie hat stark daran geglaubt und dann kamen der Tod Oberdörfer, später Zoderers, das war für sie der Verlust eines Mitglieds. Aber Nando war das Entscheidende, glaube ich. Ich kann nur sagen, dass die Emails, die wir als Jurymitglieder erhalten haben, alle mit Herz beladen waren. Das war das Schöne an dem Preis. Man hat gut gearbeitet, weil man sich zuhause und gut aufgenommen gefühlt hat.
Der Preis ist im Laufe der Jahre gewachsen, was das - auch sprachliche - Einzugsgebiet betraf. Wie kann man sich da die Juryarbeit vorstellen? Die Fremdsprachenkenntnis kann ja nicht bei allen Juroren gegeben gewesen sein…
Nein. Wir haben uns die Aufgaben aufgeteilt. Es waren die Organisatoren die Leserinnen und Leser für alle Sprachen ausgesucht haben. Ich habe mit Helena Janeczek die deutschsprachigen Geschichten gelesen, für Slowenien etwa war jemand anderes zuständig, die uns auch einige Übersetzungen geliefert hat. Für das Italienische waren Carlo (Martinelli), Pietro (De Marchi), ich und auch Helena gefragt. Jeder hat seine Rolle gespielt und seinen Beitrag geleistet, auch in Punkto Netzwerk und Ansprechpartner. So ging das, es war locker und familiär.
...das waren richtig viele und das war überhaupt nicht einfach. (...) Man hat sich immer wieder geschrieben, das waren bestimmt über 100 Erzählungen.
Es gab insgesamt knapp über 1900 Einreichungen. Wieviele haben Sie schätzungsweise gelesen?
Ich habe mir heute Nacht gedacht, dass es schade ist, dass ich vor einem Jahr umgezogen bin, ansonsten hätte ich Ihnen auch noch den Stapel der letzten Ausgabe zeigen können. Das waren richtig viele und das war überhaupt nicht einfach. Das war der Sommer 2019, als wir zum letzten Mal all diese Erzählungen zu lesen hatten. Man hat sich immer wieder geschrieben, das waren bestimmt über 100 Erzählungen. Das war so ein Stapel. Die Texte waren auch unterschiedlich lang. Manchmal kamen Geschichten, die waren drei Seiten lang, manchmal auch zehn bis zwanzig. Die Länge war nicht vorgegeben. Man hat alles mögliche bekommen, darunter auch sehr gute Geschichten. Ein Vor- und Nachteil der Literaturpreise ist, meiner Erfahrung nach, dass man sehr gute Geschichten bekommt, aber auch manche, bei denen man nach zehn, zwanzig Zeilen merkt: „Okay, das ist vielleicht doch nichts.“
Aber auch da wurde immer zu Ende gelesen?
Ja, sowieso. Das wäre sonst den Teilnehmern gegenüber nicht korrekt gewesen. Aber das ist auch schön: Man kann sich eigentlich kaum vorstellen, wie viele Leute schreiben, nicht um zu versuchen sich dadurch zu behaupten, sondern einfach um Geschichten zu erzählen, weil ihnen das gefällt.
2017, als Marino Magliani mit „Sabbia“ in der Kategorie „racconti editi“ gewonnen hat, ging es überhaupt nicht um Berge, es ging um das Meer.
Man war auch für alle Genres der Gegenwartsliteratur offen - wurde das auch angenommen? Es wurden auch „Nischen“-Genres wie Horror, Fantasy oder Sciencefiction als willkommen gelistet.
Ja, es gab auch diese Genres, die Form war aber immer die der Erzählung: Natürlich war es immer frei, auch wenn wir nicht unbedingt Krimi-Erzählungen wollten. Man hat zwar immer wieder Geschichten bekommen, in denen es etwas klischeehaft um Alpen, Berge und Krieg ging, aber das gehört auch dazu: „Premio internazionale delle alpi - Frontiere Grenzen“, da haben viele geglaubt, das passe perfekt dazu, das sei der richtige Preis für einen solchen Text. Das war manchmal der Fall, manchmal nicht.
2017, als Marino Magliani mit „Sabbia“ in der Kategorie „racconti editi“ gewonnen hat, ging es überhaupt nicht um Berge, es ging um das Meer. Es ging im Grunde um Qualität, auch wenn der Begriff nicht wissenschaftlich zu fixieren ist. Wir waren vier bis fünf Autor:innen in der Jury, jeder mit seinem Geschmack und Gespür für Qualität. Es war auch schön als wir zusammenkamen, jeder mit zehn Texten von denen er oder sie sagte, das seien die besten. Da gab es mal Übereinstimmungen, mal überhaupt nicht, dann hat man sich ehrlich damit auseinander gesetzt. Wir sind dann immer zu einem einstimmigen Urteil gekommen.
Wenn man von so unterschiedlichen Texten spricht, welche Kriterien musste ein Text für Sie erfüllen, was musste er mit Ihnen als Leser machen um preiswürdig zu sein?
Die Herausforderung war, nicht mit dem eigenen Geschmack zum Text zu kommen, da ich etwa mit einer Fantasy-Geschichte, oder einer Erzählung im Horror Ton nichts am Hut hatte. Es waren dann Kriterien wie Komposition, Stil und wie lebendig einem die Figuren erscheinen ausschlaggebend und wie spannend die Geschichte wird. In wenigen Seiten ist eine vollkommene Form zu schaffen, da sollte alles stimmen. Die Handlung war nicht das wichtigste. Um auf Magliani zurück zu kommen, da waren es Stil, Duktus und Atmosphäre, die Fähigkeit einen Mikrokosmos heraufzubeschwören, die überzeugten. Es gibt immer etwas nicht ganz greifbares in der Literatur, bei dem man das Gefühl hat: „Da ist etwas“. Das ist nicht immer leicht zu bestimmen, aber wir waren mehr oder weniger immer einer Meinung in diesem Gefühl.
Natürlich hat das auch mit Handwerk zu tun, aber es lässt sich auch behaupten, dass Handwerk neben Stil, Komposition, Handlung und Figuren auch mit der Tatsache, dass hinter dem Text ein Herz schlägt, zu tun hat. Andere Geschichten waren dagegen vielleicht gut geschrieben, aber bei ihnen kam das nicht so hervor, wie bei anderen. Qualitäten sind auch im Plural zu verstehen: Die eine Eigenschaft prägt einen Text vielleicht besonders aus, eine andere wieder den nächsten Text. Das klingt vielleicht etwas impressionistisch, aber die Musik der Sprache ist für mich wichtig und dass diese eine lebendige Geschichte in sich trägt. In einer Geschichte muss man auch begleitet werden und das macht den Unterschied, denke ich.
Eine Herausforderung in der Kurzprosa ist auch, wenn man den Leser abgeholt hat, einen Bogen bis zum Ende zu spannen. Hat für Sie „Frontiere Grenzen“ einen solchen Bogen gespannt? Ist man nun an einem Punkt, wo man sagen kann, man hat die zehn Ausgaben gehabt und es war schön, oder ist es für Sie bitter?
Ich will dieses Ende nicht als einen Bruch erleben, oder als wäre etwas aus dem Leben gerissen worden; auch nicht als ein Scheitern, wie etwa eine Ehe scheitern kann. Am besten sollte man diesen Bogen als etwas Vollkommenes verstehen. Natürlich, man bedauert, dass der Preis im Moment nicht mehr da ist. Ob jemand etwas davon übernimmt, das weiß ich nicht. Das sollte vermutlich und hoffentlich auch mit neuen Kräften und Menschen gemacht werden. Das ist eine Geschichte - zwanzig Jahre, zehn Ausgaben in einer Zeit in der sich viel verändert hat in unserem Land, auch in Sachen interkultureller Austausch in allen Sprachen und Kulturen - dazu hat „Frontiere Grenzen“ etwas beigetragen.
Der Umstand, dass gerade in der letzten Ausgabe ein Peter Oberdörfer Preis ausgegeben wurde, für einen Künstler der bestimmte Eigenschaften haben sollte, ist auch als wäre der Preis in einem rumreichen Moment geendet, ohne zu einer Phase der Erschöpfung zu gelangen. Das ist auch nicht schlecht, dass man nicht sagen muss, man hätte keine Einreichungen mehr gehabt, dass in einem Moment in dem viele darauf gewartet haben, dass der Preis wieder ausgeschrieben wird, aus Gründen der Vergänglichkeit Schluss war. Dass all das eine Rolle gespielt hat ist traurig, aber auch menschlich. Richtig nicht, aber menschlich.
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