Società | Umweltschutz

Von Eseln und herrlichen Träumern

Heuer feiert der Dachverband für Natur- und Umweltschutz sein 40-jähriges Bestehen. Gründungsmitglied Florin Florineth über die Anfänge.
Florineth, Florin
Foto: Florin Florineth (privat)
Salto.bz: Herr Florineth, 40 Jahre Dachverband für Natur- und Umweltschutz. Wie hat alles angefangen?
 
Florin Florineth: Alles begann damit, dass ich im Jahr 1975 gemeinsam mit einigen anderen Fachleuten erfolgreich gegen die Mülldeponie, welche die Bezirksgemeinschaft in den Eyrser Auen errichten wollte, vorgegangen bin. Die Gründung der Vinschger Umweltschutzgruppe erfolgte dabei mehr inoffiziell als offiziell. 1978 wurde der Bau der Autobahn Ulm – Mailand aufgeworfen, gegen die wir uns ebenfalls erfolgreich ausgesprochen haben, und auch die 380 kV-Leitung konnte verhindert werden.
 
Wie ging es weiter?
 
Ich habe gemerkt, dass wir als lokale Umweltschutzgruppe zu schwach waren und uns breiter aufstellen mussten – auch fachlich. Ich hatte bereits einige Kontakte mit dem Alpenverein, dem Heimatpflegeverband sowie Florian Schrott vom Verein „Lia per Natura y Usanzes” und der Pustertaler Gruppe. Heiner Gschwend, der nicht nur den Alpenverein als Naturschutzbeauftragter vertrat, sondern auch ein gefragter Künstler war, habe ich beispielsweise von einem Gerüst in Meran heruntergeholt, als er gerade an einer Fassadenmalerei arbeitete. Im Mai 1982 haben wir dann offiziell den Dachverband für Natur- und Umweltschutz gegründet. Zur Eröffnungsfeier waren auch der damalige Landeshauptmann Silvius Magnago und sowie sein Stellvertreter Alfons Benedikter gekommen.
 
 
 
Wie haben die damaligen politischen Interessensvertreter auf die Gründung reagiert?
 
Sie waren etwas überrascht und haben sich wahrscheinlich gefragt, wozu es so einen Verein braucht. Sie waren schließlich davon überzeugt, dass sie auch recht viel in dieser Hinsicht machen würden. Die Kontakte zu beiden Politikern haben sich mit der Zeit deutlich verbessert und wir haben sehr gute Gespräche geführt, auch wenn wir inhaltlich nicht immer einer Meinung waren. Ich war oft am späten Abend zu Gesprächen bei Landeshauptmann Magnago eingeladen, der bekanntermaßen ein „Nachtarbeiter“ war.
 
In welchen Bereichen gab es inhaltliche Differenzen?
 
Die Wirtschaft hat nicht gerade begeistert reagiert, als die aus ihrer Sicht „Exoten“ einen Verband, der sich um Naturschutz kümmerte, gegründet haben. Man hat uns wohl auch als Gefahr wahrgenommen und eine Eindämmung des Tourismus und des Verkehrs befürchtet. Damals herrschte die Meinung vor, dass mehr Verkehr das Wachstum anzukurbeln würde. Wir haben sehr starken Gegenwind gespürt.
 
Herr Florineth, Sie sind eigentlich ein netter Mensch, aber als Naturschützer ein Esel!
 
Auch in der medialen Berichterstattung?
 
In der Zeitung waren wir nicht unbedingt Idioten, aber in Gesprächen mit Wirtschaftsvertretern spürten wir doch, dass sie nicht allzu viel von uns hielten. Wir haben uns beispielsweise gegen den Bau eines Wasserkraftwerks in Rein in Taufers ausgesprochen, das die ENEL dort errichten und damit auch die schönen Reinbachfälle trocken legen wollte. Nachdem es uns gelungen war, den Kraftwerksbau zu verhindern, ist die Gemeinde auf uns zugekommen und hat den Vorschlag gemacht, ob nicht trotzdem ein kleineres Kraftwerk gebaut werden könnte. Meiner Meinung nach ein idiotischer Vorschlag. Wenn es gegen einen staatlichen Kraftwerksbau geht, sind alle dagegen, und dann wollen sie es plötzlich selber bauen. Wir haben eine große Bürgerversammlung organisiert und der damalige Bürgermeister hat sich fürchterlich aufgeregt. Als wir anschließend im Gasthaus zusammengesessen sind, hat mich der Bürgermeister mit den Worten angesprochen: „Herr Florineth, Sie sind eigentlich ein netter Mensch, aber als Naturschützer ein Esel!“, woraufhin er von mir zur Antwort bekam: „Danke für das Kompliment. Der Esel ist ein sehr intelligentes Wesen, er ahnt Gefahren nämlich im Voraus.“
 
Wie hat sich das Verhältnis zur Politik verändert?
 
Am Beginn waren wir die Esel, in der nächsten Phase dann Träumer. 1986 haben wir anlässlich 80 Jahre Vinschgerbahn in Mals eine Feier abgehalten, weil die Befürchtung im Raum stand, dass sie aufgelassen werden könnte und wir dem Projekt einen Schub geben wollten. Umweltlandesrat Giancarlo Bolognini, den wir zu einem Vortrag eingeladen hatten, hat uns als herrliche Träumer bezeichnet. Seiner Ansicht nach waren die Übernahme der Vinschgerbahn durch das Land und die Wiederinbetriebnahme nicht realistisch.
In der dritten Phase waren wir die unangenehmen Rufer in der Wüste, wo die Zuständigen dann gemerkt haben, dass wir vielleicht doch recht haben, die Wahrheit aber sehr unbequem ist. In der vierten Phase wurden wir dann eingeladen mitzugestalten, weil erkannt wurde, dass wir einerseits politisch unabhängig agieren und andererseits fachlich gut aufgestellt sind. Wir wurden dann in verschiedene Kommissionen wie Baukommission oder Naturparkkommission berufen. Unsere Meinung war plötzlich gefragt.
 
 
 
Was war Ihre Strategie?
 
Bei Bürgerversammlungen, zu denen auch italienische Landesräte eingeladen wurden, haben wir den CAI und den Umweltschutzverein Legambiente ebenfalls mit ins Boot geholt, um zu verhindern, dass Umweltthematiken ins volkstumspolitische Eck gerückt werden. Ich war nie in einer Partei und habe immer das Fachliche in den Vordergrund gestellt. Damit bin ich immer gut gefahren.
 
Wie sehen Sie heute im Jahr 2022 die Rolle des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz?
 
Damals stand die Verhinderung von Großprojekten, die einen schweren Eingriff in die Natur- und Landschaft bedeutet hätten, im Vordergrund. Heute ist das zentrale Thema der Klimaschutz – ein riesiges und unglaublich umfangreiches Thema, für das man nicht genug Einsatz zeigen kann. Die Klimadaten können schließlich nicht mehr geleugnet werden. 2021 hatten wir das wärmste Jahr, seit es Aufzeichnungen gibt.
Obwohl die Umstände sehr unglücklich und tragisch sind – die Invasion in die Ukraine ist ein großes Verbrechen – hat dieses Ereignis „glücklicherweise“ dazu geführt, dass ein Umdenken in der Energieversorgungspolitik stattgefunden hat. Der Fokus liegt nun auf der Unabhängigkeit von Öl- und Gaslieferungen. In Österreich hat das zu einem beispiellosen Boom bei Photovoltaik-Anlagen und Holzheizungen bzw. Holzherden geführt. Man bemüht sich, den Strom den man braucht, selbst zu erzeugen. Was Solarkraft anbelangt, wäre im sonnigen Südtirol durchaus noch Potential vorhanden.
 
Jeder will alternative Energieformen, aber keiner vor seiner eigenen Haustür.
 
Das Unternehmen Leitwind hat in alternative Energien sprich Windkraft investiert und wollte auf dem Sattelberg bei Sterzing einen Windpark errichten. Aufgrund der Proteste konnte das Projekt nicht realisiert werden. Inzwischen ist das Unternehmen mit seinem Know-How nach Süditalien ausgewichen und hat dort einen Windpark errichtet.
 
Das Problem ist folgendes: Jeder will alternative Energieformen, aber keiner vor seiner eigenen Haustür. Auch in der Malser Heide wurden zwei Windkraftparks errichtet, den Lärm hat man in zwei Kilometern Entfernung noch wahrgenommen. Im Gegensatz zu Solaranlagen sind Windkraft-Anlagen nicht ganz unproblematisch.
 
Sie sind auch als Autor sehr erfolgreich. Mit ihrem Buch „Pflanzen statt Beton“ haben Sie ein großes Publikum erreicht, aber erst in jüngster Zeit scheinen sich innovative Ideen wie Dach- und Fassadenbegrünung auch im modernen Städtebau durchzusetzen.
 
Ich habe in diesem Buch über mein Fachgebiet geschrieben. 1994 wurde ich an die BoKu in Wien berufen, wo ich am Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau (IBLB) forschte und unterrichtete. Als Vertreter des Naturschutzes habe ich natürlich versucht, die Studenten für Themen wie Flussbettaufweitung, Fassaden- und Dachbegrünung zu sensibilisieren.
 
Der Dachverband hat nicht nur parteipolitisch unabhängig, sondern auch fachlich sehr gut gearbeitet.
 
In einem Interview mit der ff aus dem Jahr 2011 haben Sie Südtirol vorgeworfen, dass es politikerhörig sei. Wie ist Ihr Fazit heute, nachdem die aktuelle Regierung sehr auf Nachhaltigkeitskonzepte in allen Bereichen setzt.
 
Es ist uns offenbar gelungen, die Politik zu überzeugen. Der Dachverband hat nicht nur parteipolitisch unabhängig, sondern auch fachlich sehr gut gearbeitet. Die Politik reagiert in erster Linie auf ihre Wähler. Wenn diese sich für Umweltthemen stark machen, dann muss auch die Politik reagieren.