Cultura | Salto Gespräch
„Nicht gern als Kategorie wahrgenommen“
Foto: Privat
Eigentlich sind sie schon mitten im Geschehen und das nicht erst seit heuer. Den Ort für unser Interview haben wir kurzfristig geändert damit die drei, während wir über die nicht so ferne Zukunft sprechen, den Aufbau eines Konzerts im Garten des Parkhotel Laurin beaufsichtigen können. Die ganz nahe Zukunft haben sie also auch im Blick.
Salto.bz: Wenn Sie das Festival nächstes Jahr übernehmen, gibt es schon Ideen zur Rollenaufteilung?
Stefan Festini Cucco: Wir übernehmen das Festival heuer schon. Im November wird der neue Vorstand gewählt, da werden die Rollen vergeben. Ganz genau wissen wir es noch nicht.
Wird es wieder so sein, dass es eine Person an der Spitze gibt, oder braucht es einen Festival-Direktor als solchen vielleicht gar nicht?
Max von Pretz: Da muss man unterscheiden zwischen dem austragenden Verein und dem Festival als solchem. Ich denke, das Festival werden wir zu dritt machen, ohne Lead-Figur. Beim Verein braucht es einen Präsidenten oder eine Präsidentin. Wie sehr im Vordergrund diese Person dann steht, wird sich zeigen, wenn wir entschieden haben, wie der Verein aufgestellt wird.
Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie Jazz gehört haben? Was war das für eine Erfahrung?
Festini Cucco: Ich glaube, mich zu erinnern. Ich denke, dass es eine Scheibe von Stan Getz war. Ich habe klassische Geige am Konservatorium gelernt, war vertieft in die Welt der Klassik. Diese Musik brach aus den Parametern, die ich kannte aus und das war für mich eine Öffnung.
von Pretz: Ich spielte mit neun, zehn Jahren Klavier und meine Schwester hat mir von einem Konzert eine CD von Chris Pescosta und Alex Trebo mitgebracht und ich war fasziniert. Noch heute kann ich jedes Piano-Solo von Trebo auswendig singen.
Roberto Tubaro: Ich erinnere mich nicht an das erste Mal, ich war immer schon eingetaucht in dieses Genre. Aber ich erinnere mich, als ich das erste Mal beim Festival etwas gehört habe, das anders war, als das was ich gewohnt war zu hören, Swing oder traditionellen Jazz. Ich muss sagen, dass ich nicht sofort verstehen konnte, was ich da hörte. Da mir der traditionelle Jazz gefiel, war es am Anfang eine spezielle Begegnung, aber mir wurde klar, wie sehr es eine andere, interessante Musikwelt war, die nur viel unbekannter für mich war. Da begann auch die Leidenschaft für die Organisation Jazzfestival.
Diese Entwicklung geht auch gerade im Jazz sehr schnell, weil viele junge Künstler, mit all ihrer Experimentierfreude nicht gern als Kategorie wahrgenommen werden wollen.
Welche Beziehung habt Ihr zur Unterteilung von Musik in Genres? Auf dem Programm des Südtirol Jazzfestivals findet sich viel, das auch in andere Genres passen würde.
von Pretz: Dieser Trend lässt sich in vielen Jazzfestivals bemerken und das ist eine Frage, die häufig gestellt wird. Ist das Jazz und wenn nicht, was ist es? Auf Festivals mit einem Profil ähnlich dem unseren geht es nicht mehr um die Kategorisierung der Musik an sich, sondern mehr um ein Lebensgefühl und eine Herangehensweise. Es geht hauptsächlich um den kreativen Ansatz etwas Neues zu versuchen und mutig zu sein.
Festini Cucco: Kategorien werden ja auch in anderen Bereichen ständig neu definiert. Das ist in der Kultur, auch in der Gesellschaft so. Jede Kategorie, die der Mensch entwickelt, entwickelt sich auch weiter. Diese Dinge sind nicht als etwas Statisches anzusehen und so ist es auch mit der Kategorie Jazz. Heutzutage ist es so, dass, vielleicht auch gerade im Europäischen Jazz, die Einflüsse solche sind, wie es sie etwa im Jazz aus den Staaten weniger gibt. Da gibt es eine Beeinflussung und Wechselwirkung mit anderen Genres. Das ist mittlerweile sehr fluide. Dafür ist die Szene, die man als Jazz definiert ein fruchtbarer Nährboden, weil es viel Individualismus gibt.
von Pretz: Absolut. Diese Entwicklung geht auch gerade im Jazz sehr schnell, weil viele junge Künstler, mit all ihrer Experimentierfreude nicht gern als Kategorie wahrgenommen werden wollen und sagen: „Meine Musik ist meine Musik.“
In welche Richtung sollte das Jazzfestival Südtirol bevorzugt wachsen: Sollte es mehr Menschen nach Südtirol bringen, oder mehr Südtiroler erreichen?
Festini Cucco: Ich glaube nicht, dass das eine das andere ausschließt. Wir wollen beide Ziele verfolgen. Oder, was sagt ihr?
Tubaro: Auf der einen Seite ist das lokale Publikum wichtig, auf der anderen geht es um eine Art von Musik, die nicht von 100% der Bevölkerung gehört wird. Jazz ist eine Nische, weswegen es für unser immer wichtig wäre, weiter nach draußen zu gehen, was in den letzten Jahren gut gelungen ist. Es werden immer mehr Kultur-Reisen nach Südtirol organisiert. Es hilft, dass wir in einer schönen Gegend leben und dass das Publikum weiß, dass sie während der zehn Tage viele Konzerte besuchen können. Heuer habe ich zwei Gäste kennen gelernt, die aus Ungarn gekommen sind. Das kommt auch der Region zugute, auf Kulturtourismus zu setzen.
Gleichzeitig gilt es, unser Publikum vor Ort zu finden.
Festini Cucco: Vielleicht ist es wichtig statt numerisch auf Quantität zu setzen, auf ein Qualitätspublikum zu zielen, zu versuchen, das Publikum von außerhalb für die gesamte Dauer des Festivals hier zu halten. In etwa wie man das mit einigen Artists in Residence macht, die sich hier vernetzen und neue Projekte entwickeln, das wäre auch in Sachen Nachhaltigkeit gut.
Tubaro: Ich habe bemerkt, dass wer von außerhalb kommt, wahrscheinlich mehr das Festival genießt, als die Personen vor Ort, die ich kenne und die vielleicht zu ein, zwei Konzerten kommen. Wer hier lebt sagt sich „Ich schaue mir nicht alle Abende an.“
Workshops und Guided Listening. Dadurch könnte man sensibilisieren für die Musik, sie zugänglicher machen.
Da spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle: Wer von außerhalb kommt, ist im Urlaub…
Tubaro: Wer in Ferien ist, kommt hier her um das Festival zu genießen. Wer hier lebt, hat alles mögliche zu tun und wählt vielleicht auch eher nur die Konzerte am Abend. Wer im Urlaub ist, geht auch auf eine Matinee, oder ein Nachmittagskonzert.
von Pretz: …und da unser Festival experimentellen Gegenwartsjazz anbietet befinden wir uns in einer Nische in der Nische, weswegen es wichtig ist, ein Publikum zu haben, das sich auskennt, sei es lokal, wie auch international. Ich glaube schon, dass aktuell ein tolles, junges Kulturpublikum nachkommt, das auch offener ist für solche Dinge. Wir möchten auch mit dem lokalen Publikum, nicht nur in Form von Konzerten, ganzjährig arbeiten und - wenn es die Mittel zulassen - auch Audience-Development machen, etwa Workshops und Guided Listening. Dadurch könnte man sensibilisieren für die Musik, sie zugänglicher machen. Internationales Publikum ist aber ein großes Thema für uns und das ist über die Jahre immer mehr geworden, was spürbar ist.
War das ein Zuwachs oder eine Verschiebung?
von Pretz: Von mir aus gesehen ein eindeutiger Zuwachs. Wir rechnen mittlerweile mit knapp mehr als der Hälfte ausländischem Publikum, das eigens anreist, oder Konzerte besucht, weil es vor Ort ist.
Wenn man diese Aufteilung von knapp mehr als der Hälfte ausländischem Publikum hört, stellt sich die Frage, ob Tourismus für Sie eher ein kollateraler Effekt oder ein mitgedachter Faktor, etwa bei der Auswahl von Locations ist.
von Pretz: Nicht aktiv. Wir arbeiten aber gut zusammen mit touristischen Institutionen als Produktions- und Kommunikationspartner. Unsere Absicht ist es, durch das Produkt Südtirol Jazzfestival einen qualitativ hochwertigen und nachhaltigen Kulturtourismus zu erzeugen.
Festini Cucco: Ich glaube, oft sind die idealen Locations eben auch touristische Locations. Vielleicht wären auch mehr Investitionen in einen sanften Kulturtourismus nicht schlecht. Wenn man sich etwa die Stadt Bozen ansieht, dann passiert hier viel Gutes. Ich spreche da nicht nur vom Jazzfestival, sondern auch von Bolzano Danza, Transart, Busoni und anderen, die durchaus auch im größeren Kontext mithalten können. Aber bewusst gedacht ist der Tourismus eher nicht.
Tubaro: Wir versuchen auch - genau wie mit der Musik - mit den Locations das Publikum zu überraschen. Sicherlich ist das wichtigste die richtige Musik mit der richtigen Location zusammenzubringen.
Je höher man seine Ziele setzt, umso mehr nimmt die Arbeit zu.
Welche Ziele habt Ihr für das Jazz Festival? Wollt Ihr die aktuellen Dimensionen halten, oder zielt Ihr höher?
Tubaro: Leider versuchen wir seit einigen Jahren immer höher zu zielen. Ich sage leider, weil die Lust da ist, aber wir immer die gleichen sind. Je höher man seine Ziele setzt, umso mehr nimmt die Arbeit zu. Man muss auch einen Weg finden damit umzugehen, es immer besser machen zu wollen. Das ist eine dieser Sachen, die wir in Zukunft besser verstehen wollen, weil die Lust da ist, immer besser und immer mehr zu machen. Nicht unbedingt, was die Zahl der Konzerte betrifft.
Festini Cucco: Zum Beispotel was das Design der Locations anbelangt.
von Pretz: Auch die Kommunikation mit unserem Zielpublikum betreffend. Das sind Arbeiten, die zunehmen.
Wie bewältigen Sie diesen Zuwachs beim Pensum?
Festini Cucco: Was eine positive Entwicklung ist, ist dass wir seit letztem Jahr einen zentralen Ort haben, an dem auch eine stärker fühlbare Festivalatmosphäre entsteht. Vorher gab es wenige Locations an denen zwei Konzerte stattgefunden haben. Jetzt mit dem Kapuzinerpark ist das anders. Das ist auch wichtig, weil es bei einem Festival um die Musik, aber auch um Begegnungen geht, sei es von Musikern, als auch im Publikum. Wenn man einen Ort hat, wo mehr stattfindet, entsteht ein gewisser Ritual-Charakter. Das ist schon auch ausbauwürdig.
von Pretz: Das merken wir auch in Zahlen. Der Kapuzinerpark ist eigentlich aus der Not heraus geboren, durch die Pandemie. Bozen war die einzige Stadt, die, obwohl man wieder durfte auch einen Sichtschutz verlangt hat, bei jeder Veranstaltung. Man denke auch an die Arena an der Talfer, die extra deswegen gebaut wurde. 2021 waren das die einzigen Möglichkeiten. Wir gingen in den Park und sind von 47 Locations für 55 Konzerte, im Jahr 2019 auf 27 Locations im letzten Jahr und heuer auf 32 zurückgegangen. Das ändert alles, 15 Locations weniger als 2019.
Gab es im Festival Experimente, die weniger gut funktioniert haben?
Tubaro: Wir haben verschiedene Formeln probiert. Da wir ein territoriales Festival sind das ein großes Gebiet abdeckt. Wir boten auch schon Touren an, von Bruneck oder Brixen aus, etwa. Das war eine enorme Arbeit, wir arbeiteten da auch mit den jeweiligen Tourismusvereinen zusammen. Das war zu groß für uns, auch wenn, für mich daran etwas interessant war. Vielleicht ist Bozen als zentraler Ort, der ja nicht nur Hauptstadt, sondern auch zentral gelegen ist, der richtige Weg ist, dem Publikum zu erlauben, das ganze Gebiet zu erkunden. Letztes Jahr ging das Programm von Sulden auf der einen, bis nach Innichen auf der anderen Seite. Da hat uns Covid einen guten Input für die Zukunft gegeben.
Festini Cucco: …das heißt aber nicht, dass wir weniger außerhalb von Bozen machen möchten.
von Pretz: Aus logistischer Sicht wird die Linie, die wir in Zukunft verfolgen sicher die jetzige bleiben, wobei es Raum zur Verbesserung in jederlei Hinsicht gibt. Wir sprechen von Transporten, nachhaltigen Anreisen, dem Ausbau von Shuttles. Bei einem Konzert auf der Comici Hütte oder in Dietenheim ist es besser einen Zubringer zu organisieren, als dass 100 Leute mit dem Auto anreisen. Das generiert dann ja auch wieder ein Festivalfeeling.
Was motiviert Sie am stärksten?
von Pretz: Das Feedback der Besucher. Ein großer Teil der Abonnenten sind Einheimische, aber gerade die Besucher, die von außerhalb kommen, mehrheitlich aus dem deutschsprachigen Raum kommen immer wieder zurück und begleiten uns seit Jahren und planen ihren Urlaub nach uns und tragen es nach außen. Vielen tut es jetzt leid, dass das Festival gegen Ende geht. Wir sind hauptsächlich in Bozen während dem Festival und die Besucher erzählen uns von den Konzerten außerhalb. Das Feedback ist heuer wieder gut und das ist eine Bestätigung.
Festini Cucco: Ich stimme damit schon überein, das ist es eigentlich. Natürlich spielen auch die Zahlen eine Rolle und man ist froh, wenn viele Leute kommen. Auch wenn jemand, der jetzt vielleicht nicht zum Kernpublikum gehört ein zweites oder drittes mal zu einem Konzert kommt, ist es schön zu sehen, dass sich eine gewisse Beständigkeit aufbaut. Viele der Musiker sind auch weniger bekannt, aber das Publikum kommt trotzdem, was heißt, dass sie ein gewisses Vertrauen haben.
Tubaro: Das Festival wird oft wie eine Vitrine, oder fast wie ein Labor gesehen. Diese Richtung wollen wir vielleicht auch weiter verfolgen. So wurde das Festival in den letzten Jahren immer größer. Wir haben heuer als Fokus „Europa“, auch im Sinn einer Rückkehr von Musikern die hier gespielt haben, in den letzten Jahren. Sie haben sich zum Teil hier zum ersten Mal präsentiert und Musiker kennen gelernt. Von hier gehen viele neue Projekte aus.
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