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Georgische Verhältnisse

Wie Regisseur Reinhard Auer in Georgien die Theaterwelt auf den Kopf stellte, oder was die Schauspieler aus Poti unter Brecht’schem Realismus verstehen.

Das Fazit seines 2-monatigen Regisseur-in-residence-Aufenthalts in Georgien? „Ich habe mich bereits für einen Russisch-Kurs bei der Urania-Meran angemeldet“, versichert Regisseur Reinhard Auer, und: „Eine solche Erfahrung einmal zu machen, reicht mir vollkommen!“ Von Ende Jänner bis Ende März weilte der gebürtige Linzer, Beinahe-Südtiroler und jetzt wieder in die Welt hinausdrängende Regisseur und Dramaturg Reinhard Auer im 2.500 Kilometer entfernten Poti in Georgien, einer Stadt von der Größe Klagenfurts, mit einem funkelnagelneuen 700-Plätze Theater. Dorthin lud der Intendant Tengiz Khukhia Reinhard Auer ein, man hatte sich auf einem Symposion in Tiflis kennengelernt. Seit einigen Jahren vertritt der 65-jährige Auer sein Geburtsland Österreich im Internationalen Theater Institut ITI und kommt infolgedessen ziemlich herum; aber auch mit seinem Freien Theater Bozen gab es bereits etliche Gastauftritte in Osteuropa und in China.

Am Staatstheater Poti wird "Mutter Courage" in der Regie von Reinhard Auer gegeben

Reinhard Auer ist also kein Greenhorn auf dem internationalen Theaterparkett, das Arbeiten in fremden Sprachen, die unterschiedlichen Zugänge zum Theater, die Kulturdifferenzen, all das kennt er aus Erfahrung. „Doch wie es in Poti ablief, war schon besonders zäh und brachte mich wirklich an die Grenzen, auch gesundheitlich,“ erzählt er; auf facebook konnte man verfolgen, wie die Verzweiflung ob der Verhältnisse am Theater wuchs. In einer Art Tagebuch berichtete Reinhard Auer von den Fort- bzw. Rückschritten am Stück „Mutter Courage“ von Bert Brecht. Intendant und Schauspieler hatten sich ein Stück gewünscht, in dem möglichst das ganze Ensemble mitspielen konnte.

„Doch die Schauspieler gingen und kamen, wie es ihnen gerade passte, nahmen kurzfristig andere Jobs an und ich war der Letzte, der das erfuhr,“ schildert der Regisseur die Arbeitsbedingungen. „Die Standard-Antwort auf alle meine Fragen war ein nachdrückliches Ja, egal ob es darum ging, Requisiten zu bekommen oder wenn ich wissen wollte, ob man mich verstanden hatte bei den Proben.“ Es stellte sich heraus, dass das Ja einfach leichter zu kommunizieren war und bei Auer eine anfangs noch zufriedene Miene erzeugte; mit fortschreitender Aufenthaltszeit jedoch wich diese zufriedene Miene. „Es ist nicht so, dass unser Theaterkanon so unterschiedlich wäre, ich habe in der Zeit dort Hamlet, Camus Caligula, ein polnisches Stück und sogar einen Eduardo de Filippo gesehen, doch um es mit Thomas Bernhard zu sagen, sind die georgischen Schauspieler `Übertreibungskünstler`.“ In Poti selbst liebe man das Theater, es hätte einen hohen Stellenwert als öffentliche Einrichtung, nicht nur für die Bildung, sondern um die Wirklichkeit zu hinterfragen, „ungefähr so wie es in der DDR war,“ so Auer.

Deadline, was ist das?

Umso erstaunter war er deshalb über die kulturelle Differenz im Arbeitsverhalten, wie man den gewissen, gemütlicheren Umgang mit der Zeit, sprich, Schlendrian auch nennen kann. „Irgendwann hab ich gedacht, das schaffe ich nicht, es ging mir alles so gegen meinen inneren Zeitplan, ich wollte einfach weiterkommen, doch dann entwickelte sich auch noch ein Konkurrenzkampf, wer sich nun wem anzupassen hatte.“

Auer gab klein bei: Als Gast und um seine Gesundheit-Reputation-Nerven besorgt, war er es schließlich, der die Brecht’schen Theatergrundsätze über Bord warf und eine „Mutter Courage“ als Illusionstheater zur Premiere führte. „Schlussendlich bewahrheitete sich der Satz, es werde schon alles gut gehen und ich solle mir keine Sorgen machen, dann doch.“

Woher rührte der ganze Unbill am Staatstheater in Poti? „Die Sprachbarriere war das größte Hindernis, ich war ja permanent mit zwei Übersetzern unterwegs, auch privat, denn englisch versteht dort kaum jemand.“ Auch die bereits erwähnte Differenz im Arbeitsverhalten, das Zeitverständnis, das Verfolgen eines Zieles, all das sei kaum zu überbrücken, wenn nicht mit der eigenen veränderten Einstellung, so Auer.

„Es geht dann im Endeffekt darum, was ich aus diesen Erfahrungen mache, denn alle Menschen machen Erfahrungen die sie an Grenzen bringen. Der Unterschied ist, was man daraus lernt, ob man verändert daraus hervorgeht, mit etwas mehr an Reflexion und Selbsterkenntnis.“ Auer ist auch ein bisschen Philosoph und das rettete ihn schließlich; die Poti-Lektion habe ihm gezeigt, dass auch er nicht ausgelernt hat, und dass facebook ein ausgezeichnetes Instrument im moralische-Unterstützung-holen ist.