„Erde pfeift aus letztem Loch“
„Die Kinder“ erscheint in den ersten Minuten wie eine englische Gesellschaftskomödie: Zwei Frauen, ein Mann, die gemeinsame Vergangenheit, Verwechslungen, Erotik, unerwartete Wendungen … Was sich im Laufe des Stücks entfaltet, ist aber eine Tragikomödie über die ganz großen Fragen: Generationenvertrag, Verantwortung, Klimakatastrophe, Alter, Liebe, Tod.
Obwohl „Die Kinder“ unter anderem dasselbe Thema wie das kürzlich aufgeführte Theaterstück „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ an den Vereinigten Bühnen Bozen behandelt – sprich die Ausbeutung der Erde – ist Ersteres kein Abklatsch des Zweiten. Während der Zugang bei „Anthropos, Tyrann (Ödipus)“ mithilfe griechischer Mythologie ernsten, tragischen Charakter hat und auch dokumentarisches Theater beinhaltet, ist das klassische Kammerspiel „Die Kinder“ humorvoll und leicht. „Das Stück ist sehr vielschichtig, es kommen sowohl private Sachen als auch die Auseinandersetzung mit der Umweltkatastrophe vor“, sagt Jörg Stelling, der mit Eleonore Bürcher und Verena Plangger auf der Bühne steht, im Gespräch mit salto.bz. Regie der Eigenproduktion der Dekadenz in Brixen führt Fabian Kametz.
Beim Generationenvertrag geht es um die Frage, was wir, die ältere Generation, den Jüngeren hinterlassen, für diese Welt zum Beispiel - Jörg Stelling
Super-GAU
In dem Theaterstück versuchen drei Nuklearwissenschaftler:innen nach einem Super-GAU an der englischen Küste ihrer Verantwortung gerecht zu werden, denn sie selbst haben den Reaktor damals mit aufgebaut. Schuldgefühle treffen auf Egoismus, technische Errungenschaften auf ökologisches Bewusstsein. Wie wollen sie das Atomkraftwerk der nächsten Generation hinterlassen? „Beim Generationenvertrag geht es um die Frage, was wir, die ältere Generation, den Jüngeren hinterlassen, für diese Welt zum Beispiel“, sagt Schelling.
Wenn die ältere Generation der jüngeren vorwirft, wegen Fridays for Future nicht in die Schule zu gehen und nicht zu lernen, begreife sie nicht, dass die Kinder und Jugendlichen schon längst etwas gelernt haben: „Unsere Erde pfeift aus dem letzten Loch und man muss etwas dagegen tun.“ Deshalb ist es für den Schauspieler wichtig, die junge Generation beim Umwelt- und Klimaschutz zu unterstützen.
Es ist humorvoll verfasst, bagatellisiert aber nicht - Anna Heiss
„Hier geht es auch um Rechte und Pflichten. Man hat die Pflicht, ihnen eine Zukunft zu ermöglichen und nicht das Recht, sich alles herauszunehmen“, sagt Anna Heiss, die künstlerisch-organisatorische Leiterin der Dekadenz. „Das wird auf einer persönlichen Ebene verhandelt. Was bin ich bereit aufzugeben? Muss ich das aufgeben?“, sagt Heiss. Das Fallbeispiel nuklearer Super-GAU stehe für die gesamte Klimakatastrophe.
Stellung nehmen
„Die Menschen werden heute immer mehr gefordert, Stellung zu nehmen und Verantwortung zu tragen“, sagt die Bühnen- und Kostümbildnerin Sara Burchia. Dieser Druck ist auch im Kammerspiel „Die Kinder“ spürbar. „Es ist humorvoll verfasst, bagatellisiert aber nicht. In der großen Spannweite zwischen der Banalität einer Dreiecksbeziehung und der gigantischen Entscheidung, die diese drei Menschen treffen müssen, geht etwas auf, was ironisch, aber auch wahr ist“, so Heiss.
Denn der Mensch lacht gerne über Dinge, die eigentlich schwer sind - Sara Burchia
„Es ist eine Erleichterung, wenn schwierige Themen in einer Menschlichkeit gezeigt werden. Wenn ein einziger Mensch so viel Verantwortung fühlt, fällt er in eine Ohnmacht. Wenn man aber merkt, dass es ein allgemeines Thema ist, das uns alle begleitet, entsteht wieder eine Verbundenheit. Das schafft Erleichterung und einen Moment, in dem etwas bewegt werden kann“, sagt Burchia.
„Ich denke, es war schon immer so, dass schwierige Themen nahe an der Komik sind. Denn der Mensch lacht gerne über Dinge, die eigentlich schwer sind“, führt sie aus. „Der Zuschauer kann nicht dauernd mit dem Holzhammer bearbeitet werden. Er braucht Momente, wo er befreit lachen kann“, fügt Stelling hinzu.
Emotionen darstellen
Die britische Autorin des Stücks „Die Kinder“ (erschienen im Rowohlt Theaterverlag), Lucy Kirkwood, gibt in einem Interview mit der New York Times zu, dass sie schon lange über den Klimawandel schreiben wollte: „Ich habe lange versucht, einen Weg zu finden, über den Klimawandel zu schreiben. Und ich wollte, dass es eher von Emotionen als von Intellekt angetrieben wird. Dann passierten die Ereignisse von Fukushima, die schreckliche Katastrophe dort. Es gab eine pensionierte Belegschaft, die sich freiwillig bereit erklärte, dorthin zurückzukehren, um die Anlage dort aufzuräumen. […] Ich finde die Vorstellung, dass Großbritannien, das tun könnte, völlig undenkbar. Womit wir irgendwie kämpfen, ist Individualismus, weil man mit vielen Dingen, mit denen wir uns in den nächsten 50 bis 100 Jahren beschäftigen müssen, einfach nicht umgehen kann, wenn man an sich selbst als Individuum denkt, wenn Länder an sich selbst als einzelne Länder denken. Es werden globale Probleme sein.“
Die Premiere des Stücks „Die Kinder“ findet in der Dekadenz diesen Samstag, am 7. Mai, um 20:30 Uhr statt. Weitere Aufführungen folgen innerhalb von Mai.
Mit unserer Art zu leben und
Mit unserer Art zu leben und der Verbrennung von viel zu vieler fossiler Energie seit 60 Jahren, hinterlassen wir unseren Nachkommen eine Welt, die für die Menschen, Tiere und Pflanzen zunehmend schwieriger und einschränkender wird.
Es ist gut wenn auch das Theater auf die bedrohliche Zukunft hinweist und mithilft, die Menschen zu einem Verhalten anzuleiten.
Die Erde ist fast 4,6 Milliarden Jahre ohne die ... Menschen ausgekommen.