1123 Seiten umfasst die Anklageschrift der Untersuchungsrichterin Flavia Costantini: sie betrifft typische Mafia-Vergehen wie Erpressung, Betrug, Geldwäsche, Bestechung, Amtsmißbrauch, Wucher, Unterschlagung. Die Verhaftung von 37 Betroffenen und Ermittlungsbescheide für weitere 100 Personen haben in Rom großes Aufsehen erregt.
Denn unter den Verdächtigen befinden sich Kaliber wie der ehemalige Bürgermeister Gianni Alemanno, der amtierende Stadtrat Gabriele Ozzimo (PD), der Präsident des Gemeinderates Mirko Coratti (PD), der PDL-Fraktionssprecher im Regionarat Luca Gramazio und der Regionalratsabgeordnete des PD Eugenio Patané. Eine große Koalition im Dienst der Kriminalität und Geschäftemacherei. Als Drahtzieher der Organisation nennt Roms Oberstaatsanwalt Pignatone den ehemaligen Rechsterroristen Massimo Carminati, Mitglied der berüchtigten "Banda della Magliana". Unter den Verdächtigten befinden sich Parentopoli-Spezialisten wie der ehemalige Chef der römischen Müllgesellschaft AMA oder Riccardo Mancini, Präsident der Eur SpA und rechte Hand Alemannos. Eine der Hauptbeschäftigungen des Kartells war die Manipulation von Bauaufträgen, Wettbewerben und Stellenbesetzungen und die Kontrolle von Drogengeschäften.
Dass die Mafia weite Teile der Hauptstadt beherrscht, ist freilich nicht neu. "Sie hat in Rom ein neues Gesicht und ist Teil des Wirtschaftssystems" so Staatsanwalt Giancarlo Capaldo, Autor des Buches Roma mafiosa. Bereits im Februar wurden über 90 Camorra-Verdächtige verhaftet, 385 Bankkonten gesperrt, 28 Immobilien und 91 Firmen konfisziert - drunter die 23 Pizzerie der Ciro-Kette, zu deren Besuchern Matteo Renzi und Romano Prodi gehörten. Unter den Verhafteten befanden sich Bankdirektoren, Notare, Wirtschaftsberater, und ein Vizepräfekt, aber keine Politiker. Ein Unternehmer entzog sich der Festnahme durch einen Sprung aus dem vierten Stock,. "70 Prozent aller Lokale in der Altstadt sind in den Händen der Mafia", versichert die Vorsitzende des Stadtviertelrates, Sabrina Alfonsi. Bereits vor einigen Jahren war das Café Chigi geschlossen worden - genau unter dem Amtszimmer des Ministerpräsidenten. Es gehörte der Ndrangheta.
Die neue Verhaftungswelle wird das Vertrauen der Bürger in die Politik weiter untergraben, auch wenn die Bestätigung der Vorwürfe abzuwarten bleibt. Und sie beweist einmal mehr, dass Politik und Amtsmissbrauch ein gefährliches Binom sind, dessen Dimensionen längst unerträgliche Ausmaße erreicht haben.