Società | Zusammenleben

"Da erwacht die Amazone in mir"

Um Alltagssituationen von Muslima nachzuempfinden, spazierte Magdalena Schwellensattl im Hijab durch Bozen und Meran, fuhr mit dem Bus und setzte sich in ein Café.

Frau Schwellensattl, was waren die größten Überraschungen für Sie?

Magdalena Schwellensattl: Zunächst einmal hat es mich überrascht, wo Muslima ihre Kleidung herbekommen. Ich habe sogar im Theaterfundus nachgefragt. Bis jetzt weiß ich nicht, ob sie sich beispielsweise Burkas aus ihren Heimatländern schicken lassen. Erstaunlich war zudem die Reaktion aus meinem Bekanntenkreis schon im Vorfeld des Versuchs: Zunächst hieß es, „super Idee, toll!“ - und dann sofort: „Traust du dich das?“. Das heißt, die erste Assoziation mit dem Islam ist Gefahr.

Wie waren die Reaktionen der Menschen, denen sie begegnet sind?

Grundsätzlich waren Männer wesentlich gelassener. Sie schauen dich zwar einen Moment lang an, halten aber den Blick nicht und schauen wieder weg. Frauen hingegen halten den Blick, sie verleihen ihrer Verwunderung auch Ausdruck - von Entsetzen bis hin zum Angewidert-Sein. Von „S’isch an Eland!“ bis hin zu „Siamo a carnevale?“ habe ich fast alles gehört. Für junge Männer scheint das überhaupt kein Thema zu sein, alles ab 30 reagiert dann - wobei, wie gesagt, die starke Reaktion von Frauen kommt.

Woran liegt das Ihrer Ansicht nach?

Bei Frauen ist der Identifikationsfaktor einfach viel größer. Sie verbinden Verschleierung mit Zwang und Unterdrückung. Interessant war auch, dass die Bauern am Bauernmarkt am unkompliziertesten reagiert haben. Sie waren schon überrascht, aber sie haben dann - vielleicht mit einer Sekunde Verspätung - ganz locker reagiert. Diesen Eindruck hat auch der junge Kalterer in der Sendung am Abend bestätigt: Er hat erzählt, dass er im Dorf wesentlich weniger Fremdenfeindlichkeit begegnet als in der Stadt.

 

Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Frauen verschleiern: Die einen tragen den Hijab als religiöses Bekenntnis. Andere müssen sich verschleiern, weil ihr Mann das so will. Wieder andere nutzen die Verschleierung als indirekte Kritik am Westen und seiner Lebensphilosophie.

 

Hat sich mit diesem Selbstversuch etwas an ihrer Grundeinstellung zum Islam verändert?

An meiner Grundeinstellung nicht, ich sehe den Islam immer noch wie eine Religion, wie eine Weltreligion, der viele Menschen folgen. Das hat sich auch nicht geändert. Grundsätzlich sehe ich Unterdrückung immer als negativ an - und wenn diese in islamischen Kreisen passiert, habe ich ihr gegenüber genauso wenig Verständnis wie überall sonst. Wenn Boko Haram Mädchen entführt und zwangsverheiratet, wenn in Teilen Afrikas immer noch die Beschneidung durchgeführt wird, wenn die junge Friedensnobelpreisträgerin Malala Morddrohungen bekommt - da erwacht die Amazone in mir. Ich habe einfach die Grundhaltung, dass Frauen den gleichen respektvollen Umgang erfahren müssen wie Männer. Wir haben in Italien aber genauso den Femmicidio, wo Frauen von ihren ehemaligen Partnern ermordet werden - diese Gewalt ist nicht an den Islam gebunden, wobei es schon einige Suren im Koran gibt, welche eine Geringachtung vorgeben.

Haben Sie den Koran gelesen?

Ich habe ihn nicht zur Gänze gelesen, aber einzelne Kapitel in Vorbereitung auf diesen Selbstversuch. Sehr genau habe ich mich aber über die Verschleierung der Frau informiert, die nicht erzwungen ist, aber eben erwünscht. Diesen Wunsch zum Dogma zu erheben ist natürlich ein Zwang. Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Frauen verschleiern: Die einen tragen den Hijab als religiöses Bekenntnis. Andere müssen sich verschleiern, weil ihr Mann das so will. Wieder andere nutzen die Verschleierung als indirekte Kritik am Westen und seiner Lebensphilosophie, was man dann natürlich wieder in Frage stellen kann.

Wie sehen Sie die Kopftuch-Debatte in Europa?

Ich sehe das Kopftuch als völlig unproblematisch an, bin aber gegen die Totalverschleierung. Sie steht bei uns ganz klar für Unterdrückung und Unfreiheit. Einen Menschen nicht zu sehen, macht eine Kommunikation für mich unmöglich - und diese Kommunikation ist eigentlich Grundvoraussetzung für ein Zusammenleben. Die Totalverschleierung müsste man meines Erachtens nach verbieten. Wir müssen das fördern, was auch das Zusammenleben fördert.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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gorgias Mer, 02/04/2015 - 16:46

Magdalena Schwellensattel kann durch ihren Selbstversuch höchstens herausfinden wie sich eine Konvertitin fühlt aber nicht wie eine typische Muslima. Die Bemerkung über den Fasching wird höchstens eine Einheimische hören und war in diesem Fall auch treffend. Wenn jemand aber sich auf diese Art kleidet und der Habitus dazu nicht passt wirkt das dann auch wie verkleidet.

Ach und noch was der Titel ist irreführend weil er glauben lässt er beziehe sich auf ein Erlebnis während des Experiments.

Mer, 02/04/2015 - 16:46 Collegamento permanente