Cultura | Salto Afternoon

Sprachspielereien

Gestern startete die 8. Ausgabe des interdisziplinären Literaturfestes "Sprachspiele/Linguaggi in gioco" in Meran und in Schenna/Verdins. Ein Überblick inkl. Art-Shirt.
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Foto: Sprachspiele

An unterschiedlichen Schauplätzen entfaltet sich seit gestern Abend ein verspielter und fruchtbarer Dialog mit Autorinnen und Autoren, MusikerInnen und Kunstschaffenden, PerformerInnen und BloggerInnen aus Südtirol, Österreich und der Schweiz.

Zum Auftakt des Festivals präsentierte die junge Literatin Lorena Pircher ihr druckfrisches Buch "Irrende Welten", welches beim Provinz Verlag erschienen ist. Der Schweizer Autor Michael Hugentobler stellte hingegen seinen Roman „Louis oder Der Ritt auf der Schildkröte“ vor.

Im Atelier der Künstlerin Sabine Auer im Klotznerhof in Schenna/Verdins ist heute der österreichische Schriftsteller Martin Kolozs zu Gast. Die Besucher erhalten ab 20 Uhr Einblick in seinen Roman „Auf staubiger Straße“.

Der Festivalblogger und Multimediakünstler Bruno Schlatter reanimiert am Freitag, 5. Oktober mit seiner Performance „Am Fischmarkt“, eine alte Meraner Tradition beim Fisch-Bubele-Brunnen unter den Meraner Lauben. Ab 11 Uhr.

Ein zweisprachiger und interdisziplinärer Höhepunkt des Festivals steht am Freitagabend im Centro per la Cultura – Mairania 857 ab 20 Uhr auf dem Programm. Dort findet eine Lesung und Diskussion rund um die Prosaminiaturen „Divertimenti tristi“ von Enrico De Zordo statt, mit der Übertragung ins Deutsche von Dominikus Andergassen, sowie intellektuelle und musikalische Ergänzungen von Gabriele Di Luca und Marcello Fera.

Der originelle Singer und Songwriter Markus „Doggi“ Dorfmann tritt mit seinem Soloprogramm „Doggi’s beste Stücke“ am  Samstagabend, 6. Oktober, ab 21 Uhr, im ost west club est ovest auf.
Interdisziplinarität zum Anziehen und zum Nachlesen: Den vernetzenden Synergien und Austausch fördernden Geist des Festivals spiegelt das Art-Shirt mit einer Zeichnung von der Meraner Künstlerin Anuschka Prossliner wider.

Als sprachverspielten Beitrag bringt Salto in Zusammenarbeit mit Kulturelemente und Sprachspiele einen literarischen Text von Lorena Pircher, die gestern gemeinsam mit Michael Hugentobler die Sprachspiele 2018 ins Rollen brachten.

Das Floß der Medusa
Emeka, 24, im Louvre. Bildbetrachtung:

immer wenn ich die länglichen weichlichen kurven sehe
die sich wie berge in den fluss meiner erinnerung schälen
der erinnerung an morsches holz; splitter
und der zerfetzenden hitze auf gespaltenen schultern
aus denen
die hoffnung wie tiefroter honig sickert
aus denen ungewissheit sprüht
wie das schwankende wellenmeer auf meinem gesicht
dem gläsernen gesicht
das ich in meinen zerrinnenden händen gehalten habe
wie die träume
die mir zwischen den rippen in kalten lachen
mosaike auf den boden gemalt haben
daher komme ich oft hierher
in diese prunksäle der menschheit
in denen goldschimmer schattenspiele an die wand zeichnen
und worte in vakuumräumen verhallen
ohne dass sich menschen gehäutete traurigkeit an ihre schattenkörper heften müssen
ich komme oft hierher
wenn erneut giftiges salzwasser meine lungen zerstückelt
wenn ich erneut die bebenden lippen der anderen streife
wie die sperrigen flügel des porzellanvogels meiner gedanken
die sich an rauen steinwänden stoßen
ich komme oft hierher
um die anderen zu sehen
die bleichen körper
die sich um ihre eigene gestachelte traurigkeit winden
die sehnenarme
die sich einem grell entgegenstrecken
wie flatternde lächeln
von denen sich so wenige in mein kleines sein genäht haben
auch sie waren flüchtende
ausgesetzte
auf dem ozean treibende
deren leben so oft schon auf den leisen seeschichten der meere verkrustet sind
auch sie wollten im sandigen land versinken
bis ihre baren füße endlich halt im gewalttornado dieser welt gefunden hatten
bis ihre mundwinkel
nicht mehr mit indigofarbenen fischerhaken auseinandergezogen wurden
ihr lächeln nicht mehr an marionettenfäden gehängt wurde
und sie nicht mehr in schleifen an ihrer verzweiflung durchs leben gezogen wurden
ich komme oft hierher
in die kristallenen paläste der gesellschaft
um andere ausgesetzte auf hoher see
einen überlebenskampf gegen schäumende wände führen zu sehen
auch wenn ich weiß
dass es diese menschen waren
die mein heimatland in gewaltigen feuern verbrennen ließen
deren rauch meine augen heute noch tränen lässt
auch wenn ich weiß
dass es diese menschen waren
die weiche fingerkuppen versteinern
und kerben in unsere bäume und unsere seelen geschlagen haben
die unsere gedanken mit schmalen kupfernadeln gekreuzigt haben
und unsere träume in eisentücher gehüllt zu grabe getragen haben
und dennoch hat auch ihnen oft
die gleiche sonne den rücken gewärmt
haben auch sie oft
dieselbe grünliche erde zwischen ihren fingern zerrieben
und dennoch waren auch sie
verzweifelt am leben klebende
waren auch sie
auf atem hoffende
wie so viele
die täglich das heutige floß der medusa besteigen müssen