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Ausflug ins Morgenland

Persienreise der Zugvögel Lana 1970
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Foto: (c)Archiv Zugfögel Lana

In Zusammenarbeit mit dem AVS / Text von Stephan Illmer

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Vom Abendland ins Morgenland: Vor genau 50 Jahren hat es einige Lananer Bergkameraden nach Persien gezogen. Die sechs Teilnehmer an der Erkundungsreise waren damals allesamt in ihren frühen Zwanzigern und im Dorf als „die Zugvögel“ bekannt.

Unter dem Namen „Zugvogel“ formierte sich 1962 eine Gruppe junger Lananer mit der gemeinsamen Absicht, fortan – wie eben die Vorbilder aus der Tierwelt – zeitweilige „Ausfluge“ zu machen und dabei immer auch wieder heil nach Hause zurückzukehren, sei es von den winterlichen Touren im Schnee, sei es von den sommerlichen „Fahrten“ in Fels und Eis.

 

Von den Alpen in den Elburs

Die Idee zu einer Auslandsfahrt in den Orient kam den Lananern quasi vor der Haustür, während einer Tour am wohlvertrauten Sellastock. Es war im Winter 1969 und mancher Zugvogel hatten ein ertragreiches Kletterjahr in den heimischen Bergen hinter sich. Die lokalen Klassiker waren allesamt begangen, somit lockten nun fernere Gipfelziele. Für eine richtige „Fernreise“ hatte man allerdings weder Zeit noch Geld, und so nahm man kurzerhand den „nahen“ Osten ins Visier. Mit dem Demawend in Persien (dem heutigen Iran) bot sich den „Zugvögelmandern“ eine geografisch und alpinistisch interessante Landmarke an. Und um das Berggehen im Elburs-Gebirge auch gleich mit einer abenteuerlichen Hin- und Ruckfahrt zu verbinden, war von vornherein klar, dass man sich nicht – gleich den tierischen Artgenossen – in die Luft begeben, sondern mit vier Rädern am Boden bleiben und das Steuer selbst in die Hand nehmen wollte.

 

Organisation und Vorbereitung

Die ersten Schritte Richtung Persien führten die Lananer zunächst hinauf auf den Ritten zum Alpinchronisten Hannsjörg Hager, der selbst wenige Jahre vorher im Elburs war und somit Erfahrung und Kartenmaterial bereitstellen konnte. Zugleich wurde der Vereinswagen auf Vordermann gebracht, am Zeitplan gefeilt und die notwendige Ausrüstung und Verpflegung zusammengeklaubt. Besondere bergsteigerische Vorbereitungen waren nicht vonnöten, denn Höhenluft, Hitze und Kalte war man schlieslich gewohnt.

 

Start bei den Kapuzinern in Oberlana

Nach der Frühmesse um 5.30 Uhr des 26. Juli 1970 sollten schlieslich sechs Zugvögel – Herbert Frei, Heinz Gamper, Karl Illmer, Karl Margesin (Greiter), Toni Margesin (Holzner) und Norbert Pircher (Platner) – gegen Osten aufbrechen. Die erste Etappe führte die Gruppe zunächst nach Lienz, wo man bei Hans Linder vom befreundeten Osttiroler Bergsteigerverein           „Alpenraute“ einkehrte. Weiter ging die Reise über den Wurzenpass in die Karawanken, wo man unverhofft bereits auf die ersten (und zugleich auskunftsfreudigen) Perser traf. Als nächstes, so liest man im Reisebericht der Teilnehmer, ging es zur jugoslawischen Grenze, wo der Zugvögel- Bus aber wegen Wartezeiten von mehreren Stunden wieder kehrtmachte und stattdessen den Grenzübergang bei Tarvis anpeilte. Aber auch dort gab es vorerst Schwierigkeiten („wir konnten die Grenze nicht finden“), ebenso wie am Übergang nach Bulgarien, der nur über „eine unmögliche Straße“ zu erreichen war und aufgrund der umständlichen Kontrollen lange Wartzeiten abverlangte.

 

Durch Kleinasien

In Istanbul galt es zunächst einmal dem wilden Stadtverkehr zu entkommen, um dann mit der Fähre den Bosporus zu überqueren. Bei der Überfahrt kam man erstmals in den Genuss des berühmten türkischen Tees, des „çay“. Dem Toni Margesin, der nun zugleich zum allerersten Mal Meerwasser unter den Füßen hatte, sollte das türkische Leibgetränk trotz des wohlwollenden Zuredens der Einheimischen („Çay gut, gut“) nicht recht behagen, weshalb er seitdem bei den Zugvögeln auch „Tschai“ gerufen wird. Mit der Überquerung des Bosporus gelangten die Lananer in eine für sie völlig neue Welt: Hunderte von Kilometern ging es durch das kahle und einsame anatolische Hochland, bis auf einmal mit der Hauptstadt Ankara eine Millionenmetropole vor dem VW-Bus der Lananer auftauchte. In Ankara gab es keinerlei Verkehrsleitsystem („beschildert war gar nichts“), weshalb der Bulli T1, um wieder aufs Land hinauszufinden, gar einige Male im Kreis herumfahren sollte. In Ostanatolien wurden die Straßenverhältnisse dann zunehmend schlechter, teilweise waren die Fahrbahnen gerade erst in Bau und längere Unterbrechungen waren keine Seltenheit. Auf dem Weg nach Erzurum suchten die Zugvögel wegen der baubedingten Wartezeiten ein Restaurant zum Essen auf – erstmals auf ihrer bisherigen Fahrt. Gegen alle Erwartungen wurden die sechs Herrschaften „wie Könige unter großem Geleit“ ins „Speisehaus“ geführt, die Gerichte wurden „direkt am Herd ausgesucht“. Ein ebenfalls anwesender, Deutsch sprechender Türke fragte die Durchreisenden, ob er ein Stück Richtung Osten mitfahren dürfe. Im Gespräch stellte sich heraus, dass dieser Mitfahrer normalerweise in Deutschland arbeitete, am nächsten Tag aber zum Heiraten in seinem Heimatdorf sein sollte. Heilfroh um die rechtzeitige Mitfahrgelegenheit, bot er den Durchreisenden seine Gastfreundschaft an, die von den sechs Zugvögeln nicht abgelehnt wurde. Die Gäste wurden in einen Raum geführt, „der außer einem Diwan nichts enthielt“. Dort wurden sie hochoffiziell vom Vater und von Freunden des Bräutigams begrüßt; die künftige Ehefrau hingegen wurde nur bis zum Türrahmen vorgelassen, um den Gästen den Tee zu bringen.

 

Endlich in Persien

Nach der Verabschiedung von den freundlichen Gastgebern ging es, wie mittlerweile gewohnt, auf „schlagigen“ und staubigen Schotterwegen weiter. Eine erste Panne, die sich ausgerechnet beim Erreichen einer Asphaltstraße ereignete, konnte den Technikern an Bord nichts anhaben. Weit ernsthaftere Probleme erwarteten die „Persien-Zugvögel“ hingegen kurz darauf an der türkisch-persischen Grenze. Hier musste man, wegen des Visums, ein Formular auszufüllen, „das in englischer und persischer Sprache gedruckt war. Aber mit unseren Englischkenntnissen war es ganz leicht“, heißt es schelmisch im Bericht der Expeditionsteilnehmer. Nach ebendiesen „größten Strapazen der Reise“ fuhren die Kameraden nahezu ohne Unterbrechung und auf besten Straßen weiter bis an ihr vorläufiges Ziel, die persische Hauptstadt Teheran, die damit nach insgesamt sieben Tagen und ohne nennenswerte Zwischenfälle erreicht wurde. Am achten Tag der Reise ließen es sich die Männer in Teheran gut gehen. Auch wurde dem iranischen Alpinklub ein Besuch abgestattet. „Dort“, so hielten die Berichterstatter fest, „wurden wir herzlich empfangen. Nur mit der Verständigung klappte es nicht.“ Also blieb es bei einem Gruppenfoto und dem Versprechen, nach der Besteigung des Demawend nochmals vorbeizukommen und einen Bericht zu hinterlegen.

 

Auf den höchsten Berg des Nahen Ostens

Noch am selben Tag fuhren die Zugvögel ins ca. 2.100 Meter hoch gelegene Reineh. Dort begaben sie sich zum lokalen Bergsteigerverein, für den sie ein Begleitschreiben dabeihatten, sowie zum Hüttenwirt, mit dem sie über die Packesel für den Aufstieg zum Biwaklager verhandelt wollten; „und dann gings in die Betten, erstmals seit einer Woche“. Früh am nächsten Morgen wurden die Rucksäcke für den Aufstieg gepackt. „Inzwischen kamen zwei Esel und zwei Muli. Sie wurden aufgepackt. Auf einem saß der Mulitreiber. Dann ging es los“, und zwar in stundenlangem Marsch über Geröllhalden hinauf zur Biwakschachtel. Im Biwak liegend hatte dann ein jeder sein kleines Leiden: dem ‚Platner‘ war noch vom Aufstieg übel, Heinz musste brechen, ‚Jolly‘ hatte Kopfweh, ebenso der ‚Greiter‘. ‚Çay‘ war appetitlos, was ihn maßlos ärgerte, und der ‚Capo‘ nahm Aufputschmittel. Es wurde eine große Teesauferei mit Schnaps. Wir hofften, dass wir morgen mit einer besseren Kondition aufwarten könnten. Nach einer kurzen Nacht auf 4.200 Metern machte man sich mit leichter Ausrüstung auf dem Weg zum Gipfel. „Ganz langsam, weil wir ja schon vom Vortag wussten, wie es hier ist, wenn man zu schnell weggeht.“ Nach und nach bekamen allesamt wieder die Höhe zu spüren: „Im Ameisengang ging es dem Gipfel zu. Nach zehn Schritten mussten wir rasten. Die Höhe machte uns schwer zu schaffen.“ In einem Abstand von zwei Stunden kamen sechs Zugvögel und ein Rucksack am Demawend-Gipfel auf 5.600 Metern an. Dort zogen Schwefeldämpfe umher und es blies ein eisiger und staubiger Wind, weshalb der Aufenthalt von kurzer Dauer war. Am frühen Nachmittag waren die Lananer wieder bei der Biwakschachtel und am Abend – zur Feier des Tages – wieder bei einem Flaschl Wein in Reineh, am Fuße des höchsten Vulkankegels weit und breit.

 

Rasttag in Teheran und Aufbruch zum Ararat

Nach der Eintragung ins Hüttenbuch und der Verabschiedung vom Hüttenwirt fuhren die Zugvögel am nächsten Morgen zurück zum iranischen Alpinverein in Teheran, um nach Hause zu telefonieren bzw. zu telegraphieren. Ein Telefonanruf aus dem Iran war insofern eine knifflige Angelegenheit, als an der Wählscheibe des Telefons ja nicht die in Mitteleuropa geläufigen Ziffern angeführt waren, weshalb man sich – der persischen Schriftzeichen nicht mächtig – beim Anwählen mit dem Durchzählen der Löcher auf der Wählscheibe behelfen musste. In Verbindung mit einem Abstecher zum Basar besuchten die Zugvögel noch einige Bekannte in der Stadt, reparierten den Gepäcksträger ihres VW-Bullis und brachen schließlich auf nach Täbris, der einst größten Stadt Persiens. Über die persisch-türkische Grenze gings anschließend direkt dem Ararat entgegen. In Dogubeyazıt wurde sogleich nach Möglichkeiten für eine Besteigung des biblischen Berges gesucht. Bald war klar, dass man ohne einheimischen Führer gar nicht an den Berg herankommen würde. Damit ging das „Handeln“ los. Zuletzt einigte man sich mit einem Führer „auf 600 Lira für zwei Tage und zwei Lasttiere“. Um voranzukommen, war man nun also auf einheimische „Dienstleister“ angewiesen. Das eigene Auto musste aus Sicherheitsgründen in einem Motel in der Stadt bleiben. So mussten die Zugvögel zunächst einige Kilometer bis zum Ausgangspunkt gefahren werden, um dann auf die gebuchten Lasttiere umzusatteln und schließlich zu Fuß, vorbei an nomadisierenden Kurden, an Höhe zu gewinnen. Der Berg- und der Pferdeführer mussten fast schon gezwungen werden, bis zum Lager auf 3.600 Metern mitzugehen.

 

Noch ein 5.000er im flüssigen Stil

Nach einer kurzen Rast machten sich die Zugvögel bereits um Mitternacht und ohne viel Gepäck auf den Weg. Über Geröll, Blockwerk und Firn erreichte der erste Teilnehmer bereits nach vier Stunden, diesmal ohne besondere Höhensymptome, den Gipfel auf 5.100 Metern. Zum Sonnenaufgang standen dann alle sechs Freunde wohlauf am „Berg Noahs“ und genossen die Ausblicke über Russland, Persien und die Türkei. Bergab wurde über die Firnfelder entweder mit dem Pickel oder auf dem Hosenboden „abgefahren“, sodass man rasch wieder beim Zeltlager, beim Pferdelager und schließlich beim Nomadenlager war, wo man Tee serviert und Teppiche feilgeboten bekam. In einem Zug ging es dann hinunter ins Tal und weiter ins erste Kurdendorf. „Unser Bergführer und der Träger machten es sich gemütlich. Sie setzten sich auf die Pferde und wir konnten hinter ihnen mit dummen Gesichtern marschieren“, wie einer der Berichterstatter zu dieser Etappe vermerkte.

 

Rückkehr ins heimatliche Quartier

Auf der Rückfahrt in den Westen benutzten unsere Busreisenden mitunter Straßen, die sie von der Hinfahrt noch nicht kannten. So kam es, dass sie gleich zwei Mal einen Fluss überqueren mussten, da die Brücken erst in Bau waren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Istanbul und einem längeren am Schwarzen Meer, wo die Lananer von einer Wirtin aus ihrem Südtiroler Nachbardorf Burgstall vorzüglich verköstigt wurden, verabschiedeten sich die Zugvögel vom Orient und fuhren gesund und munter zurück in den Okzident. Der Ausflug der Zugvögel nach Vorderasien jährte sich im heurigen Sommer zum fünfzigsten Mal. Für die sechs Teilnehmer an der Entdeckungsreise und deren Zugvögelkollegen war dies wieder einmal ein Anlass, die Erlebnisse in Erinnerung zu rufen und bei einer kleinen Feier auf eine bald sechzig Jahre währende Bergkameradschaft anzustoßen.

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Die „Zugvögel Lana“ wurden in den 1960ern, in Opposition zum lokalen Alpenverein, als „Wandergruppe“ aus der Katholischen Jugend heraus gegründet. Dass es nicht nur beim Wandern blieb, das belegen die einzelnen „Wanderbücher“, in denen die durchaus ernsthaften Bergtouren der Gruppe allesamt dokumentiert sind. Die Zugvögel, die später wieder als Untergruppe des AVS Lana firmierten, waren anhand ihres am „Jangger“ aufgenähten „Wappeles“ sowie anhand der grünen „Stutzen“ zu erkennen. Heute noch treffen sich die Zugvögel, mittlerweile alle jenseits der 70, wöchentlich im „Kammerle“ beim „Platner“ in Lana, um neue Pläne zuschmieden und auf alte Pläne zurückzublicken.