Cultura | Salto Afternoon

„Lesen oder Zuhören hilft“

Die Schriftstellerin Sabine Gruber über die dritte Ausgabe des Literaturfestivals WeinLESEN, den Fahradunfall von Robert Menasse und die heurigen Highlights.
Sabine Gruber
Foto: Karlheinz Ströhle
Salto.bz: Frau Gruber, das Festival WeinLESEN geht in die 3. Auflage. Was ist anders?
 
Sabine Gruber: Wir haben dieses Jahr die Einzellesungen bei den Winzern weggelassen, weil das Publikum Ruhephasen wünscht. Man hat aber weiterhin die Gelegenheit, fast alle Dichterinnen und Schriftsteller zweimal zu hören, so daß man keine der Stimmen versäumen muß.
 
Es gab aber einschneidende personelle Veränderungen im Kloster Neustift...
 
Ja, wir haben mit Ursula Stampfer eine großartige Mitarbeiterin verloren und mit Urban Klebelsberg einen der Mitinitiatoren. Das bedauern wir. Doch wollten weder Michael Stiller noch ich diesen idealen Ort verlassen. Kloster Neustift war immer schon ein kulturelles und spirituelles Zentrum, an dem Bücher und Weine eine wichtige Rolle spielten. Ich kann mir in Südtirol keinen besseren Ort für ein Literaturfestival vorstellen. Mir geht es in erster Linie um die Vermittlung von Literatur, interne Klosterangelegenheiten gehen uns nichts an, so lange wir autonom unser Programm gestalten können. Das haben wir auch in den Jahren zuvor so gehandhabt.
Michael Stiller noch ich wollten diesen idealen Ort verlassen. Kloster Neustift war immer schon ein kulturelles und spirituelles Zentrum. Ich kann mir in Südtirol keinen besseren Ort für ein Literaturfestival vorstellen.
Wer zeichnet für diese Ausgabe nun verantwortlich?
 
Für das Konzept und das Programm sind Michael Stiller, der Chef des Literaturhauses Niederösterreich, und ich verantwortlich; zu den Mitarbeitern zählt Brixen Tourismus und das Bildungshaus – die Kooperation hat bisher wunderbar funktioniert. Ich möchte mich bei allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen öffentlich bedanken.
 
Was sind heuer die Highlights?
 
Wir werden wieder eine Veranstaltung in der Klosterbibliothek abhalten, die bekanntlich zu den schönsten und bedeutendsten Europas zählt. Freitag um 17 Uhr lesen Mirko Bonné, Raphael Urweider, Klaus Merz und Sepp Mall Gedichte, das wird eine großartige Lyrikveranstaltung.
Ich sage, man braucht die Literatur, um sich selbst in Frage zu stellen.
Mit Verlaub, nur Männer?
 
Wir haben ein sehr starkes Literaturprogramm, das von Frauen getragen wird. Sharon Doduo Otoo, die in Berlin lebende Afrobritin, wird aus ihrem Buch „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle...“ lesen. Sie ist eine scharfe Beobachterin von Alltagsbegebenheiten und geht beispielsweise der Frage nach, was die Privilegien (der Weißen) mit Menschen machen. Außerdem haben wir mit Olga Flor eine Autorin, die in ihrem Roman „Klartraum“ eine Amor fou-Geschichte zwischen zwei Verheirateten erzählt. Das geht bei Flor nicht ohne ironische Kommentare zu genderstereotypen Verhaltensweisen ab. Und Angelika Klüssendorf analysiert in ihrem Roman „Jahre später“ messerscharf das Scheitern einer Ehe...
 
Die Ehe mit dem FAZ-Chefredakteur Frank Schirrmacher...?
 
Im Roman ist die Hauptfigur ein Chirurg namens Ludwig. Die Kritik sieht vor allem bei der Literatur von Frauen immer einen autobiographischen Bezug, als wären Schriftstellerinnen nicht imstande, Texte zu erfinden! Aber es stimmt, daß Klüssendorf einmal mit Schirrmacher verheiratet war.
Die Kritik sieht vor allem bei der Literatur von Frauen immer einen autobiographischen Bezug, als wären Schriftstellerinnen nicht imstande, Texte zu erfinden!
Wie steht es um die politische Literatur?
 
Wir haben Robert Menasse eingeladen, aber gerade erst erfahren, daß er einen Fahrradunfall hatte und vermutlich nicht kommen wird. Stattdessen wird ein wunderbarer Schauspieler aus „Die Hauptstadt“ lesen. Es gibt zur Zeit kein Buch, das einem besser und unterhaltsamer die Europäische Idee näherbringen könnte. „Transnationale Demokratie“ ist eines von Menasses Stichwörtern, das aber auch auf Dzevad Karahasans altes Sarajewo zutreffen könnte. Keiner vermag die untergegangene Vielvölkerwelt Bosniens lebendiger werden zu lassen als Karahasan, Sohn einer Muslima und eines Tito-Kommunisten, dessen engster Freund ein Franziskanerpater ist. Ein Mensch, sagte Karahasan einmal, könne nur das erkennen, was er selber in sich trage. Deswegen gibt es Menschen, die auf Andergläubige und Andersdenkende allergisch reagieren. Aber man brauche den anderen, um sich selber zu begreifen. Ich sage, man braucht die Literatur, um sich selbst in Frage zu stellen. Lesen oder Zuhören hilft, sich selbst zu bezweifeln. Das ist immer gut.