Politica | Bürgerlisten

Fruchtbares Vakuum

Mit einer gemeinsamen Erklärung schwören sich die Bürgerlisten des Landes auf zukünftige Herausforderungen ein. Das Credo: “Nichts haben müssen, nichts schuldig sein”
Farbtupfer
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

Gesellig ging es vergangenen Samstag im Girlaner Untergrund zu. Bürgerlistler aus dem ganzen Land hatten sich am 1. April im Vineumkeller eingefunden, um unter dem Motto “Mitdenken – mitgestalten – mitverantworten” Gedanken und Erfahrungen auszutauschen. Mit über 300 Gemeinderäten und 13 Bürgermeistern in 109 Südtiroler Gemeinden sind die Bürgerlisten inzwischen zur zweitstärksten Kraft hinter der SVP angewachsen. Gestärkt und überzeugter denn je, ihrem Auftrag nachzukommen, blicken die Bürgerlisten in die Zukunft, wie man aus der gemeinsam verfassten Schlusserklärung herauslesen kann:

 

Nichts haben müssen, nichts schuldig sein

 

Mitte der Gesellschaft - Querschnitt der Bevölkerung

Laut einer Definition des Gastreferenten (Politologe Hermann Atz, Anm. d. Red.) über die heimischen Bürgerlisten, an deren Wesen die oftmals von Lobbyisten, Karrieristen, Seilschaften und Ich-AGs dominierte Politik auch in Südtirol genesen kann, handelt es sich dabei um Bürgerinitiativen, die sich bei Wahlen, gerne in den eigenen Gemeinden mit ausgewählten Persönlichkeiten, dem Votum der Mitbürger stellen und sich daher selbstverständlich die Übernahme von politischer Verantwortung beherzt zutrauen.  

Bürgerlisten entstehen häufig aus der Mitte der dörflichen oder städtischen Gemeinschaft heraus und bilden oft einen Querschnitt der Bevölkerung querbeet durch alt bzw. jung, der Tradition bzw. der Modernität zusprechend, deutsch- bzw. italienischsprechend, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Freiberufler aus allen erdenklichen Berufen, wirtschaftlich besser bzw. weniger gut (situierte) Frauen oder Männer, Akademiker bzw. Nicht-Akademiker usw.

 

Bunt, locker, mutig und respektvoll als Gemeinderäte, Gemeindereferenten oder Bürgermeister

Durch die Gemeinderatswahlen im Frühling 2015 begannen plötzlich in Südtirol in der mühevoll von Bauernhand gepflegten Landschaft viele Blumenwiesen fröhlich zu erblühen. Anlässlich eines gemeinsamen Kennenlernens und Austauschs letzten Samstag, 1. April im Vineum in Girlan wurden sie reichlich mit Nährstoffen wie gegenseitige Bestärkung, Mut, Unterstützung und Kraft gedüngt.

Bunt ist seitdem der Strauß an politischer Verantwortung für die Bürgerlisten geworden, wie Vertreterinnen und Vertreter sowie Sympathisanten und Mitstreiter von über 20 anwesenden Listen, welche fast alle bereits den Sprung in den Gemeinderat geschafft haben, feststellen konnten:

einmal als Minderheit im Gemeinderat, bemüht als rührige Opposition um stichhaltige Information für die Bürger über in manch stillem Hinterzimmer ausgebrütete Projekte, aufs Risiko hin sich bei der regierender Verwaltung nicht immer beliebt zu machen;

dann wiederum andernorts als Minderheit in Gemeinderat und manchmal mit oder ohne Vertretung im regierenden Gemeindeausschuss mit entweder „anderem“ oder „eigenem“ Bürgermeister bzw. Bürgermeisterin; dort bilden dann Konsens und Kompromisse die Basis der täglichen Arbeit, damit es für die Gemeinde insgesamt und für die ganze Bevölkerung gut weitergeht - freilich im ständigen Spagat, eigene Akzente setzen zu wollen und stets die eigene Meinung in der Sache äußern zu können und dennoch stets „menschlich“ respektiert zu bleiben.

 

Kampf um die Sache und achtsamer Umgang mit dem Mitbewerber  

In Zeiten von um sich schlagenden Populismus auch bei uns sind wir alle aufgerufen, das Menschliche unter uns nicht aus den Augen zu verlieren. Dieser Welle ist mit achtsamem Herz und kritischem Hirn entgegen zu treten.

Und schließlich blüht seit damals in diesem Strauß schon vereinzelt da und dort eine Blume, wo die Bürgerlisten in Gemeinderat und Gemeindeausschuss schon die Mehrheit bilden und gar manches Mal den Bürgermeister aus den eigenen Reihen stellen können.

Die allgemeine Großwetterlage sollte bei aller Differenz uns einen und den Mut aufbringen lassen, Veränderung, auch tiefgreifende, zu bewirken, wo diese überfällig ist, denn die Bedrohungsszenarien sind die gleichen, egal ob Bürgerliste oder nicht:

Eine durch technologische Revolution befeuerte Globalisierung; die fast schon Tradition gewordene Vergemeinschaftung von Schulden, Pleiten, Pech und Pannen; ein gesichtsloser und oft bereits vom Ort entkoppeltes Großkapital; die Gängelung bis zur Seckiererei von all jenen, die etwas in Vereinen und Betrieben bewegen wollen; ein vorschneller Kniefall vor dem (Heiligen) Bürokratius in Brüssel, Rom und Bozen; mitunter fassungsloses Zusehen müssen, wie die von unseren Großeltern errungene und unseren Eltern bewahrte Autonomie unter Beschuss gerät und schließlich ein schwindendes Vertrauen in unsere langjährig an den Hebeln der Macht agierenden parteipolitischen Eliten – von der Gemeindestube bis hinunter ins Parlament. Immer öfter fragen wir uns daher: Schaffen die es noch alleine oder braucht es schon uns?

Vor allem dort, wo unsere sogenannten Eliten in Politik und Verwaltung auf Gemeindeebene, aber nicht nur dort, sachpolitisches Vakuum zulassen und nicht rührig genug tätig sind, die wahren Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger Ernst zu nehmen, ist fruchtbarer Boden für die Entstehung von Bürgerlisten. Wir sind heute so nah am Bürger dran wie einstmals die etablierten Parteien. Dadurch sehen wir Entwicklungen früher kommen, auf die wir reagieren müssen. Wir lassen nicht locker und nicht zu, dass andere unsere Zukunft aufs Spiel setzen.

 

Wir sitzen alle im gleichen Boot

Der politische Mitbewerber mag es uns sicher nicht einfach machen, aber wir sehen das als sein Zutrauen, dass wir um die Sache ringen. Vielleicht schätzt unser Gegenüber gar insgeheim diese Beharrlichkeit und die Qualität unserer Bereitschaft zum stets kritischen, aber dennoch an der Lösung orientierten Dialog. Politische Arbeit ist auch ein ewiges voneinander lernen können.

Das Bohren harter sachpolitischer Bretter stählt unseren Willen und beflügelt unseren Fleiß. Wir können daher unseren Mitbewerbern auf Augenhöhe begegnen. Freilich, auch wir müssen uns bemühen, einmal getroffene Entscheidungen, die nicht ganz in unserem Sinne sein mögen, stärker anzunehmen und abzuhaken lernen. Leider ist politische Stabilität heute oftmals ein recht brüchiges Eis. Das verlangt stets auch nach unserem Anteil an der gemeinsam zu tragenden Verantwortung.

 

Alternative zu Resignation und Rückzug – Begeisterung für das Gemeinsame

Bürgerlisten sind gesellschaftspolitisch vielleicht eine der letzten Anlaufstellen, um Bürger für das tätige Miteinander zum Wohle der Gemeinschaft zu gewinnen. Zu viele schon haben sich teilweise auch angewidert von der Politik, angefangen auf Gemeindeebene, abgewandt. Diesen Rückzug ins reine Ich und diese Resignation, nichts bewegen zu können wollen wir mithelfen zu stoppen und ins Positive umkehren. Wir wollen Mut, Kraft und Optimismus für Veränderung und rühriges Tun vermitteln und Perspektiven aufzeigen.
 

Geben wir den Jungen ihre Chancen!

Wir Bürgerlisten bemühen uns insbesondere um die Jungen in unserem Land.

Ja, es gibt einen Wettbewerb um die Talente auch hier bei uns. Wenn daher auch unsere Mitbewerber erkennen, dass andere Väter und Mütter auch schöne Kinder haben, will heißen fähige, rührige und mutige Persönlichkeiten für sich gewinnen konnten, ist das Ansporn und Anerkennung für unsere Arbeit, die vom Ziel beseelt ist, dass wir starre Muster aufbrechen wollen, Scheuklappen abgelegt haben, das starre Betrachten nach Kategorien - hier das Soziale, dort die Wirtschaft, hier das Sportliche, dort das Kulturelle – vernetzter angehen, weil wir erkennen: Wir drehen alle am gleichen Rad und alles hängt mit allem zusammen.

Offenheit, Unvoreingenommenheit, eine gewissen Lockerheit in Vorgehensweise und Organisation, Vernetzung, Verbindung und Austausch, ähnlicher Stand an Information und das Vertrauen in die Bevölkerung in unseren Gemeinden, dass wir auch unsere Zweifel, Unsicherheiten und Probleme mit ihnen teilen dürfen ohne sofort ihren Zuspruch zu verlieren, sind vielleicht, abseits der Definition unseres Gastreferenten über das Wesen von Bürgerlisten, die vielleicht wesentlichen Unterscheidungsmerkmale, die wohl auch den Kern eines Selbstverständnisses über Werte bilden, die unsere Blumenwiesen in ihrer Farbenpracht einander ähneln lassen.

Für uns sind diese Merkmale auch Werkzeug und Methode, um den Herausforderungen zu begegnen, die uns nahezu schon tagtäglich von Brüssel, Bozen und Rom in den Gemeindestuben erreichen.

 

Unabhängig, unbelastet und frei

Und last but not least wohnt Bürgerlistlern von Mals bis Winnebach, vom Brenner bis Salurn eine Grundüberzeugung inne: von der Gemeinde nichts haben zu müssen und ihr nichts schuldig zu sein, ist Quell der Freiheit und der größtenteils unbelasteten Unabhängigkeit, durch die wir uns nach bestem Wissen und Gewissen für die Allgemeinheit so lange einsetzen dürfen, bis jemand anders aus unseren Reihen gerne inspiriert von unseren Werten die Stafette übernehmen will, um den Lauf um eine gutes Heute und Morgen für unsere Bevölkerung, angefangen auch Dorfebene, weiter fortzusetzen.

Unser Angebot für die Wählerinnen und Wählern ist unsere politische Mitarbeit. Nichtsdestotrotz, da wir mit der Politik kein Bündnis gleich einer lebenslangen Ehe eingegangen sind, ist Politik ein schöner, aber nicht unverzichtbarer Bestandteil in unserer persönlichen und beruflichen Lebensplanung. Zu schön, wenn wir uns in Sicherheit wiegen könnten, unsere etablierten Eliten würden das Heft des Handels noch fest zu unser aller Wohl in Händen halten und wohl auch eine ewige Illusion, sich nicht einbringen zu müssen, um jene Veränderung zu bewirken, die als wichtig und richtig für die Menschen und ihr näheres oder weiteres Umfeld angesehen wird!