Società | Tagebuch aus Alpbach
Emotion Alpbach

Foto: EFA
Eigentlich war die Veranstaltung „Afghanistan – Groundhog Day for Human/Women’s Rights? als Wanderung geplant, daraus wurde aber nichts. Das Wetter im Alpbachtal schlägt oft so schnell um wie ich von Vortrag zu Vortrag husche. Ich fühle mich wie eine Wolke, die vom Wind in ein Seminar hineingetragen wird, wie in ein Tal oder in eine Thematik, in welcher ich vorher noch nie war. Dann türmt sich plötzlich ein Berg vor einem auf, und man bliebt doch länger als geplant dort hängen. So auch vor ein paar Tagen, als ich einen kleineren Seminarraum des europäischen Forums Alpbach (EFA) betrat. Dabei hielten mich nicht die umliegende Gratlspitze, der Schatzberg oder das Wiedersberger Horn auf, es fesselten mich zwei echte Powerfrauen: Florence Gaub und Nargis Hassanzai. Erstere ist eine deutsch-französische Politikwissenschaftlerin und Sicherheitsexpertin, letztere eine afghanische Frauenrechtsexpertin und außerordentliche Professorin an der Kabul Education University. Kurz zur Vorgeschichte, wo sich die Wege dieser beiden Frauen treffen, und was Alpbach dabei für eine Rolle spielt.
Vor fast genau einem Jahr erhielt Florence von Natalie Amiri, einer iranisch-deutschen Journalistin, eine Liste von 50 afghanischen Frauen, die sich in unmittelbarer Gefahr durch das kommende Taliban-Regime befinden. Sie bat Florence um Hilfe, um die gefährdeten Frauen, welche in der Regierung, im Journalismus, im Aktivismus, im Hochschulwesen und in der Politik tätig waren, zu evakuieren. Daraufhin schickte sie diese Liste an all ihre Kontakte in amerikanischen, französischen, deutschen und britischen Kreisen. Zurückgekommen sind viele positive Signale, aber nichts Konkretes, das wirklich helfen könnte. Auf dieser Liste stand auch der Name von Nargis. In der Zwischenzeit versteckte sie sich mit ihrer Familie in verschiedenen Gebäuden in und um die afghanische Hauptstadt Kabul. Die beiden Frauen verband ein reger Mailaustausch, welcher besonders Nargis und ihrer Familie Mut und Hoffnung machte und zum Durchhalten ermutigte. Hatte sie doch ihr wertvollstes Gut, ihre Freiheit, verloren. Im Februar 2022 war es dann soweit, Nargis und ihre Familie musste sich innerhalb weniger Stunden mit nur einem Rucksack auf den Weg machen. Seitdem lebt sie in Deutschland. Im Rahmen des europäischen Forums Alpbach haben sich die beiden zum ersten Mal persönlich getroffen. Dabei übergab Nargis Florence einen traditionellen handgestickten Schal, welcher zu den wenigen Sachen gehört, die sie aus ihrer Heimat mitgenommen hat.
Am 15. August 2021 eroberten die Taliban Kabul innerhalb weniger Stunden, sie drangen in den Präsidentenpalast ein und verkündeten ihren Sieg über Afghanistan. Dieser erste schlimme Jahrestag markiert den Verlust der Freiheit von vielen Afghanen. Beim Vortrag wurde die aktuelle Situation, insbesondere im Hinblick auf Menschen- und Frauenrechte beleuchtet, auch die zukünftige Entwicklung des Schulwesens wurde diskutiert. Die Bildungssituation, insbesondere für Frauen hat sich dramatisch verschlechtert. Es folgen nun ein paar persönliche Eindrücke und Schilderungen, was in diesem Jahr passierte: Frauen dürfen mittlerweile nicht mehr das Haus verlassen, und wenn sie dies doch tun müssen, dann dürfen sie es nur in Begleitung eines/ihres Mannes. Frauen müssen sich nun auch kleidungstechnisch komplett verdecken. Moderne Schulfächer wie Informatik oder Englisch wurden abgeschaffen. Aktuell ist es Mädchen nur bis zur 6. Klasse erlaubt, die Schule zu besuchen. Kurzum: gebildete Frauen sind nicht erwünscht. Einzige Ausnahme sind Medizinstudentinnen, die sich täglich alternierend die Universität mit ihren männlichen Kommilitonen teilen müssen. Sorgen machen Nargis auch die aktuellen Curriculums-Änderungen, so sind beispielsweise religiöse Fächer mit mehr Credits versehen und werden daher häufiger von den Studierenden gewählt. Die wahren Folgen dieses tief einschneidenden Eingriffes in den Bildungsweg werden sich aber wohl erst nach ein paar Jahren zeigen.
Eingangs war der erste Satz von Nargis „How much time do I have?”. Zu wenig, kann ich im Nachhinein sagen. Wie lange hätte ich noch ihren Erzählungen zuhören können. Aber es ist Zeit für mich weiterzuziehen. Bald sogar werde ich mich wieder aus dem Tal verziehen und mehr in meinem Alltag mitnehmen als ich es mir beim Herkommen erdacht hätte. So vieles in so wenig Worte zu fassen war eine Herausforderung.
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