Seit Matteo Renzis Regierungsantritt vor zwei Jahren war Italiens politisches Klima nie frostiger als jetzt. Der Rücktritt der Industrieministerin Federica Guidi, die ihrem Lebensgefährten geschäftliche Vorteile verschafft hat , wirft ebenso Schatten auf die Regierung wie das Verhör ihrer Kollegin Maria Elena Boschi durch die Staatsanwälte von Potenza. In den abgehörten Telefongesprächen taucht neben derben Beschimpfungen ein Dossier gegen Bautenminister Delrio auf. Abgesehen von der peinlichen Schmutzwäsche des betroffenen Paares, die von der italienischen Presse genüsslich ausgebreitet wird, zeichnen die Mitschnitte das Bild einer Regierungsmannschaft, in der sich verfeindete Seilschaften intrigenreich bekämpfen. So äussert sich Guidi abfällig über Wirtschaftsminister Gian Carlo Padoan, über ihren Vize Claudio De Vincenti und über Staatssekretär und Renzi-Intimus Luca Lotti ("Mi sta massacrando".) Guidi hat sich am Donnerstag in einem dreistündigen Verhör als Opfer dargestellt. Die Staatsanwälte in Potenza haben indessen Staatssekretär De Vincenti vorgeladen, der als ihr potentieller Nachfolger gilt.
Die Affäre um die Ölbohrungen in der Basilicata erweist sich als facettenreich und in vielen Aspekten ungeklärt - vor allem beim Ausmass der Umweltverschmutzung. Auch die Verantwortung etlicher Regionalpolitiker muss durchleuchtet werden.
Wie stets sieht Renzi im Angriff die beste Verteidigung: "Non siamo il governo delle lobby." Die Richtervereinigung wehrt sich energisch gegen seine Angriffe auf die "im Schneckentempo arbeitende Justiz". Mit dem Näherrücken der Volksabstimmung über die Erdölbohrungen eskalieren die Grabenkämpfe im Partito Democratico. Der linke Flügel attackiert den Parteichef schonunglos. Gianni Cuperlo: "Non sei all'altezza del ruolo che ricopri, né hai la statura del leader, ma solo l'arroganza dei capi."
Unverblümt wie stets hatte der Premier seine Hoffnung auf ein Scheitern des Referendums geäußert, das von 10 Regionen beantragt wurde. Dass einige davon von Renzis PD regiert werden, führt unweigerlich zu Konflikten. Besonders der apulische Präsident Michele Emiliano schießt sich auf den Premier ein.
Kundgebung gegen Renzis Besuch in Neapel
Bei seiner Ankunft in Neapel wurde der Regierungschef indessen von einer Grosskundgebung mit gewalttätigen Auseinandersetzungen empfangen, bei der elf Polizisten verletzt wurden. Bürgermeister De Magistris liess sich nicht blicken und attackierte Renzi, der fast 300 Millionen Euro für die Sanierung des verseuchten Industriegeländes in Bagnoli ankündigte: "Sará la piú grande opera di recupero ambientale fatta in Italia. Non ci aspettiamo un grazie, ma stiamo facendo una cosa che attendevano generazioni di napoletani". Neapel gehört neben Rom und Turin zu jenen Großstädten, in denen Renzis Partei bei den bevorstehenden Wahlen eine Niederlage droht.
Die Fünfsterne-Bewegung nutzt die Gunst der Stunde, um im Senat einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einzubringen. Forza Italia und Lega wollen dem Beispiel folgen. Beppe Grillo fordert gar eine Intervention des Staatspräsidenten über die "fatti gravissimi ed eccezionali di trivellopoli". Ausgestanden ist der Fall Guidi keinesfalls.
Auch wenn Renzi wie gewohnt zur Tagesordnung übergeht. Am Donnerstag stellte er in Rom mit den Chefs von Enel, Wind und Vodafone ein 2,5 Milliarden-Projekt zur Realisierung schneller Internetverbindungen vor. Seine politischen Gegner nutzen indessen die Gunst der Stunde, um den Regierungschef in schräges Licht zu rücken - mit Blick auf das Verfassungsreferendum im Oktober. Nach fast zwei Jahren soll die Verfassungsreform zur Abschaffung des Senats in den kommenden Tagen endgültig von der Kammer verabschiedet werden. Dann folgt der Antrag auf jene Volksabstimmung , die über Renzis politisches Schicksal entscheiden wird. Dass dabei die Verfassungsreform zur Wahl steht, ficht seine zahlreichen Gegner nicht an. Für sie ist es schlicht und einfach ein Referendum über Renzis Person. Und die erste konkrete Chance, den ungeliebten Regierungschef loszuwerden.