Politica | Österreich-Wahl

Strache und Hofer haben schon gewonnen

Wie die österreichische Justiz über die Anfechtung der Bundespräsidenten-Wahlen durch die FPÖ auch entscheidet – die Kampagne der Strache-Partei wird nicht zu Ende sein.

Herbert Kickl ist seit 2005 Generalsekretär der FPÖ, Parlamentsabgeordneter und offiziell für die Öffentlichkeitsarbeit seiner Partei zuständig. Der schmächtig-magere Brillenträger mit Dreitagesbart gilt als sozial zurückgezogen, als Einzelgänger. Und er gilt als eine Art „zynisches Hirn“ und Stratege, der schon seit Jörg Haider dominierenden Einfluss auf die Ausrichtung und Selbstdarstellung der Freiheitlichen habe. Von ihm stammen so gut wie alle einschlägig wirksamen Slogans wie etwa „Daham statt Islam“, "Mehr Mut für unser Wiener Blut, zu viel Fremdes tut niemandem gut" und auf die im  Volksmund „Pummerin“ genannte große Glocke im Kirchturm des Wiener Stephansdoms Bezug nehmend "Pummerin statt Muezzin".

Dieser Herbert Kickl hatte schon am 21. Mai, also am Vorabend der Stichwahl zwischen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen, gewarnt. Die Tatsache, dass diesmal so außerordentlich viele Briefwahlkarten ausgegeben wurden (885.437 also fast für 14% der Wahlberechtigten) berge die Gefahr, dass „Helfershelfer des gegenwärtigen Politsystems hier vielleicht die Gelegenheit nutzen könnten, dem Wählerwillen zugunsten des Systemrepräsentanten Van der Bellen 'nachzuhelfen'.“ Und als am 23. Mai feststand, dass Van der Bellen gerade aufgrund der Briefwahlkarten mit mehr als 30.000 Stimmen gewonnen hatte, kündigte Kickl schon eine mögliche Anfechtung der Wahl wegen Unregelmäßigkeiten an. Dabei prägte der FPÖ-Dichter wieder ein Bild, das sein Obmann Strache zu verwenden nicht müde wurde: Man müsse nur sicherstellen, dass bei den Unregelmäßigkeiten „wirklich Fleisch am Knochen“ sei. Das Fleisch sei jetzt in reichlicher Menge gefunden worden, behauptet die FPÖ. Sie hat eine 150 Seiten umfassende Anfechtung der Wahl eingebracht.


Das Fleisch am Knochen

Wahlkartenbriefe seien zu früh in gültige oder ungültige (ohne korrekte Angaben oder Unterschriften) vorsortiert worden.                                 
Wahlkartenbriefe seien zu früh geöffnet worden.                                 
Stimmkuversts seien zu früh aus den Wahlkartenkuverts entnommen worden.
In vier Bezirken sei mit der Auszählung selbst zu früh begonnen worden.             
In anderen Fällen sei die Auszählung nicht korrekt überwacht worden.         

Von diesen Unregelmäßigkeiten seien insgesamt eine halbe Million Stimmen betroffen, behauptet die FPÖ und gibt an, für sämtliche Vorgänge Zeugen inklusive eidesstaatlicher Erklärungen bereit zu haben. Warum hat denn keiner der vielen tausenden Wahlbeobachter der FPÖ in den Komissionen diese Mängel verhindert? Warum haben sie im Gegenteil die Protokolle der Wahlkommissionen über die ordnungsgemäß abgelaufene Auszählung mit unterschrieben? Auf diese Frage antwortet Dieter Böhmdorfer, ehemaliger FPÖ Justizminister und jetzt Vertreter der FPÖ bei der Wahlanfechtung, nur: „Ich kann mir das selbst nicht erklären, ich war ja nicht dabei.“


Muss neu gewählt werden?

Dass es sich bei den aufgedeckten Unregelmäßigkeiten, sofern sie belegt werden, um gravierende Schlamperei und Verletzung von Bestimmungen handelt, darin sind sich sämtliche Experten einig. Einen eindeutigen Beweis, dass damit Stimmen zu Gunsten oder zu Ungunsten eines der beiden Kandidaten manipuliert wurden, stellen sie nicht dar. Der Verfassungsgerichtshof muss jetzt bewerten, ob diese Verstöße gegen das Prozedere der Auszählung den Ausgang der Wahl ernsthaft beeinflusst haben könnten. Der Gerichtshof könnte dann die Wiederholung des gesamten zweiten Wahlgangs oder zumindest eine in gewissen Bezirken anordnen. Sollten die Verfassungsrichter nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von vier Wochen zu einem Ergebnis kommen, dann könnte Van der Bellen nicht angelobt werden. Interimistisch würde dann das Kollektiv der drei Nationalratspräsidenten die Funktion des Bundespräsidenten übernehmen.

Die Sprecher Van der Bellens geben sich gelassen. Es sei das Recht eines jeden Kandidaten, eine Wahl anzufechten, man vertraue auf die Justiz. In Wirklichkeit ist es auch durchaus im Interesse Van der Bellens selbst, dass die höchste juridische Instanz im Staat Klarheit schafft. Aber selbst dann, wenn der Gerichtshof zum Schluss kommt, dass die formalen Verfehlungen den FPÖ-Kandidaten nicht benachteiligt haben, wird die seit Wochen laufende Kampagne der Strache-Partei nicht zu Ende sein. Dann werden eben auch die Verfassungsrichter diskreditiert werden. Das hatte schon Jörg Haider vorexerziert, als er sich weigerte die Beschlüsse des höchsten Gerichts in Sachen zweisprachige Ortstafeln in Kärnten umzusetzen.

Es ist also zu befürchten, dass die Freiheitlichen die Richter als Diener des „Altparteien-Polit-Systems“ denunzieren, die unterstützt würden von den politisch gesteuerten und von Linken besetzten „System-Medien“, von den „Staatskünstlern“, den Freimaurern, den Bilderbergern usw. Der sympathische „Kandidat des Volkes“ Norbert Hofer, der immer für Österreich und die Österreicher zuerst sorgen wollte, wird also den EU-Anhängern, den Willkommens-Kultur-Predigern, den kosmopolitischen Eliten – eben den vor allem in den Städten lebenden Briefwählern – zum Opfer gefallen sein. Die Opferrolle gehört seit jeher zu den zentralen Motiven aller radikalen und national-populistischen Rechten. Dass andere politische Kräfte eine Bewegung oder Partei bekämpfen, wird nicht als legitime Konkurrenz zur Durchsetzung eigener Vorstellungen über die Gestaltung von Demokratie und Gesellschaft akzeptiert, sondern als Diskriminierung durch „die da oben“, unterstützt von finsteren Mächten und dem Ausland. Insofern haben Strache, Hofer und Kickl schon gewonnen. Wie abertausende Einträge in den sozialen Medien zeigen, betrachten sich sehr viele FPÖ-Anhänger schon jetzt als Betrogene, als Verlierer, wieder einmal.

Bild
Profile picture for user Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Gio, 06/09/2016 - 18:20

Tatsache ist, dass Van der Bellen nur dank der Wahlkarten mit äußerst knapper Mehrheit gewählt wurde. Tatsache ist auch, dass bei der Auszählung der Wahlkarten massiv gegen das geltende Gesetz verstoßen wurde, so dass das Innenministerium selbst Anzeige erstatte und sich öffentlich entschuldigt hat. Dass die FPÖ angesichts dieser Tatsachen Rekurs eingelegt hat, ist mehr als verständlich. Das Gericht wird entscheiden, ob ein Kandidat - und gegebenenfalls wer - durch diese "Schlampereien" benachteiligt oder bevorzugt wurde. Diese Entscheidung wird von allen Beteiligten akzeptiert werden. Es ist daher vollkommen unsinnig, wenn Lorenz Gallmetzer der FPÖ eine "Kampagne" unterstellt, die weitergehen werde. Es geht hier schlicht und einfach um die Klärung einer verwaltungsmäßigen Unregelmäßigkeit, an der auch Van der Bellen selbst interessiert ist, da er ja nicht mit dem Makel einer möglichen Wahlfälschung sein Amt antreten will. Van der Bellen scheint mir wesentlich vernünftiger zu sein als Lorenz Gallmetzer.

Gio, 06/09/2016 - 18:20 Collegamento permanente