Società | Gastbeitrag

Bildung braucht Weitblick

In der aktuellen Debatte um Lehrergehälter, Unterrichtsausfälle und abgesagte Ausflüge zeigt sich ein grundsätzliches Problem: Die Diskussion ist zu kurzfristig gedacht.
Grundschule
Foto: Seehauserfoto
  • Die Kultur der Kurzfristigkeit liegt seit längerem im Trend und macht auch vor dem Thema Bildung nicht halt. Dies führt dazu, dass man sich der sich verändernden Schulrealität und den von Seiten der Lehrerschaft geforderten Maßnahmen mitunter aus der falschen Perspektive nähert und das Augenmerk auf die polarisierenden Punkte wie die zu niedrigen oder unbedingt zu erhöhenden Lehrergehälter, das mangelnde Personal für inklusiven oder differenzierenden Unterricht, die fehlenden Infrastrukturen und digitalen Ausstattungen legt. Das Streitthema muss aber die gesamte Bildung per se bleiben. Fokussiert man sich nämlich auf letzteres, so würden viele Entscheidungen, Forderungen und Drohungen des Lehrpersonals auch in der breiten Öffentlichkeit Gehör finden; und würden dadurch vielleicht eher nachvollzogen. 

    Nüchtern formuliert: Bildung hat Priorität. Für SchülerInnen muss sie bestmöglich gewährleistet werden, damit die heutige Generation den bestmöglichen Beitrag für die Gesellschaft, die Region und den Staat leisten kann und damit der zukünftigen Generation kein Schaden entsteht. 

    Konkret formuliert: Fehlende Bildung entzieht langfristig Ressourcen. Jugendliche mit schwacher Ausbildung drohen staatliche Transfers zu beanspruchen, statt mit eigenen Steuern zum Gemeinwohl beizutragen. 

    Wissenschaftlich formuliert: OECD-Studien zeigen, dass solide Grundkompetenzen wie Lesen, Schreiben und Rechnen – entwickelt durch engagierte Lehrpersonen – stark mit späterem Einkommen und Beschäftigungschancen korrelieren. In PISA-Studien sinkt der Anteil leistungsstarker SchülerInnen, benachteiligte Jugendliche holen weniger auf. So bleibt Bildungsarmut strukturell verankert. Bildungsinvestitionen (ja, auch das Gehalt für die Lehrpersonen ist eine Bildungsinvestition) können mittelfristig Produktivität, soziales Aufsteigen und Innovation fördern – entscheidend für nationalen Fortschritt und Wettbewerb am Standort – vielleicht werden dadurch auch die Klagen der Arbeitgeber hierzulande weniger. 

    Die Protestbewegungen des Lehrpersonals sind daher demokratisch absolut legitim, denn wenn die Politik Bildungsinvestitionen blockiert, weil sie für eine einzige Legislaturperiode nicht wirklich gewinnbringend sind, entsteht ein durchaus nachvollziehbarer Gegendruck. Dabei geht es eben nicht nur – wie leider zu oft medial kolportiert und öffentlich akzeptiert – um das finanzielle Wohl der einzelnen Lehrkräfte, sondern um das jetzige Wohl der SchülerInnen und das zukünftige Wohl des Staates. Der aktuelle Unmut unter Südtirols Lehrpersonen ist deshalb kein Selbstzweck – sondern ein notwendiges Alarmsignal.
     Bildung ist und bleibt der einzig nachhaltige Weg zur ökonomischen und gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Unterbleibende Bildungsausgaben verursachen langfristig Folgekosten für die Gesellschaft und einen Verlust der Produktivität. Oder wie es Kennedy einst ausdrückte: „Es gibt nur eines, das auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“

    Lehrergehälter, massive Förderungen in Früh- und Grundbildung, Fortbildungen, moderne Infrastrukturen und attraktive Ausbildungs- und Arbeitsplätze sollten daher im Interesse der gesamten demokratischen Gesellschaft sein. 

  • Zur Person

    Gregor Lechner Bazzanella hat in Wien studiert und unterrichtet seit 2016 in Südtirol. Zur Zeit lehrt er Deutsch im Liceo Classico e Linguistico Carducci in Bozen. 

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Salto User
Oliver Hopfgartner Mer, 07/09/2025 - 21:35

Sicher können wir unseren generellen Zugang zu Bildung im Allgemeinen und Schulbildung im Speziellen zum Streitthema machen.

Wenn wir die Grundsatzfrage stellen und alles ergebnisoffen hinterfragen wollen, kommt man irgendwann zum Punkt, an dem man die Institution "staatliche Schule" an sich hinterfragen muss. Ist dieses Modell überhaupt noch zeitgemäß?
Wir sollten uns von der Illusion befreien, dass die Schule Kinder "aufs Leben" und "auf die Berufswelt" vorbereitet. Die Anforderungen ändern sich so schnell, dass das eh nicht möglich ist.
Daher sollten wir uns fragen, was wir uns vom Schulsystem überhaupt erwarten? Wir alle sind befangen, weil wir selbst oft schöne Erinnerungen an die Schulzeit haben. Gleichzeitig haben wir aber auch extrem viel Zeit in dieser Institution "verschwendet".
Wir sind geistig in diesem System verhaftet und könnten uns eine tiefgreifende Strukturreform der Institution Schule gar nicht vorstellen.
Daher frage ich bewusst: Wozu ist "Schule" da? Welches Ergebnis erwarten wir uns davon unsere Kinder 13 Jahre dort hin zu schicken? Dann können wir uns nämlich fragen, ob bzw wie man dieses Ziel auf andere Weise erreichen könnte.

Mer, 07/09/2025 - 21:35 Collegamento permanente
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△rtim post Gio, 07/10/2025 - 11:00

In risposta a di Oliver Hopfgartner

In der öffentlichen Debatte wird immer von Bildung gesprochen. Auch hier im Artikel wird "Bildung" getitelt.
Es gilt aber wohl sachbezogen ein bisschen zu differenzieren und es richtig zu benennen.
Es geht eigentlich um die Bildungswirtschaft der staatlich regulierten Einrichtung (Schulen) und um Wirksamkeit.
Mehr Geld allein bringt ja keine besseren Ergebnisse. Auch nicht in der Schweiz.
"Wer die Bildungsqualität wirklich steigern will, sollte nicht einfach das Budget aufstocken, sondern gezielt in wirksame Massnahmen investieren."
In: https://www.nzz.ch/wirtschaft/die-teuersten-bildungsausgaben-sind-die-d…
Darüber gilt es zu diskutieren. Denn: Die teuersten Bildungsausgaben sind die, die nichts bringen.

Gio, 07/10/2025 - 11:00 Collegamento permanente
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△rtim post Gio, 07/10/2025 - 11:00

In risposta a di Oliver Hopfgartner

In der öffentlichen Debatte wird immer von Bildung gesprochen. Auch hier im Artikel wird "Bildung" getitelt.
Es gilt aber wohl sachbezogen ein bisschen zu differenzieren und es richtig zu benennen.
Es geht eigentlich um die Bildungswirtschaft der staatlich regulierten Einrichtung (Schulen) und um Wirksamkeit.
Mehr Geld allein bringt ja keine besseren Ergebnisse. Auch nicht in der Schweiz.
"Wer die Bildungsqualität wirklich steigern will, sollte nicht einfach das Budget aufstocken, sondern gezielt in wirksame Massnahmen investieren."
In: https://www.nzz.ch/wirtschaft/die-teuersten-bildungsausgaben-sind-die-d…
Darüber gilt es zu diskutieren. Denn: Die teuersten Bildungsausgaben sind die, die nichts bringen.

Gio, 07/10/2025 - 11:00 Collegamento permanente
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Thomas Strobl Gio, 07/10/2025 - 11:52

In risposta a di Oliver Hopfgartner

Zu dieser weitläufigen und beziehungsreichen Thematik ist es einfacher, Fragen zu stellen als Antworten zu geben. Mit einem Blick auf "Zeiten wie die Unseren" frage ich mich zum Beispiel, ob ich mir eine "zeitgemäße" Schule überhaupt vorstellen und schon gar wünschen möchte. Ist doch das Unzeitgemäße an der Schule mitunter, dass sie ein Hort und eine Quelle des Idealismus ist, dass hier Werte gelebt und vermittelt werden, die außerhalb keinen realpolitisch-ökonomischen Pfifferling wert sind, auch wenn die hochdynamischen „Macher“, die Tag für Tag so effizient „das Leben“ herstellen, auf das wir unsere Schüler*innen zurichten sollten, sie gerne in feierlichen Hochglanz-Momenten vollmundig proklamieren.
Ob man das Bildungsziel auf eine "andere Weise", also abseits einer staatlichen Schule erreichen könne, fragen Sie. Das kann man, natürlich, und das tat und tut man, private Institutionen stehen Begüterten und von "special interests" Bewegten seit je zu Diensten. Wer aber außer der viel - und oft zu Recht - gescholtenen staatlichen Schule die Bildung der "breiten Masse" stemmen sollte... da fällt mir so spontan jetzt niemand ein und ich danke für Vorschläge.
Dass sich die Anforderungen an die Berufsvorbereitung rasch ändert, ist kein ganz neues Phänomen. Noch Mitte der 80er Jahre wurden wir in der "Handelsschule" über 5 Wochenstunden in die Geheimwissenschaft der Deutschen Einheitskurzschrift eingeweiht, obwohl der damalige technologische Entwicklungsstand dieses so sympathisch schrullige wie obsolete Überbleibsel vergangener Jahrzehnte längst in den Bereich des Musealen verwiesen hätte. Eine meiner Lieblingsideen ist es deshalb, die Schule nicht servil den saisonal wechselnden Forderungskatalogen „der Wirtschaft“ nachhecheln zu lassen, sondern umgekehrt, die Wirtschaft für die Implementierung dessen, was „menschlich“ ist bzw. sein soll in die Pflicht und Verantwortung zu nehmen. Bestimmt sie doch durch ihren Waren- und Produktausstoß ungleich effektiver Bildung und Verbildung gegenwärtiger und künftiger Generationen; man denke zur Verdeutlichung nur an den IT-Sektor, die Unterhaltungsmedien allgemein, aber auch an das Nahrungsmittelangebot, den Bekleidungssektor und weiter und so fort. Die Schule gehe erhobenen Hauptes ihren Weg, aber sie gehe und sie gehe ihren Weg denkend.

Gio, 07/10/2025 - 11:52 Collegamento permanente
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Stefan S Gio, 07/10/2025 - 12:52

In risposta a di Thomas Strobl

"Einheitskurzschrift" nennt sich Steno 🙂
Ich bin da zum Glück 1986 um 1 Jahr daran vorbei geschlittert. Aber Schreibmaschine 10 Finger Anschlag ist heute noch bestens anwendbar wurde leider später auch abgeschafft. ALEXA übernehmen Sie?! 🙃
"die Schule nicht servil den saisonal wechselnden Forderungskatalogen „der Wirtschaft“ nachhecheln zu lassen, sondern umgekehrt, die Wirtschaft für die Implementierung dessen, was „menschlich“ ist bzw. sein soll in die Pflicht und Verantwortung zu nehmen."
Nennt sich duale Ausbildung und hat sich in D sehr sehr bewährt.
Unsere Kleene ist gerade im Entspurt zur Oberstufe und was nach wie vor fehlt, heute wie damals ist bei vielen Lehrern der Bezug zur Realität im späteren Berufsleben. Ich hatten damals ein wenig Glück weil unser Lehrer für Deutsch und Wirtschaftskunde tatsächlich raus zu den Firmen ging und uns dadurch die Anwendbarkeit in der Praxis vermittelte. Absoluter Einzelfall, sonst nie mehr gesehen oder gehört.

Gio, 07/10/2025 - 12:52 Collegamento permanente
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Stefan S Gio, 07/10/2025 - 12:52

In risposta a di Thomas Strobl

"Einheitskurzschrift" nennt sich Steno 🙂
Ich bin da zum Glück 1986 um 1 Jahr daran vorbei geschlittert. Aber Schreibmaschine 10 Finger Anschlag ist heute noch bestens anwendbar wurde leider später auch abgeschafft. ALEXA übernehmen Sie?! 🙃
"die Schule nicht servil den saisonal wechselnden Forderungskatalogen „der Wirtschaft“ nachhecheln zu lassen, sondern umgekehrt, die Wirtschaft für die Implementierung dessen, was „menschlich“ ist bzw. sein soll in die Pflicht und Verantwortung zu nehmen."
Nennt sich duale Ausbildung und hat sich in D sehr sehr bewährt.
Unsere Kleene ist gerade im Entspurt zur Oberstufe und was nach wie vor fehlt, heute wie damals ist bei vielen Lehrern der Bezug zur Realität im späteren Berufsleben. Ich hatten damals ein wenig Glück weil unser Lehrer für Deutsch und Wirtschaftskunde tatsächlich raus zu den Firmen ging und uns dadurch die Anwendbarkeit in der Praxis vermittelte. Absoluter Einzelfall, sonst nie mehr gesehen oder gehört.

Gio, 07/10/2025 - 12:52 Collegamento permanente
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Oliver Hopfgartner Gio, 07/10/2025 - 13:47

In risposta a di Thomas Strobl

Dem kann ich einiges abgewinnen. Vielleicht wäre gerade in Zeiten wie diesen eine stärkere Auseinandersetzung mit griechischen Texten oder auch das entschleunigende Auswendiglernen von Gedichten ein wichtiger Kontrast zu den aktuellen Socia Media Trends, die sich nach immer kürzeren Aufmerksamkeitsspannen richten.

Gio, 07/10/2025 - 13:47 Collegamento permanente
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Josef Fulterer Gio, 07/10/2025 - 07:44

Da sind schon reichlich Klimmzüge mit dabei, um für die l...? unter den Lehrern, ... Vorteile heraus zu schlagen.
Das Auwendig-lernen von Wissen ist durch die unbeschränkte Verfügbarkeit überholt.
... + sollte "durch eine solide soziale Allgemein-Bildung ersetzt werden," die "besonderen Wert auf auf das -m e n s c h l i c h e- Miteinander legt" + "die viele Arbeit," die von der derzeitigen Gesellscht, ganz frech gefordert, "ohne Entgelt erledigt werden muss, richtig bewertet!!!"

Gio, 07/10/2025 - 07:44 Collegamento permanente
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Stereo Typ Gio, 07/10/2025 - 09:28

Ein weiterer Artikel zum Thema "Wir Lehrpersonen sind so selbstlos und es geht nicht in erster Linie um uns, sondern um gesamtgesellschaftliche Fragen".
Bildung ist wichtig, das stellt wohl niemand infrage. Bildung ist eine Investition in die Zukunft, das wissen wir. Lehrpersonen machen einen wichtigen Job, wissen wir auch.
Die "Protestbewegungen des Lehrpersonals" gehen allerdings auf Kosten der Schülerinnen und Schüler, die sich im Herbst einem verminderten Bildungsangebot gegenübersehen. Es sind und bleiben vor allem arbeitsrechtliche Fragen, die geklärt werden müssen, und es geht sehr wohl in erster Linie um eine wirtschaftliche Besserstellung einer Berufsgruppe. Hier jetzt aber die gesamte Gesellschaft einzuspannen und in die Verantwortung zu nehmen, halte ich für überzogen. Niedrige Gehälter bei steigender Arbeitsleistung (auch aufgrund sinkender Geburtenraten und dem daraus folgenden Fachkräftemangel) sind ein übergreifendes Problem und gelten als solches gelöst.

Gio, 07/10/2025 - 09:28 Collegamento permanente