Politica | Gastkommentar

Vom Milliardär zum Sozialhelfer

Nachdem er das Land an den Rand des Abgrunds geführt hat, wandelt sich Silvio Berlusconi zum Sozialhelfer. Eine Seifenopfer, die Italiens Medien beglückt.

Erst Unternehmer, dann Premier und schließlich Sozialhelfer: Nach dem politischen Debakel Silvio Berlusconis spekulieren Italiens Medien genüsslich über seine Zukunft. Sie können es kaum erwarten, ihn beim Gärtnern in einer Therapiegemeinschaft oder bei der Betreuung von Drogenabhängigen zu sehen. Sie werden sich gedulden müssen: da in Italien mehr als 10.000 Straffällige den Sozialdienst der Haft vorziehen, ist die Justiz überlastet. Fest steht, dass Berlusconis Anwälte diese Woche einen entsprechenden Antrag einbringen. Bis zur Entscheidung des Gerichts werden mindestens vier bis fünf Monate vergehen, in denen sich der Cavaliere weiterhin der Politik widmen kann - auch wenn ihm demnächst der Senatssitz aberkannt wird.

Eine ganze Serie sozialer Einrichtungen wünscht sich Berlusconi als werbewirksamen Sozialhelfer in ihren Reihen. Zu ihnen gehört die Therapiegemeinschaft Exodus des Priesters Don Antonio Mazzi. Der würde den Milliardär "am Morgen gern persönlich wecken und kontrollieren, daß er sein Bett ordentlich macht. Dann könnte er das Bad putzen. Was er benötigt, ist Läuterung". Vorstellungen, die im PDL auf helle Empörung stoßen. Schon eher dem Wunsch des Ex-Premiers dürfte das Rehabilitationszentrum Ceis von Don Mario Picchi in Rom entsprechen, in dem bereits sein Schicksalsgefährte und ehemaliger Verteidigungsminister Cesare Previti laue Wiedergutmachung für Korruptionsvergehen übte. Auch der in die Jahre gekommene Ex-Studentenführer Mario Capanna könnte sich den Cavaliere in seiner Biotech-Stiftung Diritti genetici gut vorstellen: "Ein Büro mit Computer steht schon bereit". Für vier Stunden täglich im Dienst der Artenvielfalt. In der NGO Nessuno tocchi Caino, die der Radikalen Partei nahesteht, könnte sich das Justizopfer Berlusconi schließlich um andere Justizopfer bemühen.

In seiner Partei hat derweil das große Gerangel begonnen. Den drohenden Bruch will Berlusconi, der laut seinem Arzt Alberto Zangrillo "unter starken Stresssymptomen" leidet, um jeden Preis verhindern. Die Flügelkämpfe sind voll im Gang, vor allem der Einfluss der Hardliner wird abnehmen. Nach 20 Jahren sei "das Ende der Ära Berlusconi gekommen", frohlockt wohl zu früh Premier Enrico Letta - eine Erklärung, die sein Vizepremier Angelino Alfano so nicht akzeptieren konnte: "Er ist und bleibt unsere Führerfigur."

Dass Letta die berlusconihörige Staatssekretärin Michaela Biancofiore ohne Einspruch Alfanos feuern konnte, lässt vor allem die unterwürfigen Chargen im Umfeld des Cavaliere zittern. Jene wie Biancofiore, die im Cavaliere ihren "unico punto di riferimento" sehen, der ihnen eine politische Zukunft sichert. Der bisher stets als willenloser Lakai Berlusconis geschmähte Alfano hat erstmals Mut bewiesen und hoch gepokert. Nach seinem unbestrittenen Sieg will er sich nun die Parteiführung nicht mehr nehmen lassen. Indessen hat Francesca Pascale im Palazzo des Premiers mit einer häuslichen spending review begonnen. Für die Bohnen seien bisher 80 Euro pro Kilo bezahlt  worden, man habe jede Menge Fisch angeliefert, obwohl ihr justizgeplagter
Lebensgefährte schon dessen Geruch nicht ausstehen könne. Kein Wunder: der Fisch stinkt schließlich vom Kopf.