Politica | Attentate

Öl ins Feuer

Massaker in Ankara mit Dutzenden von Toten und Verletzten drei Wochen vor den Parlamentswahlen in der Türkei. Wer profitiert von diesem Chaos?

Kurz vor Beginn einer Friedensdemonstration sind am Samstag Vormittag mehrere Bomben hintereinander an verschiedenen Orten am Zentralbahnhof der türkischen Hauptstadt Ankara explodiert. Tausende Menschen waren dort zusammengeströmt, um an dem Protestzug teilzunehmen, der in der Nähe stattfinden sollte. 

Zu dem Protest gegen die Eskalation der Gewalt im Kampf gegen die Kurdenorganisation PKK hatten Linksgewerkschaften, sowie die Berufsvereinigungen der Ärzte und der Ingenieure aufgerufen.

Weil Spitzenvertreter der PKK erst vor zwei Tagen angekündigt hatten, sie wollten - wenn auch nur einseitig - wieder zum Waffenstillstand mit der Regierung in Ankara zurückkehren, macht es wenig Sinn, dieses blutige Attentat den radikalen und weniger radikalen Kurdenorganisationen zuzuschreiben.  

Die ins Parlament eingezogene Kurdenpartei HDP hatte die Teilnahme an der Friedensdemo angekündigt: Auch sie hatte deshalb wohl kein Interesse daran, ein Blutbad unter den eigenen Leuten anzurichten. 

Das alles klingt selbstverständlich, muss aber hervorgehoben werden, weil die Regierung und die regimetreuen Medien versuchen, dieses Attentat ihrem Staatsfeind Nummer eins in die Schuhe zu schieben: Und das sind und bleiben die Kurden der PKK.  

Auch der Islamische Staat könnte als Drahtzieher ausgemacht werden - er bekämpft die Kurden ebenfalls, weil die Peschmerga viele IS-Terroristen getötet haben. 

Auf jeden Fall  kann die Regierungspartei AKP des Staatspräsidenten Erdogan wenig Interesse an einem derartigen Attentat haben. Denn vor den letzten Wahlen im vergangenen Juli  hatte ebenfalls ein Attentat gegen kurdenfreundliche Wähler mit 32 Toten stattgefunden und der AKP als Law and Order-Partei nicht etwa genützt, sondern sehr geschadet. 

Bei den Juli-Wahlen verlor die AKP viele Stimmen an die Kurdenpartei  HDP und somit auch ihre absolute Mehrheit im Parlament.  

Wer ist daran interessiert, Chaos zu erzeugen, um - wenn auch nur indirekt - der Regierungspartei zu schaden? 

Wie in den Jahrzehnten der Strategie der Spannung in Italien könnten ausländische und abtrünnige interne Geheimdienste am Werk sein, um die IS-freundliche und Assad-feindliche Regierung in Ankara zu stürzen.  

Wer sich noch an ein analoges Attentat auf den Bahnhof in Bologna 1980 erinnert, das 81 Todesopfer forderte, kann entsprechende Rückschlüsse ziehen. Damals waren es mit Neofaschisten verbündete italienische und amerikanische Geheimdienste, die eine Machtübernahme der Kommunistischen Partei Italiens in Rom verhindern wollten.

Die Türkei steht derzeit im Mittelpunkt der Interessen im Syrienkonflikt. Sie bietet der NATO die strategisch wichtigsten Stützpunkte und hat sich entschieden gegen Russland gestellt, das mit seiner Militärintervention die Lage weiter destabilisiert hat.

Dadurch riskiert die Türkei Engpässe bei der Versorgung mit russischem Erdgas und Nuklearstrom. Trotzdem drohte Erdogan dem Kremlchef mit Vergeltungsschlägen, sollte er weiterhin türkischen Luftraum verletzen. 

Was die Lage im Nahen und Mittleren Osten weiter zuspitzt, ist der plötzlich wieder aufgeflammte israelisch-palästinensische Dauerkonflikt.  Ausgerechnet jetzt ist auch der legendäre iranische General Hamid Taghawi ermordet worden - angeblich von IS-Milizen.

Taghawi war ein erprobter iranischer Guerilla-Kämpfer, der eine Elitetruppe der Pasdaran aufgebaut hatte. Er war auch ein mehrfach ausgezeichneter Geheimdienst-Offizier. Deshalb wurde Taghawi kurz nach seiner Pensionierung wieder in den Dienst zurückbeordert , um im Syrien-Konflikt als Militärberater der hauptsächlich von Schiiten besetzten irakischen Regierung und Militärführung tätig zu sein.  

Taghawi soll bei der Verteidigung der Stadt Samarra, 110 Kilometer nördlich von Bagdad, ums Leben gekommen sein. Unter seiner Führung waren  dem IS empfindliche Niederlagen zugefügt worden.   

Die explosive Lage erinnert ein wenig an die auswegslose Situation in Afghanistan vor dem 11. September 2001. Es wäre fatal, weiteres Öl ins Feuer zu giessen.