Società | Gastbeitrag
Corona meint es gut mit der Wirtschaft
Foto: upi
Es gibt nichts, das weitreichendere Auswirkungen hat als die Haushaltspolitik des Landes. Sie ist das Scharnier und Lenkrad für eine gesellschaftliche Steuerung mittels der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben. Der Landeshaushalt gleicht einer Blackbox, die Auskunft gibt über die Erträge aus Steuern, Abgaben, Einkünften und über die Aufwendungen für Ausgaben, öffentliche Dienste Leistungen und Innovation.Demnach erfuhr der Südtiroler Landeshaushalt seit zwanzig Jahren eine stetige Steigerung und zuletzt trotz Corona eine stabile Konsolidierung: 2019 waren es 6,8 Milliarden € (Mia.) Euro, 2020 noch 6,9 Mia., 2021 beinahe 6,5 Mia., und für 2022 werden am Ende mehr als 6,5 Mia. erwartet.
Wie sehr die politische Führung des Landes darum bemüht ist, ihre Steuerungsaufgabe und die erzielten Resultate als ein vorteilhaftes Ergebnis für alle darzustellen, kommt in der Bezeichnung „Stabilitätsgesetz“ zum Ausdruck, die man dem „Haushaltsentwurf“ hinzufügt. Man schreibt und verabschiedet damit ein Landesgesetz, das zu Recht der europäischen und nationalen Vorschrift zu ausgeglichenen Einnahmen und Ausgaben verpflichtet ist und „Stabilität“ verspricht, damit es so weiter geht wie bisher. Genau das „Weiter so“ ist aber in mehrfacher Hinsicht nicht mehr vertretbar, denn darin verbergen sich die Ursachen für alarmierende Entwicklungen in der Gestaltung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebensqualität samt einer ungerechten Wohlstandsverteilung. Und das steht auch im Widerspruch zum Auftrag, eine zukunftstaugliche gesellschaftliche Entwicklung zu garantieren. Diese Daten und Disparitäten sind Gegenstand dieser Untersuchung.
Wie sehr die politische Führung des Landes darum bemüht ist, ihre Steuerungsaufgabe und die erzielten Resultate als ein vorteilhaftes Ergebnis für alle darzustellen, kommt in der Bezeichnung „Stabilitätsgesetz“ zum Ausdruck, die man dem „Haushaltsentwurf“ hinzufügt. Man schreibt und verabschiedet damit ein Landesgesetz, das zu Recht der europäischen und nationalen Vorschrift zu ausgeglichenen Einnahmen und Ausgaben verpflichtet ist und „Stabilität“ verspricht, damit es so weiter geht wie bisher. Genau das „Weiter so“ ist aber in mehrfacher Hinsicht nicht mehr vertretbar, denn darin verbergen sich die Ursachen für alarmierende Entwicklungen in der Gestaltung der sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebensqualität samt einer ungerechten Wohlstandsverteilung. Und das steht auch im Widerspruch zum Auftrag, eine zukunftstaugliche gesellschaftliche Entwicklung zu garantieren. Diese Daten und Disparitäten sind Gegenstand dieser Untersuchung.
Das Zauberwort und ein Rudel Wölfe
Anlässlich der jährlich wiederkehrenden Haushaltsplanung wird in den medial vorgetragenen Statements der Wirtschaftssprecher eine altbekannte Vorstellung von einer primär auf unternehmerisches Handeln und Wachstum gegründeten Zukunftsplanung lebendig. Mit den Erfahrungen der staatlichen Rettungsaktionen in der Finanzkrise 2008 und jetzt in der Pandemie im Rücken setzen sie auf neue wirtschaftliche Wachstumsraten. Sie halten die Forderung nach einer Begrenzung der öffentlichen Ausgaben in Kombination mit Steuersenkungen für ein Problemlösungswerkzeug und träumen von einer Ermächtigung der Privatwirtschaft, selbst auf strukturelle gesellschaftliche Krisen zu reagieren. Das Zauberwort dabei lautet „mehr Investitionen“ zum Preis einer Reduktion der „laufenden Ausgaben“ und sogenannten „Fixkosten“.
In der medialen Darstellung fügt sich das Geschehen zu einer Bildsequenz aus einem Tierfilm: ein Rudel Wölfe lauert auf Beutefang.
In der medialen Darstellung fügt sich das Geschehen zu einer Bildsequenz aus einem Tierfilm: ein Rudel Wölfe lauert auf Beutefang. Gemeinsam ist ihnen das wehrhafte Auftreten von Einzelnen aus einer kooperativen Gruppe heraus mit gezielt adressierten Aktionen und einer nachprüfbaren Wirkung. Kein Zufall auch, dass es sich ausschließlich um männliche Akteure handelt: Oberrauch, Ebner M. und T., Pinzger, Giudiceandrea, Tauber, Moser, Haller, und zuletzt in einer Art Statuspanik die Namen Schuler, Locher, Rinner, Noggler. Sogar das taktische Ungeschick der auftretenden Sprecher und die Widersprüche in der diffusen Rhetorik tun der öffentlichen Wirkung keinen Abbruch. „Die Planwirtschaft funktioniert nicht“, „Wir müssen weg vom Mehr hin zum Besser“, „Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet kurzfristig Verzicht, langfristig wird man aber umso mehr dazugewinnen“, „Die laufenden Ausgaben müssen reduziert werden“. Und sobald unter dem Druck der Budgetengpässe von einer Erhöhung der Wertschöpfungssteuer IRAP oder Immobiliensteuer Gis auch nur geredet wird, heißt es vehement: „Der Vertrauensbruch verursacht großen Schaden“, „Nicht immer die Gleichen bestrafen“, „Anstatt der IRAP die Gewinne der Unternehmen besteuern“. Nach heftigen Protesten spricht Wirtschaftslandesrat Achammer „vom hohen Anteil der Fixkosten, der gestiegen ist, und von variablen Kosten, die gesunken sind“, um vor einem „Klassen- oder Verteilungskampf“ zu warnen. Und was tut er? Er bietet Gesprächsbereitschaft an und verkündet den Unternehmerverbänden: „Alle an einen Tisch“.
Dogma Dynamisierung und Dinge vor Menschen
An diesem Szenario lässt sich ablesen, in welcher Weise gesellschaftliche Entwicklung gedacht und geplant wird und wie die Politik zu Entscheidungen kommt. Die Vertreter der Gemeinden und Wirtschaftsverbände werden geladen oder treten selbst an den Tisch der Landesregierung und verhandeln ein anvisiertes Ziel: Investition von Finanzmitteln aus dem Landeshaushalt in regional oder lokal begehrte und privat bewirtschaftete Attraktivitätsgüter.
Das Ergebnis ist eine Steigerung und ein Wettbewerb um Strukturen der Superlative in den Bereichen öffentliche Bauten, Tourismus und Sport, Mobilität, Freizeit und Erlebnisbewirtschaftung. 2017 verkündete Stefan Pan, damals Präsident des Unternehmerverbandes: „Wir wollen Südtirol zum begehrtesten Lebensraum Europas machen.“ Seither folgen Schlag auf Schlag: ordentliche und außerordentliche Subventionen für die IDM (Südtirol-Marketing, 2020-2021) 50 Millionen (Mill.) €, Eisstadion Bruneck (2018-2020) 24 Mill., Kletterhalle Bruneck (2015) 8 Mill., Umbau des Stadions mit beheiztem Rasen für den FC Südtirol (2020-2021) 19 Mill., Trainingszentrum für den FC Südtirol in Eppan 10 Mill., fünf alpine Schutzhäuser (2020-2022) 25 Mill., Modernisierung von Landesimmobilien (2021) 14,3 Mill., Erweiterungsbau für Landtagsgebäude 5 Mill., für den geplanten Hofburggarten in Brixen 14 Mill., Erweiterungsprojekt für die Gärten in Trauttmansdorff (4,5 ha geplant) 13 Mill., Seilbahn Jenesien 26 Mill., für die Seilbahn Tiers-Frommer Alm 11 Mill.
Es werden eine blinde Dynamisierung und einen permanenten Steigerungszwang bei Werten wie Exklusivität, Rarität, Einzigartigkeit der ganzen Region oder einzelner Orte und Gruppen erzeugt, zu Lasten von kollektiven, aber für immer weniger Menschen verfügbaren Ressourcen und Lebensstilen.
Besonders üppig fallen Investitionen in den hochgezüchteten Straßenbau aus: aktuell für Küchelbergtunnel (geplant) 150 Mill. €, Umfahrung von Kiens (geplant) 65 Mill., für Tunnel-Projekte in Bozen 150 Mill; allein 2021 wurden bereits 100 Mill. verbaut. Für die Übernahme von Covid-bedingten Umsatzeinbußen bei Freiberuflern, Einzelunternehmen, Personen- und Kapitalgesellschaften, Betrieben in Handwerk, Industrie, Handel, Dienstleistungen, Hotellerie und Gastgewerbe, Gärtnereien 300 Mill., für Skigebiete und Liftanlagen 91 Mill., für die Bauwirtschaft 100 Mill. (2021), für Ausfall der Tourismusabgaben 15,3 Mill. Dazu kommen allgemeine Förderprogramme für die Landwirtschaft, 2020 insgesamt 200 Mill., für Erneuerung landwirtschaftlicher Maschinen (2021) 29 Mill.
Die Liste ist bruchstückhaft. Sie ist lang, sogar länger als lang. Und sie liest sich als Anwendung einer rekordsüchtigen, volkswirtschaftlich aber längst nicht mehr vertretbaren regionalen Investitionsquote, die in Südtirol 18 Prozent beträgt, während mitteleuropäische Regionen wie Bayern, Tirol oder Vorarlberg dafür maximal 7 bis 10 Prozent bereitstellen. Dass das möglichst so bleibt, liegt am Einfluss der Gemeinden, der Unternehmerverbände, der Südtiroler Handelskammer und des Südtiroler Wirtschaftsrings auf die Landesregierung.
Das Ziel ist, dass das Land bei allgemeinen Ausgaben für Verwaltung, Bildung, Gesundheit usw. einspart, um mehr Mittel für Investitionen und Subventionen für die gewerbliche Wirtschaft, für Landwirtschaft, Handwerk, Tourismus, Bauwirtschaft und Industrie zu nutzen. Auf den Punkt gebracht, klingt es ziemlich simpel: bei den „laufenden Kosten“ zu sparen um in materielle Güter, in Architektur und Straßen, in Gärten und Sportevents, in Marketing und Attraktivität zu investieren, erzeugt eine blinde Dynamisierung und einen permanenten Steigerungszwang bei Werten wie Exklusivität, Rarität, Einzigartigkeit der ganzen Region oder einzelner Orte und Gruppen zu Lasten von kollektiven, aber für immer weniger Menschen verfügbaren Ressourcen und Lebensstilen. Mehr in Einrichtungen zu investieren, kostet eben Mittel für Leistungen. Die Folge ist eine Entkoppelung der Dinge von den Menschen.
Disparität Einkommen und Lohnentwicklung
Während der Wettbewerb um „Einzigartigkeit“ mit seiner wahren ökonomischen Vergleichsgröße, dem Konsum und Profit, eine mehr als fragwürdige Kompetition um Aufmerksamkeit forciert, sind die Löhne und Gehälter das Paradewerkzeug des allgemeinen gesellschaftlichen Vergleichens. Darin spiegelt sich das Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung mit den Erfahrungen von Missachtung und Entwertung ganzer Berufsgruppen. Es ist das ein Ergebnis eines sehr einseitig aufgestellten volkswirtschaftlichen Denkens und Handelns.
Was wir wissen und in der gebotenen Kürze hier sagen können: in Südtirol liegen (laut AFI- und ISTAT-Daten) die Durchschnittslöhne etwa 5 Prozent über dem italienischen Niveau, zusammen mit einem 25 Prozent höheren Preisniveau. Das verschleiert jedoch die Kluft, die sich seit über zehn Jahren bei Berufsgruppen mit niederen und mittleren Löhnen und Gehältern im öffentlichen und privaten Bereich vergrößert. Darüber wacht ein unmoralisches öffentliches Pharisäertum, es schaltet und waltet maximale Schamlosigkeit und Sturheit. An der Spitze stehen die politischen Vertreter, die 2019 zuerst 96 Mill. für Leibrenten und Pensionen von 130 Ex-Abgeordneten genehmigen, und 2021 – mitten in der Covid-Krise – vergüten sich die Regionalratsabgeordneten rückwirkend ab 2014 eine Inflationsanpassung von 8.500 € und eine Gehaltsaufstockung von 500 € monatlich mit einer Belastung des Landeshaushalts von 2,5 Mill. €
Darüber wacht ein unmoralisches öffentliches Pharisäertum, es schaltet und waltet maximale Schamlosigkeit und Sturheit.
Was die Bezieher von unteren und mittleren Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst – und eben auch die Lehr- und Sozialberufe – als gravierende Disparität erfahren, sind ihre Einkommensverhältnisse in Relation zu den oberen Gehaltsklassen und zu den Lebenshaltungskosten. Die aktuellen Daten beziehen sich auf die Inflation seit 2010 mit über 25 Prozent, allein im Jahr 2021 ist sie laut AFI auf 5 Prozent geklettert. Mit dem geplanten „Stabilitätsgesetz“ werden aber die politisch verfügten Billiglöhne für das Triennium 2022-2024 fortgeschrieben, in klarem Widerspruch zum Versprechen der Landesregierung, beispielsweise die unfairen Lohnunterschiede im Bildungswesen mit dem nächsten Arbeitsvertrag auszugleichen. Allein die Schulgewerkschaft AGB-CGIL hat das als „Verrat“ zurückgewiesen.
Zur Funktionsweise dieses Systems – so scheint es – gehört allerdings eine nach oben offene Einkommenspyramide mit der Entlohnung als Werkzeug einer administrativen Hegemonie und Loyalitätspflicht der Führungskräfte. Aktuelles Beispiel: für das unterrichtende Personal, etwa 15.000 Lehrkräfte, werden für die Vertragsanpassung im Triennium (2022-2024) 30 Mill. € eingeplant, während für 500 Führungskräfte 22,5 Mill. reserviert sind. Bereits 2019 musste nach Einspruch des Rechnungshofes eine bis 2014 rückwirkend gewährte 26-prozentige Erhöhung der Lohn- und Funktionszulagen der Führungskräfte im Ausmaß von 20 Mill. € mit Zustimmung der Gewerkschaften nachträglich saniert werden.
An der Starrsinnigkeit der Landesregierung erkennt man, dass es nicht um die Lösung unaufschiebbarer gesellschaftlicher Erfordernisse geht, sondern um puren Systemerhalt. Man installiert eine Hierarchie mit Führungskräften, die das „Weiter so“ sicherstellen. Die Praktiken der Tarifabschlüsse bei öffentlich Bediensteten verfolgen das Ziel, Löhne und Gehälter konsequent deutlich unter dem Wirtschaftswachstum zu halten, in das hingegen die Kapitalwerte für Investitionen und jetzt die Umsatzrückgänge der Pandemie hineingerechnet werden, nicht aber der erforderliche Bedarf bei allgemeinen Leistungen und Diensten einer Gesellschaft im Wandel.
Disparität Steueraufkommen
Auch in der Regulierung des Steuersystems im Rahmen der Haushaltsplanung steckt ein politisches Lenkwerkzeug mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen. Oberflächlich betrachtet verfolgt es den Zweck, die Bemessung der steuerlichen Lasten „gerecht“ zu gestalten. Aber die Art und Höhe der Besteuerung sind keine „moralische“ Frage, sie haben einschneidende strukturelle, soziale und ökonomische Effekte.
Beispiel Handhabung des Steueraufkommens seit 2010. Darin verbirgt sich eine offene Bevorzugung der Privatwirtschaft, die aussehen soll wie eine verdiente Belohnung. In Wirklichkeit haben wir seit zehn Jahre ein System mit unfairen Steuernachlässen, mit Auswirkungen auf die Wohlstandverteilung und die Haushaltsmittel für wachsende gesellschaftliche Erfordernisse. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache.
Als Erstes besteht bei den abhängig Beschäftigten mit Gehältern und Löhnen im Unterschied zu Unternehmen systembedingt kein Spielraum für Steuervermeidung, Abschreibung von Gebrauchsgütern oder gar Steuerflucht. Und bedingt durch die Anzahl leisten die 400.000 Erwerbstätigen in absoluten Zahlen den größten Beitrag zum Landeshaushalt. Die Einnahmen aus der Einkommenssteuer Irpef samt Irpef-Zuschlag schlagen sich 2022 im Landeshauhalt mit über 2 Mia. € nieder, das sind 32 Prozent. 2010 betrug der Anteil noch 1,5 Mia. € und 25 Prozent. Seither ist eine stetige Zunahme festzustellen, die sich ganz wesentlich aus der „kalten Progression“ ergibt, dem Effekt, durch den steuerliche Entlastungen aufgefressen werden und die Pro-Kopf-Steuerbelastung steigt. Die reale Zunahme der Einkommensbesteuerung im Verhältnis zur Lohnentwicklung verursacht einen markanten Einkommensverlust bei vielen Lohnabhängigen, für Eigentumserwerb ist meist gar kein Spielraum mehr.
Am deutlichsten zeigt sich die Macht der Wirtschaftsinteressen in der Verhinderung jeglicher Form der Vermögensbesteuerung.
Demgegenüber wurden die 55.000 Unternehmen in Südtirol in den vergangenen zehn Jahren steuerlich stark entlastet. 2010 betrug ihr Steueraufkommen 686 Mill. mit dem Anteil von 12 Prozent am Landeshaushalt. Dank der 2014 von Landeshauptmann Kompatscher gewährten Reduktion der Wertschöpfungssteuer Irap von 3,90 auf 2,68 Prozent reduzierte sich die Summe der Unternehmenssteuern Irap und Ires 2021 auf 540 Mill. € mit dem Anteil von 8,3 Prozent. Das hat den Unternehmen in Südtirol seither eine Ersparnis von über einer Milliarde € gebracht. Sie sind die Profiteure des wirtschaftlichen Wachstums der Zehner-Jahre, die nun in der Corona-Krise unter den staatlichen Schutzschirm schlüpfen und sich drücken, betriebliche Rücklagen anzuzapfen. Die für den Haushalt 2022 geplante Rückführung der Irap auf 3,90 Prozent würde Mehreinnahmen von etwa 66 Mill. € bringen und den Anteil der Unternehmen auf 9 Prozent erhöhen. Aber das lehnt man pauschal als „Vertrauensbruch“ ab.
Am deutlichsten zeigt sich die Macht der Wirtschaftsinteressen in der Verhinderung jeglicher Form der Vermögensbesteuerung. SVP-Senator Dieter Steger spricht mit Bezug auf die in Rom diskutierte Erbschafts- oder Schenkungssteuer von einem „Wahnsinn“ (RAI-Südtirol, 02.12.2020), im Gegenzug wird aber den Hotels und Gastbetrieben die Gemeindesteuer GIS ganz oder zur Hälfte erlassen und der Verlust von 21 Mill. € aus dem Landeshaushalt ersetzt. Kein anderer Steuerzahler kann eine solche Corona-Hilfe in Anspruch nehmen.
Die Missverhältnisse, die sich daraus ergeben, lassen sich als Muster einer neoliberalen Steuerpolitik beschreiben. Den niederen und mittleren Einkommensbeziehern gewährt man (magere) Steuerfreibeträge, die geradewegs in den Konsum fließen, in Summe und Anzahl leisten untere und mittlere Steuerklassen den größten Beitrag zum Landeshaushalt und gleichen das seit Jahren sinkende Steueraufkommen der Privatwirtschaft aus. Von der Vermögensbildung beim Wohnungseigentum aber sind sie selbst zunehmend ausgeschlossen. Diese Daten belegen eine systematische Umverteilung von unten nach oben mit dem Ergebnis einer einseitigen Wohlstandsanhäufung.
Unternehmertum heißt Bereicherungsökonomie
Im Leitartikel in der FF (Nr. 46/2021) hat sich Georg Mair erlaubt, an die Reziprozität von Nehmen und Geben und die soziale Verantwortung zu erinnern, die auch dem Unternehmertum (eines Heiner Oberrauch) gut anstünde. Eine eher harmlose Mahnung, die nicht weit entfernt ist von der „Soziallehre“, der historisch das Adjektiv „katholisch“ anhängt. Das reichte dem Direktor des Unternehmerverbandes Josef Negri (FF, Nr. 47/2021), ihm Spaltung und Falschmeldungen vorzuwerfen. Das Beispiel zeigt, wie in den maßgeblichen Medien unter der Rhetorik einer Sakralisierung des unternehmerischen Handelns mit seinen privaten Nutznießern eine Verschleierung der vielfältigen kollektiven Ungleichheiten stattfindet.
Vereinfacht gesagt gehorcht die Politik dem Druck der gut organisierten Wirtschaftsverbände, die sich auf Wachstum berufen, auf die Nutzung von Ressourcen wie Boden, Landschaft, Natur, Mobilität und Arbeitskräfte setzen und sehr effizient in die Spielregeln der repräsentativen Demokratie eingreifen. Damit gelingt es ihnen, diese Interessensgegensätze in einem so genannten sozialpartnerschaftlichen Ausgleich zu neutralisieren. Zurück bleibt eine Fassadendemokratie mit einer Wirtschaftsdominanz, mit machtlosen Lohnabhängigen und freien Berufsgruppen.
Dieses System gründet auf ungleich verteilten Möglichkeiten des Erwerbs und der Nutzung von Eigentum, beispielsweise bei den (teilweise enteigneten, zugewiesenen, umgewidmeten) Flächen und Kubaturen für Landwirtschaft, Tourismus, Handwerk und Industrie, was wiederum zu einer einseitigen Vermögensbildung und einem System des Proprietarismus beiträgt. Dabei sind die Kapital-, Boden- und Immobilienrenditen höher als das Wirtschaftswachstum, die Einkommen aus unselbständiger Arbeit liegen aber deutlich unter der Inflationsrate und unter den Zuwächsen der selbständigen und unternehmerischen Wirtschaftsbereiche. Das Ergebnis sind wachsende Ungleichheiten bei Eigentumserwerb und Vermögenskonzentration.
Ökonomie ist so gleichwertig mit Bereicherungswirtschaft und es erfüllt sich buchstäblich die Matthäus-Klage: „Wer hat, dem wird gegeben“ (Mt. 13, 12), während die prekären Baustellen der Zivilgesellschaft zunehmen.
Das Bemühen um eine Verhältnismäßigkeit zwischen Vermögenserwerb und Vermögensbesteuerung einerseits und der Gewährleistung von Bildung, Gesundheit, Kultur und Sozialwesen anderseits hat die Politik aus den Augen verloren. Die Gewinne, Erträge, Renditen und der Wertzuwachs auf Eigentum und Besitz sind konstant höher und auch in Krisenzeiten nie gefährdet. Auf diese Weise landet die Verfügbarkeit von Vermögen, das seinen Ursprung immer im Kollektiven hat, in den Händen privater Wirtschaftstreibender. Ökonomie ist so gleichwertig mit Bereicherungswirtschaft und es erfüllt sich buchstäblich die Matthäus-Klage: „Wer hat, dem wird gegeben“ (Mt. 13, 12), während die prekären Baustellen der Zivilgesellschaft zunehmen.
Fazit: Epochenwandel
Das alles belegt die Diagnose einer systematischen Disparität, die in einem völligen Kontrast steht zum Epochenwandel, in dem wir seit der Corona- und Klimakrise stecken. Was es braucht, ist eine Kurskorrektur mit partizipativen Regierungstechniken und neuen Problemlösungen bei Steuern, Boden, Natur, Schule und Bildung, Kultur, Wissenschaft und Forschung, Klima und Gesundheit. Der über die Medien angekündigte Recovery-Plan mit einem Budget von 500 Mill. € verlangt eine Beteiligung der gesellschaftlichen Zielgruppen neben der politischen Leadership. Es muss ein Ende nehmen mit der Verordnung von Billiglöhnen zur Sanierung der Haushaltslöcher. Schluss mit der Geisterdebatte á la „Bin nicht bereit gesunde Betriebe sterben zu lassen, weil wir es uns leisten können, im Landeshaushalt Fördermittel zur Verfügung zu stellen.“ (der Landeshauptmann am 27.02.2021, RAI Südtirol). Die Aufgabe lautet: dem bevorstehenden „Minuswachstum“ und der „decrescita“ ein menschliches Antlitz zu geben.
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Aldo, so eine Analyse...
Aldo, so eine Analyse....einfach super
Aldo, so eine Analyse...
Aldo, so eine Analyse....einfach super
Eisstadion Bruneck (2018-2020
Eisstadion Bruneck (2018-2020) 24 Mill, reicht nicht....und man munkelt, dass 8Mio welche für Schulbauten vorgesehen waren investiert wurden....
Danke für die Analyse.....man möge nur die Worte des Oberlehrers ohne Fertigkeiten lesen: Die Ausfälle sollen mit Studenten und Pensionisten kompensiert werden....dieser Satz sagt alles über die Wertschätzung gegenüber des Lehrpersonals....
Da ist nichts mehr
Da ist nichts mehr hinzuzufügen. Eine treffende Analyse!
Danke für diesen gut
Danke für diesen gut recherchierten und mit Zahlen versehenen Überblick! Es ist dieser Mix aus neoliberaler Steuerpolitik (so wenig wie möglich zum öffentlichen Haushalt beitragen) und der großzügigen Förderung der Wirtschaftstreibenden mit Steuergeldern (strukturelle Subventionen, ad-hoc-Förderungen, massive öffentliche Aufträge, Notstandshilfen etc.), das zur steigenden Ungleichheit (und in Südtirol vor allem zu Kaufkraftverlust für Lohnabhängige) und zu einer absurden Inkohärenz im wirtschaftspolitischen Ansatz führt. Denn entweder man zieht den neoliberalen Ansatz durch und verzichtet dementsprechend auf umverteilende und lenkenden Staatsförderungen für die Wirtschaft, die den freien Markt zur Chimäre machen. Oder man entscheidet sich für die öffentliche Förderung aller Wirtschaftstreibenden und steht zu einer hohen Staatsquote mit entsprechenden üppigen Haushaltsmitteln, zu denen die Empfänger ebendieser finanziellen Hilfen ihren angemessenen Beitrag leisten. Wären nicht das physikalische wie gesellschaftliche Klima die Leidtragenden, müsste die lohnabhängige Bevölkerung angesichts ihres kontinuierlichen Kaufkraftschwunds vor Ort ja damit drohen, nur mehr online einzukaufen, um ihren Wohlstandsverlust auszugleichen.
Friede den Hütten! Krieg den
Friede den Hütten! Krieg den Palästen! Georg Büchner ("Hessischer Landbote") wurde dafür steckbrieflich gesucht. Hoffentlich lernen wir aus der Geschichte.
„Minuswachstum“ Weniger ist
„Minuswachstum“ Weniger ist mehr, es Bedarf eines neuen Wertesystem in dem Produktionflächen und nicht nachwachsende Recourcen zum Bsp der Allgemeinheit (Staat) gehören. Und es muss eine sozial gerechte Verteilung von Eigenkapital erfolgen wo nicht 10% der Bevölkerung über 80% des Vermögens besitzen, was zur Folge hat das über 80% der Bevölkerung der Willkür einer kapitalistischen Minderheit ausgesetzt sind.
Diese umfang- und
Diese umfang- und aufschlussreiche Analyse gehörte vielen an die Stirn getackert!