Società | Justiz

Verfolgter Kranker

Ein an MS erkrankter Südtiroler muss in Busto Arsizio vor Gericht. Weil man bei ihm vor sechs Jahren Cannabis gefunden hat. Ein Fallbeispiel wie absurd Justiz sein kann.
Rollstuhl
Foto: Pixabay
Philipp Achammer ist sich seiner Sache sehr sicher.  „Den Konsum von leichten Drogen zu verharmlosen ist eine sehr gefährliche Sache“, sagt der SVP-Obmann am vergangenen Donnerstag zur Tageszeitung. Achammer weiter: „Einer nach den vergangenen drei Jahren verunsicherten Gesellschaft ein paar legale Drogen zu verabreichen, das ist ein sehr, sehr, schlechter, falscher Weg“.
Wie der angeblich „richtige Weg“ ausschaut,  hat Peter* am eigenen Leib erfahren. „Es ist eine absurde Geschichte“, sagt er nachdenklich, „die mich am Ende aber meine Arbeit und meine Freiheit kosten könnte“. Noch deutlicher wird Peters Anwalt. „Dieser Fall macht deutlich welchen Schaden eine repressive und völlig konzeptlose Drogenpolitik in Italien anrichtet“, sagt der Trentiner Strafverteidiger Fabio Valcanover.
Peter ist 38 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl. Er hat Multiple Sklerose. Vor fast genau sechs Jahren, am 18. September 2017 erhält der Mann zuhause unerwarteten Besuch. Vier Beamte der Finanzwache stehen am frühen Morgen mit einem Drogenhund vor seiner Tür. Peter versteht sofort, was die Ordnungshüter wollen. Er übergibt den Beamten ein Glas mit 60 Gramm Marihuana.
Ich brauche Cannabis, um die Schmerzen zu ertragen“, sagt Peter zu Salto. Damals war es noch nicht möglich in seiner Südtiroler Stadt therapeutisches Cannabis in der Apotheke zu bekommen. Die Gesetzeslage noch unklar und neu, kommt es immer wieder zu absoluten Engpässen. „Heute ist die Lage völlig anders“, meint Peter, „die Apotheken und auch der Sanitätsbetrieb haben sich perfekt eingespielt und das Ganze funktioniert wirklich“.
 
Drogenhund, Finanza_.jpg
Finanzwache: Hausdurchsuchung bei MS-Kranken.
 
 
2017 hingegen mussten viele Patienten sich noch anderweitig umschauen und Marihuana entweder selbst anbauen oder auf dem Schwarzmarkt erweben. Peter erklärte den Beamten der Finanzwache seine Situation und diese zeigen durchaus Verständnis. Auch die Ordnungshüter gingen bei der Durchsuchung davon aus, dass die Drogen für den persönlichen Gebrauch bestimmt sind und die Ermittlung damit eingestellt wird.
Doch weit gefehlt. Peter muss sich an diesem Mittwoch in Busto Arsizio vor Gericht wegen „Produktion, Handel und Besitz von illegalen Suchtmittel“ (Art. 73 StgB - Produzione, traffico e detenzione illeciti di sostanze stupefacenti o psicotrope) verantworten. Auf diese Straftat steht eine Haft von sechs bis 20 Jahren und eine Strafe, die von 26.000 bis 260.000 Euro geht.
 

Das Paket in Malpensa

 
Dass das Verfahren gegen Peter in Busto Arsizio und nicht in Südtirol verhandelt wird, hat einen einfachen Grund. Der kranke Südtiroler soll dort eine noch weit schwerere Straftat begangen haben. „Ich habe von dieser Geschichte erst vor rund einem Jahr erfahren, als mir der Ermittlungsbescheid zugestellt worden ist“, sagt Peter zu Salto. Der junge Mann versteht seitdem die Welt nicht mehr.
 
 
Fabio Valcanover
Strafverteidiger Fabio Valcanover: „Eine Justiz, die Kranke bestraft, hat diesen Namen nicht verdient“.
 
 
Am Flughafen Malpensa wird am 29. Juni 2017 ein Paket abgefangen, das per Fedex aus den USA kommt. In dem Paket werden 505 Gramm Marihuana und 410 Gramm Haschisch sichergestellt. Auf dem Paket steht als Empfängeradresse der Namen von Peter.
Dieser Fund ist dann auch der Anlass für die Hausdurchsuchung knapp drei Monate später. „Ich habe mit diesem Paket nicht zu tun“, sagt Peter. Sein Anwalt Fabio Valcanover will jetzt im Verfahren auch alle Beweise dazu vorlegen. So gibt es weder eine Überweisung in die USA noch irgendeine Spur, dass der Südtiroler diese Drogen bestellt oder auch nur im Internet gesucht haben könnte. Vor allem will der Trentiner Strafverteidiger eine einfache Erklärung vor Gericht vorlegen. „Wenn mein Mandant wirklich der Käufer wäre“, sagt Valcanover, „dann hätte er doch gemerkt, dass das Paket abgefangen wurde und hätte dann wohl kaum drei Monate lang zuhause mit 60 Gramm Marihuana auf den Besuch der Ermittler gewartet“.
Für Peter gibt es in dieser Geschichte nur eine Erklärung. „Jemand der von meiner Situation gewusst haben muss“, sagt er heute, „dürfte meine Adresse angegeben haben“. Weil Pakete von Fedex per Internet verfolgbar sind, wollte der oder die Unbekannte ursprünglich das Paket vor der Übergabe am Bestimmungsort abfangen.
Das ist für Peter die einzige Erklärung.
Weil für die Ermittler nach dem Marihuana-Fund in Peters Wohnung aber alles zusammenpasst, geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Drogen nicht für den Eigengebrauch sind. Peter hat sich an die „Associazione Luca Coscioni" gewandt, für die auch Fabio Valcanover tätig ist. Der Trentiner Strafverteidiger wird ihn am Mittwoch in Busto Arsizio vor Gericht verteidigen.
Auch Valcanover ist sich seiner Sache sicher: „Eine Justiz, die Kranke bestraft, hat diesen Namen nicht verdient“.
 
* Name von der Redaktion geändert.