Demokratische Gewaltenteilung?
Diese Tendenz wird in den Demokratien auf staatlicher und regionaler Ebene schon länger verzeichnet: die Parlamente schreiben immer weniger, die Regierungen immer mehr Gesetze. Das ist auch in Südtirol nicht anders, doch in der abgelaufenen Legislatur noch deutlicher geworden. Von 172 im Landtag behandelten Gesetzentwürfen stammten 103 (59,9%) von der Landesregierung, 3 von Bürgern per Volksbegehren, 12 (7%) von Abgeordneten der Mehrheitsparteien SVP und PD und 54 (31,4%) von der Opposition. Mit Ausnahme eines zurückgezogenen Entwurfs sind sämtliche Regierungsvorlagen im Landtag genehmigt worden. Der Landtag ist somit vor allem eine Instanz zur Begutachtung und Verabschiedung von Texten, die Landesräte und ihre Mitarbeiter vorgeben. Über 90% der angenommenen Gesetze der abgelaufenen Legislatur stammen von der Landesregierung.
Welche Erfolgschance haben nun Abgeordnete, wenn sie sich ihrer Kernaufgabe der Gesetzgebung widmen? Alle von den Mehrheitsparteien eingebrachten Gesetzentwürfe sind, sofern nicht zurückgezogen, im Landtag angenommen worden. Die Bürger haben direkt keine Chance: alle drei per Volksbegehren eingebrachten Entwürfe fielen durch. Kaum besser ging es der Opposition: von 54 Gesetzentwürfen wurden 9 zurückgezogen und 44 in der Kommission oder im Plenum abgelehnt. Ein einziger Gesetzentwurf der Opposition schaffte die Verabschiedung, nämlich jener von Dello Sbarba zum Thermenhotel in Meran. Kein Wunder, dass einige Oppositionsparteien die Vorlage von Gesetzentwürfen praktisch aufgegeben haben, weil es nichts bringt. Der absolut fleißigste Gesetzesschreiber unter den Abgeordneten war Andreas Pöder mit 18 Vorlagen (alle abgelehnt oder zurückgezogen), gefolgt von den Grünen (15) und Urzì (8). Die Landtagsmitglieder mögen noch andere Aufgaben und Instrumente haben, beim Gesetzgeben sind sie jedenfalls, sofern in der Opposition, chancenlos.
Das Instrument der Anhörung von Fachleuten zwecks Vorbereitung einer Entscheidung über eine Gesetzesvorlage gehört zu den Rechten des Landtags, um sich ein besseres Bild über die anstehende Materie zu machen. Dieses Instrument wurde in der abgelaufenen Legislatur lediglich zwei Mal genutzt. Interessanter und wirksamer wäre hier das Instrument der Öffentlichen Anhörung (istruttoria pubblica), nämlich die auch für Bürger zugängliche Anhörung von Expertinnen, die von Mehrheit und Opposition gemeinsam beigezogen werden und somit für transparente und kontroverse Analyse und Bewertung eines Projekts sorgen. Dieses Verfahren gibt es auf Landesebene nicht und ist auch durch das neue Landesgesetz zur Partizipation nicht eingeführt worden.
Genauso wenig gibt es vor der Diskussion und Verabschiedung von Gesetzesvorlagen im Landtag die sog. Vernehmlassung. Dieses in der Schweiz übliche Verfahren bietet allen Institutionen, Verbänden und Organisationen die Chance zur Stellungnahme in transparenter und fairer Form. Der Gesetzentwurf wird dort ins Kantonalratsportal gestellt und direkt allen betroffenen Gruppen zugestellt, die binnen einer Frist ihre Stellungnahme öffentlich im Portal posten können. Wichtige Interessengruppen werden zu Anhörungen eingeladen, doch auch Einzelpersonen können sich zu den Vorlagen online äußern. In Südtirol wird nur der Rat der Gemeinden auf diese Weise regelmäßig konsultiert. Ansonsten behilft man sich seitens der Mehrheit der Konsultation hinter den Kulissen.