Politica | Unerträgliches Verbrechen

Tod in Kairo

In diesem Fall habe ich Mühe, zu meinem Thema auf Distanz zu bleiben. Ich kann sie nur über die Worte halten, in die ich den Bericht einfriere.
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„Ägypten ist unser strategischer Partner und spielt bei der Stabilisierung der Region eine fundamentale Rolle“, erklärte der italienische Außenminister Gentiloni am vergangenen Sonntag der „Repubblica“. Dies zu sagen lag ihm am Herzen, denn römische Gerichtsmediziner hatten in der Nacht zuvor die Leiche von Giulio Regeni untersucht, die ihnen aus Kairo überstellt worden war.

Wer war Giulio Regeni?

Hunderte auf dem Körper ausgedrückte Zigaretten. Ausgerissene Finger- und Fußnägel. Ein eingerissenes Ohr. Unter den Fußsohlen Spuren von Stockschlägen. Schultergelenk, Ellenbogen, Rückenwirbel, Rippen, Finger: überall Frakturen. Der Todeskampf muss qualvoll gewesen sein. Das Opfer starb, indem man ihm schließlich das Genick brach.

Giulio Regeni

                Giulio Regeni

Giulio Regeni war 28 Jahre alt und lebte in Kairo, wo ihn die American University als Forscher führte. Seine Kollegen, Freunde und Kommilitonen schildern ihn als sozial und politisch interessiert, intelligent, neugierig und fröhlich. Er sammelte Material für eine Dissertation über die ägyptische Gewerkschaftsbewegung und ihre Rolle während des Aufstandes von 2011, zu dessen Symbol der Tahrir-Platz wurde. Im Januar erschien von ihm auf der Web-Seite des „Manifesto“ ein Artikel, in dem er unter Pseudonym die Repression gegen die ersten Ansätze zu einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung schildert, die sich nach dem Aufstand von 2011 herausbildeten. Nach Regenis Tod veröffentlichte das „Manifesto“ den Artikel am 7. 2. noch einmal, nun unter Klarnamen.

Nachdem er am 25. Januar verschwunden war, wurde seine halbnackte Leiche 9 Tage später in Kairo in einem Graben am Straßenrand gefunden, in dem beschriebenen Zustand. Da sich Anfang Februar die italienische Ministerin für wirtschaftliche Entwicklung, Guidi, in Kairo aufhielt, nutzte sie die Gelegenheit, um sich bei ägyptischen Regierungsvertretern nach dem Verbleib des Vermissten zu erkundigen. Wenige Stunden später wurde ihr der Fund der Leiche mitgeteilt, es sei wohl ein „Verkehrsunfall“ gewesen. Die Verletzungen, die Regenis Körper aufwies, sprachen dagegen – seit wann reißt einem der Aufprall eines Autos alle Fingernägel aus? Die nächste Version: ein „gewöhnliches Verbrechen“, man habe schon „2 Verdächtige“. Aber auch davon redet inzwischen niemand mehr.

Erklärungsversuche

Der Mord verlangt nach Erklärung. Wenn es kein Verkehrsunfall und kein „gewöhnliches Verbrechen“ war (vielleicht um Regenis Brieftasche zu erbeuten), wer hat ihn dann erst gefoltert und schließlich umgebracht? Die Antwort ist für die Kenner der gegenwärtigen Situation in Ägypten so plausibel, dass sie – bis auf die ägyptische Regierung – niemand in Frage stellt: Es war einer der geheimen Dienste des Unterdrückungsapparats, also der Polizei, des Militärs oder des Innenministeriums. Regenis Folterspuren zeigen das typische Muster, wenn Informationen erpresst werden sollen. Worüber? Es gibt zwei Hypothesen: Entweder über Gewerkschafter und Oppositionelle, zu denen Regeni Kontakt hatte. Oder wenn man glaubte, in ihm einen ausländischen „Spion“ gefasst zu haben, über dessen Auftraggeber. In Ägypten ist die staatliche Hysterie gegenüber „Spionage“ groß, ausländische Stiftungen (wie die Konrad-Adenauer-Stiftung) und Institute (wie die American University) sah und sieht man als ihre Brutstätten.

Natürlich erklärte der ägyptische Innenminister im Brustton tiefsten Gekränktseins, „seine“ Polizei habe mit dem Mord nichts zu tun. „Wir werden den Fall nicht anders behandeln, also ob es sich um einen unserer eigenen Staatsbürger handelt“. Was man nur als Drohung verstehen kann.

Repression in Ägypten

Nach dem Putsch von 2013, so wird vermutet, soll das Militär-Regime mehr als 40.000 Oppositionelle in Haft genommen haben. Es verurteilte 1.200 Führungskader der Muslimbrüder zum Tode, seine Sicherheitsorgane töteten bei Straßenschlachten und Demonstrationen 2.500 Menschen. 2015 dokumentierte die „Egyptian Association for Rights and Freedom“ 314 Fälle „erzwungenen Verschwindenlassens“, bei denen weder Angehörige noch Öffentlichkeit informiert wurden. Die Berufsvereinigungen der ägyptischen Journalisten und Anwälte klagen über massive Behinderungen. Anwälte berichten, dass in ägyptischen Gefängnissen systematisch gefoltert wird. Und dass sie selbst massiv bedroht werden, wenn sie Familien von „Verschwundenen“ unterstützen. Was Giulio Regeni geschah, ist für sie keine Überraschung. Sie erinnern daran, dass vor einem Jahr ein Rechtsanwalt in einem Gefängnis zu Tode gefoltert wurde. Er war 27, ein Jahr jünger als Regeni.

Auch 2016 setzt sich die Repression fort. Seit Anfang Januar gab es gegen Oppositionelle neben permanenten Razzien schon 5000 Hausdurchsuchungen. Erneut sind 60 ägyptische Staatsbürger spurlos verschwunden. Auch am 25. Januar, als Regeni verschwand, wurden Oppositionelle verhaftet. Es war der fünfte Jahrestag des Tahrir-Aufstands.

„Strategische Partnerschaft“?

Was Gentiloni zur „strategischen Partnerschaft“ mit dem ägyptischen Militär-Regime sagt, könnte auch vom deutschen Außenminister stammen – Steinmeier sagte im Mai 2015 in Kairo Ähnliches. Könnte die hier beschworene „Strategie“ einen Webfehler enthalten? Der Kampf gegen den IS soll alles rechtfertigen, und auch in Libyen wird man ohne die Zustimmung aus Kairo keinen Schritt weiterkommen. Aber könnte es nicht sein, dass Partnerschaften des Westens mit Regimes wie dem ägyptischen dem IS gerade Auftrieb geben?

Beim Interesse Italiens an Ägypten fehlt noch ein Detail: Italien verhandelt, auch im Auftrag der ENI, mit Ägypten wegen der Erschließung eines großen Erdgasvorkommens vor der ägyptischen Küste. Im vergangenen August hatte Renzi al-Sisi noch als „großen Staatsmann“ hofiert, „der Einzige, der Ägypten retten kann. Und ihn gleich geduzt: „Dein Krieg ist unser Krieg, Deine Stabilität unsere Stabilität“. Klar: Ein so wichtiger Deal darf nicht am Tod eines Jungen scheitern, aus welchen Gründen es auch immer zu ihm kam. Heute wurde er an seinem Heimatort in Fiumicello begraben. Saviano kommentiert bitter, dass damit wohl auch sein „Fall“ begraben werden soll.

PS: Der ägyptische Botschafter in Italien lieferte nachträglich noch folgendes Argument für die Unschuld der Sicherheitsdienste: „So naiv sind wir nicht, einen jungen Italiener umzubringen und seine Leiche gerade an dem Tag auf die Straße zu werfen, an dem die Ministerin Guidi Kairo besucht. Es wäre doch ganz einfach gewesen, sie verschwinden zu lassen“. Das Argument ist zynisch, aber klingt plausibel. Es sei denn, der Geheimdienst folgt der Logik der italienischen Mafia: Furcht verbreiten. Dafür wird in Kairo viel getan.