Nobel, Ötzi & Lido
13 Seiten ist das Dokument lang. Titel; „Amtsperiode 2016/2020 – Programmatischer Bericht“. Darunter der Schriftzug: „Stadträte:“ Die Namen fehlen noch. Denn der Streit um Personen und der Kampf der Parteien, wer in die Regierung entsandt werden soll, ist zum Teil noch offen.
Was aber steht, ist das Koalitionsprogramm. Renzo Caramaschi hat dabei ambitionierte Vorgaben gemacht. Der neue Bozner Bürgermeister will der Landeshauptstadt eine neue selbstbewusste Rolle geben. Über den dreizehn Seiten schwebt dabei wie ein roter Faden die Vision einer europäischen, offenen Stadt, einer Stadt der Begegnung der Kulturen und einer Brücke zwischen Nord und Süd.
In dem Dokument steht weit mehr, als in vielen Regierungsprogrammen. Neben dem üblichen, politischen Phrasen finden sich über ein Dutzend konkreter Projekte, Vorschläge und Ankündigungen, die einiges an Diskussion auslösen werden.
Das Regierungsprogramm beginnt mit dem Bereich „Wirtschaft“. Gleich als erster Satz steht dann eine Aussage, die wie ein Mantra klingt:
„Das Verhältnis und die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Land soll neu definiert werden. Vor allem bei den Großprojekten müssen bei der Umsetzung die Prioritäten und Zeitabläufe definiert werden“.
Die neue Bozner Regierung will die Wirtschaft ankurbeln. Auch hier ist die Aussage mehr als klar:
„Le aziende trovano sostegno nell’amministrazione comunale: apprezzamento per le iniziative imprenditoriali e non creazione di ostacoli.“
Vor allem aber will man verstärkt auf den Kongresstourismus setzen. Geplant ist der Bau eines neuen Kongresszentrums, das zwischen 800 und 1000 Plätze haben soll. Weil das Kaufhaus bereits von Rene Benko verwirklicht wird, soll für das Kongresszentrum jene Kubatur hergenommen werden, die ursprünglich für ein Kaufhaus im neuen Bahnhofareal vorgesehen war.
Gleichzeitig will man mit bewussten Maßnahmen aber auch den Kleinhandel in Gries und in Zwölfmalgreien fördern. Außerdem sollen auch Weihnachtsmärkte in den einzelnen Stadtviertel verwirklich werden.
Die neue Stadtregierung schreibt sich aber auch eine bessere Kontrolle der gemeindeeigenen Körperschaften und Gesellschaften auf die Fahne. Die Verwaltungsräte dieser Gesellschaften sollen deutlich verkleinert werden.
Im Kapitel „Stadtentwicklung und Infrastrukturen“ schlägt man die Aussetzung und Neufassung des Artikel 55, der sogenannten Lex Benko vor. Das Gesetz soll so abgeändert werden, dass der Gemeinderat jene zentralen Aufgaben zurückerhält, die er bei wichtigen Entscheidungen zur Raumordnung haben soll.
Besonderes Augenmerk setzt man auf das neue Bahnhofsareal. Dazu heißt es:
„Impostazione e avvio della realizzazione del progetto definito da Comune e Provincia congiuntamente tramite la Società Areale Bolzano con definizione del numero degli edifici e delle cubature. Lo sviluppo della città, un quartiere nuovo, modello di funzioni integrate, di una città policentrica, senza periferie, con servizi e abitazioni.“
Verkehrstechnisch setzt man auf den Bau einer Süd-Umfahrung unter dem Kohlerer Berg. Sowohl Staatstrasse wie auch Autobahn sollen in einen Tunnel verlegt werden. Die Finanzierung für das Projekt soll durch Land und Brennerautobahn übernommen werden. Gleichzeitig will man die bestehende Autobahn durch Bozen als eine Art Eisackuferstraße nutzen.
Aber auch die geplante Nord-Umfahrung findet sich im Koalitionsprogramm. Gemeint ist ein Tunnel zwischen Rentsch und dem Eingang zum Sarntal. Festgeschrieben ist auch der Bau der Tiefgarage am Siegesplatz.
In der Urbanistik setzten Caramaschi & Co vor allem auf die Verwertung der bestehenden Bausubstanz.
Auch hier ist der Vorstoß durchaus mutig. So heißt es:
„Priorità al recupero della cubatura esistente in disuso. Non sarà tollerata la permanenza di ruderi. Inserimento della norma nella nuova legge urbanistica provinciale.“
Im Regierungsprogramm werden aber auch zwei konkrete Projekte definiert:
Der Bau eines Lidos in der neuen Zone Firmian-Kaiserau und die Schaffung einer Erholungszone am Virgl, wobei man auch den Benko-Vorschlag einbeziehen will.
Renzo Caramaschi hat den größten Teil seines beruflichen Lebens in der Gemeinde Bozen verbracht. Der langjährige Stadtkämmerer kennt die Verwaltung wie seine Hosentasche. Vor diesem Hintergrund sind die Vorschläge zur Reorganisation und Vereinfachung der Verwaltung von besonderer Bedeutung.
Die Arbeit der Verwaltung soll deutlich effizienter gestaltet werden. Dazu gehören die Einführung eines eigenen Stadtrates für Organisation, Innovation, Legalität und Transparenz, die Genehmigung eines Ethikkodex für die Stadtpolitik, sowie die aktive Bereitstellung einer Plattform für „Whistle Blowing“ und für Hinweise auf illegale Machenschaften in der Verwaltung.
Renzo Caramaschi und Christoph Baur werden in den nächsten fünf Jahren beweisen müssen, ob es nur politische Lippenbekenntnisse sind oder Anliegen, die man wirklich umsetzt.
Die Geschäftsordnung des Gemeinderates soll überarbeitet und den Ratskommissionen mehr Verantwortung übertragen werden. Auch das Verhältnis Gemeinde-Stadtviertelräte soll auf eine neue Grundlage gestellt werden, in dem man den Stadtviertelräten mehr Kompetenzen zuteilt (Dezentralisierung).
Die Gemeindeverwaltung soll verschlankt werden. Gleichzeitig soll dort – wo es möglich ist – eine Rotation der Führungskräfte eingeführt werden. Ebenso soll endlich ein einziger Bürgerschalter für Lizenzen und Verwaltungsakte verwirklicht werden. Und die Verwaltung soll endgültig vom Papier auf Telematik umgestellt werden.
Es ist inzwischen üblich, dass der Bereich „Sicherheit“ in den Partei- und Koalitionsprogrammen eine besonders hervorgehobene Stellung einnimmt. Das ist auch im Bozner Koalitionsprogramm nicht anders. Auch hier ist von verstärkte Überwachung durch Kameras und dem Einsatz der Stadtpolizei und der Ordnungskräfte die Rede.
Positiv hervorzuheben aber ist, dass die neue Stadtregierung hier aber auch auf die Waffen des Geistes und der Kultur setzt. So sollen in den einzelnen Stadtviertel offene Treffpunkte entstehen und das Leben durch Kulturinitiativen animiert werden. Durch Projekte wie „Pillole di Cultura“ oder den „Bürgermeister der Nacht“ soll das Nachtleben der Stadt eine neue Aufmerksamkeit erfahren.
Vor allem aber handelt man im Koalitionsprogramm das Thema Sicherheit mit dem Thema „Integration“ ab. Gerade hier sind die Ansagen der neuen Stadtregierung aber besonders klar und deutlich:
-
Inclusione dell'immigrato con corsi accelerati per far comprendere i valori della democrazia e del reciproco rispetto ricorrendo all'impiego di competenze di mediazione interculturale ed educazione alla legalità.
-
Il Bambino protagonista – Premio scuole elementari delle buone pratiche e dell’inclusione culturale.
-
Promuovere e sostenere l'apprendimento del tedesco e dell'italiano nei migranti.
-
Nomina di un responsabile di accoglimento dei migranti.
-
Sostegno psicologico per minori stranieri non accompagnati in collaborazione con ASSB e ASL.
-
Ridefinizione dei rapportiti legislativi e delle competenze tra Provincia e Comune in materia di migranti per compartecipazione attiva del Comune nella definizione delle politiche di accoglienza. Ricerca di bandi per il reperimento delle risorse finanziarie necessarie.
-
Partecipazione ai tavoli di coordinamento tra Stato, Provincia ed Euregio.
Dass Renzo Caramaschi besondere Akzente auf die kulturelle Entwicklung der Stadt legen will, zieht sich wie ein roten Faden durch dieses Regierungsprogramm. So schlägt er im Kapitel „Sviluppo culturale e sociale della comunità cittadina“ vor, Bozen zu einer Stadt der Erinnerung und des Zusammenlebens zu machen.
Dazu soll im neuen Stadtviertel Firmian-Kaiserau ein „Giardino dei Giusti“ entstehen. In diesem großen weitläufigen Park soll an die großen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Frieden erinnert werden. Der Park soll von Stadtarchiv und dem „Centro della Pace“ in Zusammenarbeit mit den Schulämtern gestaltet und geführt werden.
Außerdem soll die Stadt jährlich einen großen Kongresses zur sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in Europa ausrichten, bei dem alle drei Jahre auch die Friedens-Nobel-Preisträger zusammenkommen werden.
Neben der Verwirklichung des Bibliotheken-Pools, will die neue Stadtverwaltung auch das Ötzi-Museum mehr in des Stadtgeschehen einbinden. So findet sich der Vorschlag im Programm, das Haus der Sparkassen-Akademy anzukaufen und mit Stadtmuseum und Ötzimuseum museal zu verbinden.
Gleichzeitig will man aber auch den Bau einer neuen Museumsstruktur im neuen Bahnhofsareal prüfen, in der Ötzi- und Stadtmuseum gemeinsam Platz finden werden.
Vor allem im kulturellen Bereich hat sich Renzo Caramaschi hohe Ziele gesetzt. So heißt es im Vorschlag:
„Rafforzamento delle istituzioni culturali. Obiettivo: ampliamento della percentuale dei fruitori delle manifestazioni dal 5 al 10% (misurazione). Attività delle istituzioni nei quartieri, con attività in parte decentrate.“
Remise für die JugendWeitere Kapitel im Koalitionsprogramm betreffen die Umweltpolitik mit besonderem Schwerpunkt auf die Müllvermeidung,- entsorgung und die Steigerung der Auslastung des Bozner Müllverbrennungsofens, die Sozial- und Gleichstellungspolitik mit der Reorganisation des Sozialbetriebes Bozen (ASSB) und der Verkleinerung des Verwaltungsrates auf drei Personen, sowie die Bildungs- und Jugendpolitik.
Hier sticht neben unzähligen Maßnahmen im Sport vor allem eine Initiative besonders ins Auge. Es soll eine Art Jugendzentrum entstehen.
Im Koalitionsprogramm heißt es dazu:
„Recupero ai Piani della rimessa ferroviaria per creazione di un "Centro di linguaggi contemporanei" nella musica, nella pittura, nelle lettere e del pensiero. Gestione con gara ad associazioni giovanili, approfondimenti e ricerche, collaborazioni a livello internazionale, in sinergia con Accademia Europea, Uni e Tis. Sala prove musicali e grande sala per appuntamenti giovanili per feste e concerti.“
Das Ganze klingt durchaus gut.
Renzo Caramaschi und Christoph Baur werden in den nächsten fünf Jahren beweisen müssen, ob es nur politische Lippenbekenntnisse sind oder Anliegen, die man wirklich umsetzt.
Das klingt durchaus gut? Das
Das klingt durchaus gut? Das klingt vielmehr nach Horrorstadt. In einer Stadt, in der der Leerbestand bereits ca.4500 Wohnungen, 2000 Garagen, 100tausende von qm an Büros und Lagerhallen in der Industriezone beträgt, wollen diese Herren weiterhin alles zubetonieren und öffentlichen Boden privatisieren. Das bedeutet millionen von Tonnen an Zement und weitere tausende von PKW`s und LKW`s in einem Talkessel, der bereits unter einer nicht weiter zumutbaren Umweltbelastung leidet. Wofür? Für die Vision einer europäischen Stadt? Sollte sich die Vision einer Stadt nicht eher dem Gemeinwohl und der Bedürfnisse ihrer eigenen Bürger orientieren, anstatt sich den Interessen der Wirtschaft zu beugen? Weiter verfolgt man das Projekt des Bahnhofareals, wahrscheinlich wohl wissend, daß dieses nie verwirklicht werden wird. Inzwischen kann man es aber als Rechtfertigung für weitere Privatisierung und Verscherbelung von kostbarem öffentlichem Grund verwenden. Dieses Projekt kann, wenn überhaupt, erst in frühestens 20-25 Jahren verwirklicht werden, nachdem die Eisenbahn-Umfahrung von Bozen fertiggestellt wird, Teil der Zulaufstrecken des BBT`s. Wir reden hier von Phantasien, nicht von zukunftsnahen und umsetzbaren Visionen. Anderes Projekt zu 300Mio.€ ist jenes der Tunnel-Umfahrung von Bozen, für das es keine rechtfertigenden Studien der Verkehrsflüsse gibt. Den wenigen tausend Fahrzeugen gegenüber, die an Bozen auf der SS12 vorbeifahren wollen, haben wir über 50.000 Fahrzeuge, die täglich in die Stadt hinein wollen. Für diese muss eine dringende Lösung gefunden werden. Höchste Priorität muss das dritte Bahngleis haben, das viel kostengünstiger ist (ca. 90Mio.) und in 2 Jahren realisierbar. Dieses würde eine schnelle Zugverbindung mit hoher Frequenz ins Unterland und nach Meran ermöglichen. Der Verkehr muss auf öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden und nicht der Autoverkehr verflüssigt. Was eine moderne Stadt ausmacht, das muss in Bozen noch erarbeitet und erörtert werden. Ist es eine Stadt in der Lebensqualität gleichbedeutend ist, mit einer intakten Umwelt, Gesundheit und kleinen regionalen Wirtschaftskreisläufe, oder die Diktatur der multinazionalen und lokalen Wirtschafts-und Finanzinteressen.