Corona-Badetag
Soudella, wie meine Oma selig zu sagen pflegte: Nun sieht es denn so aus, als ob uns das Coronavirus so schnell nicht verlassen würde, und auch, ob das mit der Impfung klappt, ist mehr als fraglich. Was bleibt uns da übrig, als uns zu arrangieren wie mit einem ungebetenen Gast, der sich ungefragt in unser Leben eingenistet hat, uns einschränkt, wo es nur geht, und keinerlei Anstalten macht, wieder einen Abflug zu machen? Wir müssen ihm halt, so gut es irgend geht, aus dem Weg gehen. Das ist lästig und blöd und macht keinen Spaß, aber wenn wir einen guten Tag haben, dann könnten wir uns eventuell sogar derart verrenken, dem Virus gewisse Vorteile anzudichten. Es steckt etwas Gutes in allem, auch dem Schlechten, so das Credo der unverbesserlichen Optimist*innen, und weil wir eh keine Wahl haben, lassen wir uns mal kurzzeitig anstecken von ihrer Lebensbejahung. (An dieser Stelle fällt mir der Tierfilmer Sir Richard Attenborough ein, der einmal meinte, er könne nicht an einen barmherzigen Gott glauben, wenn der es zulässt, dass es Parasiten gibt, die sich in die Augäpfel von Kindern einnisten und sie erblinden lassen. Mir stellt sich also die Frage, was zum Beispiel das Gute an diesem Parasiten sein soll, aber ich schweife wieder einmal ab, und nun wird es auch etwas Unappetitlich.)
Jedenfalls, begeben wir uns in ein Habitat, in dem die unmittelbaren Vorteile von Corona am ehesten erkennbar sind, nämlich eines, wo fehlende Distanz zwischen Fremden aufgrund äußerst spärlicher Bekleidung besonders unschön sein kann: genau, im Schwimmbad. (Was hat die denn immer mit ihren wasserlastigen Freizeiteinrichtungen?, werden sie sich an dieser Stelle fragen, und ich entschuldige mich für eventuelle Wiederholungen, aber es hat sich halt so ergeben.)
Wir frösteln leicht trotz heftiger Sommersonne, darob, wie schnell es gehen kann, und wie perfide das Virus offenbar immer noch umherschleicht, während wir hier Eisl schlecken und sorglos die Zehen ins Wasser dippen.
Im Schwimmbad ist Corona, oder besser, die damit verbundenen neuen Verhaltensregeln in der Öffentlichkeit, wahrlich kein Nachteil, wie besonders jene, die nicht so scharf auf nicht erbetene Annäherungen halbnackter, ach was dreiviertelnackter Menschen, die man vorher noch nie gesehen hat, bestätigen werden. Die Abstände zwischen den Handtüchern sind größer, man hat nicht den Eindruck, man müsse sich eh nicht mehr eincremen, weil der Nebenmann bei seinem Eingespruze uns auch gleich mitnimmt, und auch im Wasser kann man relativ unbehelligt seine Bahnen ziehen. Wurden prä-Corona Kollisionen meist gleichmütig in Kauf genommen, achtet der Großteil der Schwimmer*innen jetzt penibel darauf, einander nicht zu nahe zu kommen, und tut eine*r das nicht, dann genügt ein wohlplatzierter Huster, um den Flegel abrupt Richtung ändern zu lassen. Den Huster gilt es allerdings nicht zu offensiv und auch nicht zu häufig einzusetzen, weil dann natürlich die Gefahr besteht, von den argusäugigen Bademeister*innen aus dem Bad verbannt zu werden. Ich habe es nicht drauf angelegt, hätte aber doch gern gewusst, ob dabei die Greifzangen zum Einsatz kommen, die ansonsten zum Müllsammeln verwendet werden. Genauso wenig konnte ich in Erfahrung bringen, wie es mit der eventuell nötigen Mund-zu-Mund-Beatmung aussieht, wo doch die Abstände eingehalten werden sollen. Den machomäßig breitbeinig dastehenden bagnino wollte ich nicht fragen, da es dann doch ein wenig den Anschein gehabt hätte, ich wolle mich schon mal für besagte Aktion vormerken, und außerdem war er damit beschäftigt, eine Gruppe junger Damen zu beobachten, die wohl zu nahe und zu zahlreich beieinander saßen oder vielleicht auch nur erstaunlich knappe Bikinis trugen.
Vom Lokalaugenschein Schwimmbecken zum Lokalaugenschein WC: Das Bad wird ständig desinfiziert und hinein darf man nur alleine, woran ein Schild erinnert („Auch wenn es eher dringend ist, bitte einzeln eintreten“), das mit einem lachenden Emoji garniert ist, dem ein „Aaaaah“ entfährt. Ob das Emoji seine Einsamkeit im WC genießt oder einfach nur erleichtert ist, endlich wasserlassen zu können, ich begriff es nicht. Jedenfalls auch hier nur Vorteile: Saubere Sanitäranlagen und die Leute waschen sich endlich die Hände nach dem Pieseln, weil ja draußen die Wartenden stehen und zusehen. Wer will da schon das Schweindl sein?
Ich machte mich also auf in die Bar, wo ein Herr völlig ironiebefreit nach einem Corona verlangte, und die Bedienung schulterzuckend verneinen musste. Soweit waren wir also doch schon nach den Grauen des Lockdowns, dass wir uns an einem Getränk erfreuen wollten, das den Namen der verdammten Geißel trug. Bemerkenswert. Es war überhaupt schwer vorstellbar, dass all die Leute, die hier in so gleichgültiger Fröhlichkeit versammelt waren, vor drei Monaten noch in ihren Behausungen gedarbt hatten. Wo waren all die Schmerbäuche, Fettröllchen, Winkearme? Hatte nicht jede*r mindestens zehn Kilo an Frust angefuttert in dieser Zeit? Aber offenbar war ich die einzige, die den Bauch einzog. Alle anderen schienen erstaunlich schnell wieder zu alter Form und auch zu alten Verhaltensweisen zurückgefunden zu haben: Da die Freundin, die ihm beim Eincremen quasi als additional service hingebungsvoll die Mitesser am Rücken ausquetschte, dort die Helikoptereltern, die das Kindergartenkind mit UV-Shirt, knielanger Badehose, Sonnenhut, Schwimmflügeln, Schwimmreifen, Taucherbrille und fetten Streifen Sunblocker im Gesicht ausstatteten um es die danger zone Babybecken entern zu lassen, daneben die lockeren Italiener, die einem Kind im selben Alter nur ein knappes Badehöschen verpassten und ihm auch dieses noch zwischen die Pobacken klemmten: Dai, facciamo il perizoma! Alles wie gehabt also, höchstens einen Tick hochgedreht, und auch eine Prise mehr Anbandelbereitschaft war da in der Luft, weil die plötzliche Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit halt oft zu mehr (Lebens-)lust führt: „It’s biology at work - gotta procreate if the world is coming to an end.” Leider hatte der Herr am Nebenhandtuch den Lockdown ohrenscheinlich nicht dazu genutzt, an seinen Flirt-Skills zu feilen, was eine Maskenpflicht auch hier nicht so unattraktiv erscheinen ließ – verstünde man zumindest nur die Hälfte. Komplimente an die Begleiterin („nettes Hosele!“) wechselten sich mit Verweisen auf die eigene Expertise ab („De Tests sogn jo olle nix aus, sell sog i dir!“), und da das Gebalze nicht fruchtete, ging er schließlich dazu über, ihr aus der „Zett“ vorzulesen, was sie augenblicklich wegdämmern ließ. Schau her, dachte ich mir, raffiniert: Der Eine probiert’s mit K.-o.-Tropfen, der Andere mit der „Zett“: Die Wirkung ist dieselbe. Jedenfalls behielt ich ein wachsames Auge auf die Dame, die da so hinterlistig eingeschläfert worden war. Das andere Auge war wiedermal am Smartphone, und das erinnerte erbarmungslos daran, dass entgegen dem Eindruck der Schwimmbad-Idylle noch gar nichts ausgestanden war.
Im Schwimmbad ist Corona wahrlich kein Nachteil, wie besonders jene, die nicht so scharf auf nicht erbetene Annäherungen halbnackter, ach was dreiviertelnackter Menschen, die man vorher noch nie gesehen hat, bestätigen werden.
Gesundheitslandesrat Thommy meldete sich nämlich mit Schal und ernster Miene per Video aus der Corontäne: Er, der uns nimmermüde ermahnt hatte, wir sollten verflixt nochmal aufpassen, war nun selbst am Virus erkrankt, hatte sich aber nichts zuschulden kommen lassen, weil die Übertragung offenbar auf völlig unerklärliche Weise zustande gekommen war. „Nach Corona“ (???) habe er sich mit der „Kernfamilie“, also Schwiegereltern etc. (Wir erinnern uns schmerzlich: Im Lockdown waren das Vater plus Mutter plus Kind, basta) getroffen und äußerste Vorsicht walten lassen – trotzdem war er nun infiziert. Wir wünschen natürlich baldige Genesung und frösteln leicht trotz heftiger Sommersonne, darob, wie schnell es gehen kann, und wie perfide das Virus offenbar immer noch umherschleicht, während wir hier Eisl schlecken und sorglos die Zehen ins Wasser dippen. Ein bisschen frösteln wir auch, weil wir fürchten, wir könnten nun täglich ausführliche Video-Updates aus Thommys Corontäne bekommen: Die Zeit wird ja lang daheim, und am End‘ entdeckt er sich noch als Youtuber neu. Vielleicht aber entdeckt er auch bloß die Freuden des Brotbackens und Heimwerkens oder näht Schutzmasken. „Scusami se ti sto mettendo un po‘ di suspense“, raunte da die Nebenfrau in ihr Handy, und damit entlasse ich Sie auch heute: Schaumer mal, wie das alles weitergeht.