Cultura | Salto Gespräch

Bitte liebt Schlingensief

Der Kultur- und Filmtausendsassa Paul Poet über Christoph Schlingensief, seinen frühen Film "Ausländer raus!" und "In das Schweigen hineinschreien" von Bettina Böhler.
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Foto: Paul Poet

salto.bz: Ihr Film „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“ (2002) ist nun kleiner Bestandteil der eben in den Kinos angelaufenen Filmdokumentation „In das Schweigen hineinschreien“ von Bettina Böhler, zum 2010 verstorbenen Ausnahmekünstler Christoph Schlingensief. Wie haben Sie den Film erlebt?

Paul Poet: Naja, als schmerzlich schön, wie es nun einmal ist, wenn man im Zeitraffer über zwei Stunden, jemanden vor sich hat, der lange so etwas wie ein Mentor, Freund, Wegbegleiter war. Das kann gar nicht unberührt lassen. Der Film ist ein zügiges unterhaltsames Potpourri aus dem Schlinge-Schaffen, ein fast schon zu leicht gebackenes Reader´s Digest. Sicher als Einstiegsdroge bestens geeignet, nach der man sich dann intensiver den Schlingen, Haken, attackebereiten Selbst-Bespiegelungen aussetzen kann, die das Gesamtkunstwerk Schlingensief so reichhaltig machen.

Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien: Im Rahmen des Festival Transart am Montag 14. September im Astra in Brixen, 20 Uhr.


Bettina Köhlers Film ist ein freundlich-nostalgischer Wegweiser, aber den Weg darüber hinaus muss und sollte man schon selber finden. Es wundert insofern auch nicht, dass jetzt viele Kritiker, die Schlingensief ewig weglachten und verdammten, ihn jetzt plötzlich dann doch als „deutschen Staatskünstler“ umarmen und wertschätzen können. Da leistet dieser Film einen wertvollen Versöhnungsdienst. Von mir ist eine recht signifikante Minute aus dem Film „Ausländer raus!“-Kinofilm reinmontiert, wie auch bislang unveröffentlichtes Material vom Biennale-Pfahlsitzen in Venedig – Footage, die ich bislang nur für die Posthum-Schlinge-Exhibition 2014 am MoMA P.S.1 in New York angegriffen hatte.

Im Jahr 2000 haben Sie Schlingensief bei seiner Aktion "Bitte liebt Österreich" in Wien begleiten dürfen. Welche Erinnerungen haben Sie? In ihrem Film wimmelt es ja von aufgebrachten Menschen und Provokationen...

So wie die Aktion explodiert ist, vor Ort, transmedial, international, war das natürlich eine der bleibend wildesten Wochen meines Lebens. Ich war ja als einer der Redakteure eines Pioniersenders in Sachen Internet TV einer der ersten, die Christoph angerufen hatte, um sein satirisches Öffentichkeits-Spiel verwirklichen zu können. Ich war ja selbst damals Punk-Veteran, halbbekannter Underground-Regisseur und Aktivist. Und war angesichts des leider wegweisenden radikalen  Rechtsrucks der österreichischen Regierung verzweifelt, wie man dagegen noch Stellung beziehen konnte, nachdem viele herkömmlichen Protest-Formen am Versagen waren. Die Rassenhass-Parteien durch ein Big Brother-artiges Abschiebe-Game mit Ausländer raus-Schild oben drüber zu verarschen war dann natürlich ein Volltreffer.


Ich wurde dann quasi der Online- und Multimedia-Regisseur, der das ganze Geschehen über Internet und andere Medien über die Realität hinaus weitersponn, das alles in den Pioniertagen des Webs, da war von einer Kino-Doku noch gar nicht die Rede, sondern zeichneten wir alles für den Live-Stream und die Kurzfilme der Projekt-Website auslaenderraus.at auf. Welchen Markstein wir da bauen sollten, war uns da in keinem Moment bewusst, Christoph am wenigsten, der danach über Wochen nur Mantra-mäßig wie ein Stossgebet wiederholte: Wie soll ich das jemals toppen können? Im Moment war das in erster Linie ein politisch befreiender Streich in alle Richtungen ohne große Ahnung vom Danach. Den Rest hat die Kunstgeschichte geschrieben.

Trailer zu "Ausländer raus - Schlingensiefs Container" / Youtube

 

Dass die Rechten mit Kunst wenig am Hut haben, bzw. keine Offenheit für soziopolitische Themen und künstlerische Projekte mitbringen, ist weitläufig bekannt. Aber auch einige Linke haben damals ablehnend auf Schlingensiefs Container reagiert. Wie wurden sie durch die Kunst getäuscht?
 
Christoph sagt ja auch in meinem Film sehr deutlich, dass das kein Amnestie International, kein Zeig mir deine Wunden-Projekt war. Es ging um einen öffentlichen Exorzismus der Bevölkerung in Zeiten eines staatlichen Umbruchs Richtung Rechtsaussen. Es ging um eine Selbstuntersuchung der Menschen, wie viel Schwein in einem selber steckt, wieviel Verhetzung wieviel Xenophobie. Da war die Bühne für rechts, links wie die so nannte Mitte komplett offen wie auch alle das Ziel dieser Kunst-Attacke waren, weil eben auch niemand in diesem Spiel „schuldfrei“ ist. Da gab es auch viele „Linke“, die uns attackierten, dass wir die Not der Menschen für ein Spektakel missbrauchen, weil wir mit echten Asylsuchenden als Projektionsfläche arbeiteten. Das ist aber meist nur die pseudo-moralistische Ausrede derjenigen, die eben nicht genauer auf die schwarzen Punkte ihrer eigenen Seele achten wollen, die man da triggern will. Das erlebte ich Jahre später bei einem eigenen Film noch viel stärker, bei dem es um sexuellen Missbrauch ging, immer noch eines der größten Tabus unserer Zeit. So kam es jedenfalls beim Container, dass nicht nur die Bevölkerung rundum vor dem Container brüllte, sondern auch das nächste Nazi-Skins mit Messern einbrachen, aber auch die linke Donnerstags-Demo uns überrollte um das Bild zu übernehmen und den Container zu „befreien“. Was dann die Asylsuchenden in unserem Stück tatsächlich gefährdete, da diese nach Staatsrecht gar nicht gegen Entgelt arbeiten hätten dürfen und diese dann tatsächlich und nicht nur in unserem Spiel abgeschoben worden wären.

 

Wie aktuell ist Ihr Film zur Schlingensief-Big Brother-Aktion? Nur 20 Jahre später gibt’s Überwachungskameras beinahe an jeder Hausecke…

Naja, der staatlich etablierte Rechtsruck ist nun 20 Jahre später ein globales Gewinnermodell. Rassenhass ist ebenso global ein politisches Dauerschmiermittel geblieben. Und durch Social Media und CCTV ist die rundum ausgestellte Gesellschaft ohnehin ständig dem Spießrutenlauf von Selbstdarstellung, Optimierung und Aussortierung ausgesetzt. Da wird die Rechte auch immer kunst- und Pop-affiner während die – angebliche – Linke sich zunehmend mit selbstgerechter Simulakrenreinigung beschäftigt, statt reale sozial notwendige Ziele und Maßnahmen zu setzen. In diesen, durch die Corona-Krise und Klimawandel nur noch zusätzlich befeuerten Zeiten der gesteigerten politischen Hysterie und ideologischen Ambivalenz wäre eine Schock-Reinigung dieser mit sich verqueren Öffentlichkeit durch etwas wie den Container mehr als notwendig. Bzw. altert Christophs Gefäß bzw unsere Aktion auch nicht. Ich merke ja, wie viele durch meinen Film wieder Feuer fangen können, die damals noch viel zu jung waren. Man müsste das gegebenenfalls anders anstossen. Aber auch da hatte ich ja zuletzt erfolgreich im Umfeld von MeToo gezündelt. Das funktioniert nur zu gut.

Vor zwei Jahren war Ihr Film "Ausländer raus! Schlingensiefs Container" auf der griechischen Insel Lesbos im Flüchtlingslager Moria zu sehen, in einem von den NGOs organisierte Open Air-Kino, um die Bevölkerung mit den Flüchtlingen zusammen zu bringen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie die vor kurzem niedergebrannten Lager sehen?

Ich hatte meinen Film ja schon über Jahre auch für versöhnliche Aktionen eingesetzt, wie etwa ein Kino-Benefiz zur Unterstützung der Votivkirchensetzer in Wien. Dass die NGOs, die Moria betreuen, ausgerechnet diesen Film auswählten, um ihn aus Lesbos in einem allgemein zugänglichen Sommer-Open Air-Kino mit Flüchtlingen und Zivilbevölkerung zu zeigen, hat mich extrem geehrt. Und gewundert. Weil es ja auch massiv in die Hose gehen hätte können. Tat es aber nicht.
Umso mehr bricht es mir das Herz, jetzt zu sehen, wie das ganze Lager, schon zuvor eine Katastrophe durch die humanitären Missstände, bedingt durch die Ignoranz der EU zu diesem Thema. Das war ja etwas was Christoph als Zusatzebene auch immer wichtig war, wie man etwa am Operndorf in Afrika sieht, dass ja auch wacker seinen Betrieb weiter erhält.
 

Bei „Mea Culpa“ am Burgtheater haben wir uns noch persönlich gedrückt. Da war er aber schon sehr schwach durch die Krankheit, obwohl das Funkeln in seinen Augen was anderes erzählte.

Wie haben Sie den künstlerischen Werdegang von Christoph Schlingensief weiter ververfolgt?

Christoph war ja so begeistert von dem Film, den er ja auch vielfach als „besten Film über sich“ bezeichnet hat, dass er gleich eine zweite Kino-Doku aus meiner Hand angeregt und ursprungsfinanziert hatte. Die hätte ICH SCHLINGE heissen sollen und ihn auf dem bereits absehbaren Weg zu begleiten, als „Provokationskindl“ in die Weihen der Hochkultur aufgenommen zu werden. So war ich von 2002 bis 2004 beim Pfahlsitzen bei er Biennale Venedig und in Frankfurt dabei, bei der „Terrorsekten“-Wanderung „der schreitende Lieb“ durchs Rheinland, beim Theaterstück Bambiland in Wien und Zürich. Vor Bayreuth war Schluss. Da war ich der erste der von er Familie Wagner Hausverbot erhielt, bevor ich die "heiligen Hallen" überhaupt betreten hatte. Die Filmförderung verweigerte sich ebenfalls, von wegen „Wir haben schon genug vom Schlingensief!“ Dann warf ich doch das Handtuch und wir blieben die fünf Jahre bis zu seinem Tod beim kleinen freundschaftlichen Kontakt aus der Entfernung. Nur eben einmal, bei „Mea Culpa“ am Burgtheater, haben wir uns noch persönlich gedrückt. Da war er aber schon sehr schwach durch die Krankheit, obwohl das Funkeln in seinen Augen was anderes erzählte.
Footage des geplatzten zweiten Films wird gerade bei der Schlingensief-Ausstellung am Forum Stadtpark Graz, bzw. demnächst in einem Theaterabend im Rahmen des Viennale-Filmfestivals in Wien zur Uraufführung gebracht. 
 


Wie sportlich haben Sie Christoph Schlingensief in Erinnerung. Vor ein paar Jahren ist ein Foto aus dem Jahr 1966 aufgetaucht, es zeigt den sechsjährigen Christoph beim Skifahren in Südtirol… 

Gut sportlich, eigentlich. Wobei weniger im klassischen Sport, als eher das Duracell-Häschen, das kontinuierlich durch seine eigenen Kunstwelten sprintet und permanent anstiftet. Das Leben, ein Dauerlauf mit Bühne, Kamera und Ta-Dah! Es war auch immer mächtig anstrengend für ihn wie alle Wegbegleiter. Und umso aufwühlender als ihm im wahrsten Sinne des Wortes dann die Luft ausging. Ich hab ihn da immer vor Augen, wie wir nackt jeden Morgen in der Camping-Dusche bei Venedig standen und er frischfröhlich enthemmt durch das Badeareal zu tanzen begann und die Schabe aus MEN IN BLACK, einem sicherlich überraschenden Lieblingsfilm von ihm, nachspielte.

Was hat Sie eigentlich zu Christoph Schlingensief gebracht? Seine Filme? Die Talkshows? Das Theater? Seine Partei?

Das kann man gar nicht so sagen. Den ersten Kinofilm, den ich von ihm gesehen hatte, Das deutsche Kettensägenmassaker, hatte ich weiland als er rauskam als Punk-Fanzine-Kritiker sogar verrissen. Da fand ich zwar die Pop-politische Schlagrichtung großartig, aber den Film zu zerfaselt, unentschlossen, nervig. Die große Liebe entflammte dann vor allem mit den öffentlichen Aktionen wie der echten Kunst-Partei der Verlierer, Chance 2000. Da entdeckte ich dann in Folge auch seine wesentlich besseren Filme wie Menu Total oder Terror 2000 wieder. Und kurz darauf rief er schon bei mir an, um mich für die relativ spontane Aktion in Wien zu gewinnen, zu der sich die Wienerr Festwochen ja auch eher kurzfristig durchgerungen hatten.


Wie hat Christoph Schlingensief Ihre Arbeit als Filmemacher beeinflusst?

Sicher in der radikalen Verschmelzung von Provokation, Pop und Politischem. Wobei er selber den Begriff Popkultur immer gehasst hat. Da schon lieber Trash, Müll, Auswurf anwenden und aufwerten. Und im öffentlichen Auftreten. Da verlor ich meine zuvor massive Kamerascheu im Flug unter seinen Händchen. Und dass ich immer suchend und ungekrümmt weiter in Richtung Utopien auf grosser Fahrt bleibe. Deswegen hatte ich ihm – und Gillo Pontecorvo – meinen Kino-Film EMPIRE ME gewidmet, den er leider nicht mehr erleben konnte. 

Wem würden Sie den Film „In das Schweigen hineinschreien“ besonders ans Herz legen? 

Vor allem den Zweiflern und Meckerern.