Schreckgespenst Autonomie
Schon die Bezeichnung des Gremiums lässt auf eine komplexe Materie schliessen: commissione bicamerale sull`attuazione del federalismo fiscale. In dürren Mitteilungen beschränkte sich die Kommission bisher darauf, die ausgefallenen Anhörungen mitzuteilen. Am 13. März jene von Wirtschaftminister Giovanni Tria ("wegen wichtiger Verpflichtungen"), tags zuvor jene des ragioniere dello stato Salvatore Bilardo. Dass selbst Autonomie-Befürworter Giancarlo Giorgetti nicht erscheinen konnte, lag an der USA-Reise des Staatssekretärs. All diese Verzögerungen können freilich nicht dem Kommissionspräsidenten Cristiano Invernizzi angelastet werden, der als Salvini-Intimus gilt. Tria, dem beide Regierungsparteien misstrauen, hätte zur finanziellen Absicherung des Autonomie-Gesetzes sprechen sollen. Vergeblich versuchte die für das Gesetz zuständige Lega-Ministerin Erika Stefani, die Kommissionsmitglieder davon zu überzeugen, dass zu dessen Verwirlichung keine zusätzlichen Geldmittel erforderlich seien. Die Erweiterung der Befugnisse für Veneto, Lombardei und Emilien sei "a saldo zero". Eine Behauptung, die Kampaniens Präsident Vincenzo De Luca entrüstet zurückweist: "Siamo arrivati ad un passo dal disastro, bloccando un`operazione che avrebbe trasferito sei miliardi dall'Italia al Veneto". Beschuldigungen dieser Art bringen Venetos Präsidenten Luca Zaia in Rage: "Invito gli ultimi irriducibili a non fare di questa partita un totem. Mi irrita che quelli che per anni ci hanno detto "giù le mani dalla costituzione, ora vengano a dire che è uno scandalo fare quello che la carta prevede." Doch erst vor wenigen Tagen meldete sich zur Autonomiefrage erneut ein für die katholische Lega unangenehmer Gegner zu Wort: "Diciamo no al festival dei particolarismi", so der Sekretär der Bischofskonferenz, Stefano Russo.
Die Fünf-Sterne-Bewegung besteht darauf, den Gesetzesentwurf zum federalismo fiscale ins Parlament zu bringen. Die Lega will das zwar nicht verhindern, aber dort keine Abänderungen des Textes zulassen. Andernfalls droht sie mit Regierungskrise. Zaia: "Se non passa l`autonomia la Lega si troverà con le ossa rotte. E a quel punto il governo non potrà non saltare." Doch dass Venetos Präsident die Regierung seines Freundes Matteo Salvini stürzen könnte, scheint kaum glaubhaft. Innenminister Salvini neigt in der aussichtslos scheinenden Lage zur Verzögerungsstrategie: er will die Europawahlen und jene in der Basilicata und in Piemont abwarten – in der Hoffung, dass Di Maios Bewegung weiter geschwächt wird. Der sonst durchaus gemässigte lombardische Präsident Attilio Fontana dagegen giesst Öl ins Feuer: "L`autonomia si fa o cadrà il governo."
Doch die Drohungen und der ständige Schlagabtausch sind nur das Spiegelbild der permanenten Konflikte zwischen den Regierungsparteien. Wie bei der Hchgeschwindigeitsstrecke TAV und anderen Grossprojekten, wie bei der Justizreform und dem Vertrag mit China, wie bei der Parteienfinanzierung und der Bestrafung der Steuersünder haben Lega und Fünf Sterne gegensätzliche Überzeugungen. Und so blockieren die einen die Vorschläge der anderen. 85 Sitzungen waren nötig, um sich über die Erweiterung der Autonomie für Veneto, Lombardei und Emilien zu einigen. Doch eineinhalb Jahre nach den Volksabstimmungen herrscht Stillstand. Eine beredter Beweis für das folgenschwere Schneckentempo italienischer Politik, in dem Entscheidungen stets auf die lange bank geschoben werden.
Das surreal wirkende Theater mutet an wie ein müder Kreislauf: das ständige Säbelrasseln im Norden verstärkt den wachsenden Widerstand des Südens. Zu den unerbittlichsten Gegnern gehört dort die Ministerin für den Süden, Barbara Lezzi (M5S), die jede Einigung kategorisch bestreitet: "Non c`é ancora nessuna intesa. Dunque non si può avallare nessuna tesi." Den nüchternen Wirtschaftsexperten und ehemaligen Istat-Präsidenten Enrico Giovannini kann das freilich kaum verwundern. Die Lage sei ohnehin problematisch und werde durch die Rezession zusätzlich verschärft: "Le disegualianze sono in aumento e il paese rischia di esplodere." So nähert sich die Arbeitslosigkeit im Süden gefährlich der 20 Prozent-Marke und ist damit fast dreimal so hoch wie im Norden. Eine brennende Lunte.Vor allem für die Grillini, die dort ihr wichtigstes Wählerpotential haben.