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„Temperaturen der Wahrheit“

In Meran wurde das Peter Oberdörfer Lesebuch „Temperaturen der Wahrheit“ mit unveröffentlichten Erzählungen, Novellen, Theaterstücken und Gedichten vorgestellt.
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Foto: Foto: Ost West Club

Ein Gastbeitrag von Haimo Perkmann

Ich traute kaum meinen Ohren, als der – im ganzen deutschen Sprachraum und darüber hinaus bekannte – Literaturwissenschaftler Sigurd Paul Scheichl in dem rappelvollen Ost West Club das Wort ergriff und zuallererst sagte, dass Peter Oberdörfers Erzählungen ihresgleichen suchten und der Vintschger respektive Meraner Autor völlig zu unrecht von der Südtiroler Literaturkritik ignoriert wurde. Vielleicht, so Scheichl augenzwinkernd, wurde er nicht beachtet, weil er in seinen Romanen großteils auf Südtirolbezüge verzichtet hat, also keine „Südtiroler Literatur“ schreiben wollte und sich stattdessen mit internationalen Fragen oder auch ausgegrenzten Figuren wie De Sade beschäftigt hat.

Um genau zu sein, wurde Oberdörfer nicht immer ignoriert, bisweilen wurde er auch verrissen. Ich denke etwa an die vernichtende Kritik seines Romans Mauss in einer Südtiroler Wochenzeitschrift. Am 12. Dezember im Ost West Club wurde er nun von einem – über den provinziellen Tellerrand hinausblickenden ­– Literaturwissenschaftler teilrehabilitiert, indem dieser Peter Oberdörfers Roman Mauss als Geniestreich bezeichnete, den man unbedingt in seiner Bibliothek haben sollte. Verdikt: „Ich wüsste kaum eine oder einen seiner erfolgreicheren Südtiroler Zeitgenoss*innen, die oder der Oberdörfer entscheidend überlegen wäre.“

Das vorliegende, rund 600 Seiten starke Peter Oberdörfer Lesebuch wird – so Scheichl – unser Bild von der Literatur Südtirols nicht umstürzen, aber er wird diese Literatur um einen Autor von Rang bereichern.

Die Zukunft wird zeigen, ob dies zutrifft und Peter Oberdörfer posthum ein Platz zuteil wird, der ihm zeitlebens verwehrt wurde. Denn das vielseitige Lesebuch ergänzt sein Werk um bislang unbekannte Facetten. Damit macht es nicht nur seine unveröffentlichten Schriften einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich, sondern überantwortet sie zugleich dem Urteil der Zukunft.

Der Band umfasst insgesamt nur einen Bruchteil seines umfangreichen Nachlasses, dennoch findet sich – dank der Großzügigkeit des Verlags Alphabeta – genügend Platz für die literarische Rezeption, für eine Fotogalerie, Zeichnungen von Benno Simma sowie kürzere Sekundärtexte zu Oberdörfers Leben und Schaffen: darunter kürzere Beiträge und Hommagen von Kolleg*innen und Weggefährt*innen wie Matthias Dusini vom Wiener Falter, Autorin und Philosophin Lisa Ginzburg (Paris), Schriftstellerin Michèle Minelli (Zürich) oder die Münchner Universitätsprofessorin Stefanie Risse. Vorangestellt sind literaturkritische Beiträge, die zudem vollkommen neue Blicke auf die Prosa und Lyrik des Autors werfen – wie Mosaiksteine, die insgesamt ein überraschend vielseitiges Bild des Autors zeichnen.

Eine kleine, interessante Notiz am Rande zum Abschluss. Nach der Präsentation des Nachlasses haben wir soeben erfahren, dass der mehrsprachige Literaturwettbewerb Frontiere – Grenzen in Primiero im Trentino ab 2019 alle zwei Jahre einen Peter Oberdörfer Literaturpreis zu Ehren des vielseitigen Autors verleihen wird.