„Ich bin und Punkt“

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Sandra Durnwalder: „Für uns zählen Werte wie Liebe und Respekt. Unsere Hausregel: We are all humans.“ Foto: Sandra Durnwalder
Am 12. August, am Tag der Jugend, fand in Meran ein Pride-Abend statt. Dieser richtete sich an ein breites Publikum, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, so Sandra Durnwalder, Teil vom Streetwork Burggrafenamt. Organisiert vom Jugenddienst Meran zielte die Veranstaltung darauf ab, einen Raum für Begegnung, Information und Diskussion zu schaffen. „Es geht uns darum, die Vielfältigkeit der Jugend hervorzuheben und einen Austausch zu ermöglichen, der Barrieren abbaut“, erklärt Durnwalder.
Rund 60 Menschen unterschiedlichster Altersgruppen kamen zusammen, um sich über geschlechtliche, sexuelle und amouröse Vielfalt auszutauschen. „Es war bunt gemischt, viele junge Leute, aber auch Eltern und ältere Personen waren anwesend, genau wie wir es uns gewünscht haben“, berichtet Sandra Durnwalder. Trotz der zeitlichen Herausforderungen der Ferragosto-Woche und eines Montags als Veranstaltungstag sei das Event gut aufgenommen worden. „Für das erste Mal sind 60 Personen ziemlich gut. Besonders gefreut hat uns die Rückmeldung von Jugendlichen, die sich über einen Raum für den Austausch über diese Themen gefreut haben“, so Durnwalder.
Offener Austausch über Vielfalt und ToleranzDas abwechslungsreiche Programm des Abends begann mit einem Poetry Slam von Andreas Kofler, einem Südtiroler Künstler, dessen Inhalt sich um die Identitätsfindung im Jugendalter drehte. Er erzählte von einer männlich geborenen Person, die in einem Dorf aufwuchs und aufgrund ihres nicht stereotypen Erscheinungsbildes und Verhaltens verurteilt wurde. „Das Stück verdeutlichte die Schwierigkeiten, die Jugendliche durchleben, wenn sie nicht in traditionelle Rollenmuster passen“, erklärt Durnwalder. Die Geschichte endete mit der Botschaft, dass jeder Mensch, unabhängig von Identität oder Aussehen, respektiert werden sollte, denn jeder sei am Ende immer nur ein Mensch.
Auf den Poetry Slam folgte ein Impulsreferat der Sexualpädagogin Johanna Rohringer aus Salzburg. An verschiedenen Tischen standen den Besucher:innen Expert:innen und Organisationen zum Austausch zur Verfügung. Darunter CENTAURUS, Alto Adige Pride Südtirol, Young & Direct, netz, die Plattformen der Sexualpädagog:innen und eine Arbeitsgruppe der Diözese Bozen Brixen. Durnwalder betont, dass der Abend nicht nur für queere Menschen gedacht gewesen sei, sondern auch für Lehrpersonal, Eltern und Interessierte. Ein Einblick für alle, die mehr über die queere Community erfahren wollen. Der Fokus sei allerdings die Jugend, ihr Informationen sowie Raum zur Gestaltung und Mitsprache zu geben.
„Vorbilder fehlen. Viele Jugendliche flüchten in die Großstadt, wo sie mehr Freiheit erleben.“
Das Event zeigte auch die besonderen Herausforderungen auf, mit denen queere Menschen in Südtirol konfrontiert seien. „Vorbilder fehlen. Viele Jugendliche flüchten in die Großstadt, wo sie mehr Freiheit erleben“, sagt Durnwalder. Besonders in Dörfern sei die Situation schwieriger. „Grenzüberschreitungen und Sexualisierung betreffen auch Transpersonen sehr stark. Es fehlt einfach an sicheren Räumen für Jugendliche“, erklärte Durnwalder.
Pride Everyday: Ein Abend der Offenheit und Toleranz, der für Vielfalt und Akzeptanz steht. Foto: Sandra DurnwalderDer Veranstaltungsort, die Jugendkirche Meran, bot einen passenden Rahmen. „Es ist keine klassische Kirche, sondern ein Ort, an dem Jugendliche mitgestalten können“, so Durnwalder. Trotz des religiösen Hintergrunds der Location würden die dort stattfindenden Veranstaltungen gut angenommen. „Religion ist immer eine Auslegungssache. Für uns zählen Werte wie Liebe und Respekt und das passt sehr gut zu den Zielen des Abends und der geltenden Hausregel: We are all humans.“
Der Pride-Abend war der Auftakt zu einer Reihe geplanter Veranstaltungen. Im Rahmen des Projekts „redn mor mol drüber“, das sich mit verschiedenen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzt, würde es weitere Veranstaltungen zu Gender und Vielfalt geben. So sei ein weiterer Infoabend online sowie ein Event am Tag der Jugendarbeit, dem 18. Oktober, geplant, um den Dialog fortzusetzen.
„Wir wollen Jugendlichen einen Ort geben, wo sie sich austauschen können und wohl fühlen.“
Trotz der Herausforderungen sei der Pride-Abend ein wichtiger Schritt, um in Südtirol einen Raum für queere Themen zu schaffen und den Austausch zu fördern. Durnwalder betont: „Queere Menschen gibt es nicht nur im Juni, und das wollen wir sichtbar machen. Wir wollen Jugendlichen einen Ort geben, wo sie sich austauschen können und wohl fühlen.“
„Was bin ich“Andreas Kofler, Poetry Slamer, eröffnete den Abend mit einer Performance zum Thema Queerness mit dem Titel „Was bin ich“. „Die Erfahrung am Pride Abend war sehr bunt, ich habe neue Menschen und neue Ansichtsweisen kennengelernt, neue Blickwinkel und natürlich Geschichten von Menschen, die berühren“, berichtet er über seinen Auftritt. Die Inhalte seiner Poetry-Slams seien sehr verschieden. So spricht er über gesellschaftskritische Themen und das Leben im Allgemeinen. Dabei wird viel in Frage gestellt, darunter der schnelllebige, stressige Lifestyle und vor allem die Geschlechterrollen. „Themen, die unter anderem provozieren, das System kritisieren und alles von einem anderen Blickwinkel sehen”, erklärt Kofler.
„Ich spreche über das Thema Queerness, weil es ein Bestandteil meines Leben ist. Durch das Schreiben ist es einfacher, mit gewissen Dingen umzugehen und sie aufzuarbeiten“, betont er. Über diese Themen solle gesprochen werden, da Südtirol zwar auf einem guten Punkt sei, es aber noch nicht ausreiche. Es sei wichtig zu sensibilisieren und den Menschen ihre Ängste zu nehmen: „Sie haben ganz falsche Bilder im Kopf, die nicht der Wirklichkeit entsprechen. Queere Menschen sind auch nur Menschen. Mir ist es hierbei sehr wichtig, durch meine Worte Geschlechterrollen aufzubrechen, da diese eines der größten Probleme darstellen.“
„Man muss sich nicht immer erklären und definieren. Es ist einfach okay, zu sein und zu leben.“
Auf die Frage, ob der Veranstaltungsort, die Jugendkirche Meran, und die Thematik der Queerness zusammenpassen, betont Kofler, dass in der Kirche viele einen Halt finden. Andere würden diesen Halt bei anderen Dingen finden: „Sicher ist, dass die Kirche sich wandeln und and die heutigen Weltanschauungen anpassen muss. Die Kombination der queeren Community und der Kirche ist auf jeden Fall möglich, aber beide müssen zusammenarbeiten und das auch wollen, konstruktiv sein, Fortschritte machen und Kompromisse eingehen.“ Wichtig sei es, aufzuhören, alles zu kategorisieren und einzuteilen: „Es spielt gar keine Rolle, was man ist, denn wir sind alle Menschen. Man müsste dem Wort ‚Sein‘ viel mehr Bedeutung beisteuern. Sein ist bereits das Zeichen des Bestehens und der Existenz, des Lebens. Ich bin und Punkt. Man muss sich nicht immer erklären und definieren. Es ist einfach okay, zu sein und zu leben.“