Gotthard Bonells Porträts
Zwischen Ende der 1980er- und Ende der 1990er-Jahre entstehen einige der stärksten Porträts des Künstlers. Evidente Beispiele der von Bonell erreichten Qualität sind zwei Kinderbilder – vielleicht nicht zufällig Sohn und Tochter des Künstlers, beide Ende der 1980er-Jahre, Anfang der 1990er-Jahre dargestellt im Alter von zwei Jahren. Beide Male füllt der Kopf das stehende, nahezu quadratische Rechteck voll aus, wodurch die
Darstellung einen monumentalen Zug annimmt. Beim Gesicht der Tochter Noemi wird dieser Zug durch das Format 60x70 cm noch unterstrichen. Die Monumentalität, die von einer übergroßen Annäherung an das Sujet zeugt, ist gleichzeitig Zeichen einer künstlerischen Distanz, die erst das Gelingen des Werkes ermöglicht. Dominiert bei Noemi ein staunender, offener Blick, ist er bei Elias, dem Sohn, leicht gesenkt, eher verschlossen. Beide Male gleitet der Blick auf der – vom Betrachter aus gesehen – linken Seite aus dem Bild. Geht die Fleischfarbe bei Noemi eher ins Rötlich-Braune, ist sie bei Elias blassgrau. In beiden Fällen lebt das Bildnis von einem Gleichgewicht zwischen emotionaler Anteilnahme und distanziertem Blick. Diese Bilder, die das Kindliche einfangen, ohne es zu idealisieren, machen deutlich, dass es dem Künstler ganz wesentlich um das vorurteilslose Erfassen der Person und zugleich um die malerische, also fiktive Gestaltung von Volumen geht.
Tochter Noemi, Öl auf Leinwand, 1988
Gotthard Bonell, Geboren 1953 in Truden. Studium an den Kunstakademien Venedig und Mailand. 1983 Auslandsstipendium des österreichischen Bundesministeriums für Unterricht und Kunst. 1985 Beginn des Gesangsstudiums. Teilnahme an Gruppenausstellungen, u. a. Österreichische Galerie (Wien), Rupertinum Salzburg, Tiroler Landesmuseum (Innsbruck), ART-Frankfurt. Zahlreiche Einzelausstellungen, u. a. Galerie Prisma (Bozen), Graphikmuseum Bruneck, Galerie Thomas Flora (Innsbruck), Galleria d’Arte Moderna (Bologna). Zu seinen wichtigsten Buchveröffentlichungen gehören „Hautgrenze“, „Inszenierung und Verwandlung/Immagine della penombra“ und „Rituale“. Bei Edition Raetia: „Gotthard Bonell, Vis-à-vis. Porträts | Ritratti 1973–2005“ (2006), „Gotthard Bonell, Vis-à-vis. Porträts | Ritratti 1973–2013" (2014).
Sohn Elias, Öl auf Holz, 1990
"Aus den Porträts lese ich mehr über Sie heraus. Sie dringen tief in die Seelen und mchen mehr daraus, als diese vielleicht selbst von sich wissen, aber das ist ja eben das Können des Porträtisten." Aus einem Brief von Ila Egger-Lienz
Hervorzuheben ist auch das 1997 entstandene Doppelbildnis der Eltern, das eine Art Echo auf Otto Dix’ 1923 entstandenes Elternbildnis darstellt und zugleich eines von Bonells Hauptwerken ist. Die Gesichter der beiden Alten sind von physischer Arbeit gezeichnet. Die rechts im Bild stehende Mutter blickt mit schmerzlichem Blick auf den Betrachter. Der Vater, links im Bild und ein wenig größer, lenkt seinen Blick in Richtung
Mutter, aber ohne sie oder den Betrachter anzuschauen. Eine Veränderung im Mundbereich, die auf einem Bildnis des Vaters aus dem Jahr 1989 noch nicht festzustellen ist, deutet auf einen Schlaganfall hin. Das Bildnis des Vaters aus dem Jahr 1989 bildet zusammen mit den beiden Kinderbildern, mit einem Frauenbildnis von 1987 („Jette“) und einem Männerbildnis von 1994 („Heinrich Gasser“) einen Werkblock. In allen Werken erscheint der Kopf in vielfacher Vergrößerung und oben angeschnitten jeweils so im Bild, dass die Bildfläche weitgehend ausgefüllt ist. Diese Monumentalität wird im Männerbildnis von 1994 durch das Format 120x150 cm noch einmal gesteigert. Bei diesen Großdarstellungen sind die Gesichtsflächen durch malerische Differenzierung, aber zugleich als Volumen gelöst.
Andreas Hapkemeyer, geboren 1955 in Osnabrück, aufgewachsen in Bozen. Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck. M.A. University of Waterloo, Ontario. In den 80er Jahren Lektor an der Universität Messina. Von 2000 bis 2006 Direktor des Museion in Bozen. Zahlreiche Ausstellungen u.a. mit Künstlern wie Lawrence Weiner, Heinz Gappmayr, Maurizio Nannucci, Raymond Pettibon, Matt Mullican. 1995 Habilitation, lehrt neue Kunstgeschichte und deutsche Literatur an der Universität Innsbruck. Zahlreiche Publikationen, u.a. Monografien zu Visueller und Konkreter Poesie, „Language in Art“, zur Horizontale in der Kunst der letzten 200 Jahre sowie zu Ingeborg Bachmann und Friedrich Dürrenmatt.
Die Buchvorstellung findet am Mittwoch 17. Dezember um 20 Uhr im Waltherhaus Bozen statt.
„Gotthard Bonell, Vis-à-vis. Porträts | Ritratti 1973-2005" (2006), „Gotthard Bonell, Vis-à-vis. Porträts | Ritratti 1973-2013" (2014), herausgegeben von Andreas Hapkemeyer bei Edition Raetia, Online- und Ladenpreis 25 Euro, Hardcover, 24x30, 120 Seiten ISBN: 978-88-7283504-3