Palcoscenico | Operette

„Ich denke, das kennen viele Leute“

Netta Or ist Hannah Glawari, die lustige Witwe in der lang herbeigesehnten Rückkehr der VBB auf die Operettenbühne. Wir haben vor der Premiere die Sopranistin gesprochen.
Die lustige Witwe
Foto: Nikolaus Ostermann
  • SALTO: Frau Or, in der Presseaussendung wird gewarnt, zurecht wie ich finde, dass „Die lustige Witwe ein Stück mit Ohrwurm-Potential ist. Was macht für Sie einen guten Ohrwurm aus und sind Operettenlieder gute Ohrwürmer?

     

    Netta Or: Ja, zu letzterem: Operettenlieder sind die besten Ohrwürmer. Wobei, ich mag Ohrwürmer eigentlich nicht. Ich finde, es gibt keinen wirklich guten Ohrwurm, aber es gibt natürlich gute Melodien. Es gibt Melodien, die einfach schön sind und dann eben auch eingängig. Gott sei Dank ist das bei Lehár - und auch bei vielen anderen Operetten - der Fall, dass es sich einfach um tolle Melodien handelt, die sich da einprägen und nicht irgendein Blödsinn, wie - ich weiß nicht, „I'm a Barbie Girl“ - oder irgendwelche anderen Ohrwürmer, die man haben könnte.

    Wenn es schon ein Ohrwurm sein muss, dann wenigstens einer aus einer Operette. Es ist übrigens mein erstes Mal, dass ich „Die lustige Witwe“ spiele, ich hatte das noch nie gesungen und kannte vorher auch nur die Ohrwürmer und Melodien, die man so kennt, sonst kannte ich das ganze Stück vorab auch nicht.

  • Netta Or: Sieht die Witwe Hannah Glawari als „sehr coole Frau" und die Dialoge ums Scheitern der Kommunikation in der Operette von 1905 als daueraktuell. Foto: Nikolaus Ostermann

    Wie haben Sie das für sich erlebt, die Vorbereitung? Ist „Die lustige Witwe“ ein Stück, bei dem Sie sich vorstellen könnten, es auch in Zukunft im Repertoire zu haben, oder ist das für Sie eine spannende Einzelerfahrung?

     

    Ehrlich gesagt dachte ich mir, als ich mir zum ersten Mal den Klavierauszug angeschaut habe, „So viel ist es ja nicht.“ Ich habe in letzter Zeit sehr oft die Rosalinde aus der „Fledermaus“ gespielt, die kenne ich sehr gut, singe ich sehr viel und bei dieser Rolle gilt es auch viel zu singen.

    Und dann habe ich die Witwe angeschaut, die hat eine sehr prominente Partie in der Hannah Glawari, die kennt jeder Sopran, weiß jeder, also jeder Sopran. Als ich mir das durchgeschaut habe, dachte ich erstmals: „Die hat ja kaum was.“ Aber je mehr ich mich damit befasst habe und je mehr ich in die Rolle eingestiegen bin, umso mehr habe ich bemerkt, dass es in der Menge vielleicht nicht viel, aber trotzdem sehr herausfordernd ist.

    Die Partie selber, die Rolle, ist natürlich eine super interessante Rolle aus schauspielerischer Sicht. Das finde ich an dieser Operette und auch daran, wie wir sie inszenieren, schön. Wir haben  auch viele Dialoge, haben viel zu spielen und nicht nur zu singen.

     

    Wie sehen Sie die Rolle der Hannah Glawari mittlerweile?

     

    Die Rolle ist wahnsinnig interessant für eine Frau und überhaupt. Sie ist eine sehr starke Frau und eine sehr eigenständige Frau. Auch im Kontext der Zeit, in der das Werk entstanden ist und wo das Ganze spielt, ist sie sehr fortschrittlich, steht für sich ein, lässt sich nicht verarschen, lässt sich nicht beeindrucken oder bequatschen. Sie durchschaut, was um sie gespielt wird, genau. Meine Partie ist die einer sehr coolen Frau. Deswegen würde ich das auf jeden Fall nochmals machen wollen oder weitermachen wollen, wenn es sich ergeben sollte.

     

    Darüber hinaus, wie sind die Anforderungen an Sie als Sopranistin?

     

    Musikalisch und stimmlich denkt man erst, das ist ja einfach, das ist ja nichts. Aber doch, es ist eine Herausforderung, es ist nicht so einfach. Operette zu singen ist sowieso ein ganz spezielles Genre für sich. Wenn man, so wie ich, aus der Oper kommt und keine Musicalerfahrung hat, ist das aber normal. Die Operette erfordert andere Dinge. Also damit bin ich noch nicht fertig.

  • Die lustige Witwe: Mit Glitzer, Extravaganz und Lametta soll auf der Stadttheaterbühne ein Fest bereitet werden. Foto: Nikolaus Ostermann

    Wie geht es Ihnen mit Inszenierungen, wo man sagt, das Stück wird halb, auf einer Ebene, was die Ästhetik und die Kostüme anbelangt, in die Gegenwart geholt und es entsteht eine gewisse Spannung zur Handlung und auch zum Setting, das über 100 Jahre in der Vergangenheit liegt?

     

    Generell ist das so eine Sache, aber hier, in unserem Fall, ist es so, dass mir erstens die Kostüme und das Setting sehr gut gefallen, deswegen habe ich nichts dagegen. Zweitens wird die Geschichte und das, was erzählt wird, sehr genau erzählt. Es wird nicht verfälscht, es wird nicht verzerrt. Da das jetzt vor 100 Jahren gespielt wurde, gibt es natürlich politisch andere Zusammenhänge, die wir heute einfach nicht mehr kennen, die Geschichte zwischen den Menschen und was da verhandelt wird aber, das ist sehr gut nachvollziehbar. Das finde ich an der Witwe auch interessant, dass das nicht eine weit hergeholte Story ist, die heute überhaupt nicht mehr funktioniert, anders als irgendwelche veralteten Opernstoffe, wo man sich heute denkt: „Das ist ja falsch.“ Die zwischenmenschlichen Geschichten, die sich da abspielen sind super aktuell und nachvollziehbar, eben auch in unserer Fassung. So wie die Dialoge geschrieben sind, fällt mir das überhaupt nicht schwer, den Text zu sprechen, weil das sehr authentisch ist. Da spielt die Zeit aus der „Die lustige Witwe“ stammt eine nicht so große Rolle.

     

    Wie würden Sie Menschen, die den ersten Schritt in eine Oper oder Operette erst wagen müssen davon überzeugen, dass eine Komödie auch mit einer Dauer von über zwei Stunden unterhalten kann?

     

    Erstmal haben wir da in der Witwe die Musik, die nicht zu verachten ist. Sich diese Musik  anzuhören und zu genießen, ist, denke ich, definitiv lohnenswert. Die Witwe ist auch nicht nur eine Komödie - sie ist nicht nur witzig und seicht, überhaupt nicht. Bis sich die Geschichte entfalten kann und sich alles findet, dauert das halt, aber man kriegt ja was geboten in der Zwischenzeit. Ein guter Film dauert ja auch länger als eine halbe Stunde.

    Die Operette hat Handlung und Musik, die gesungen und gespielt werden müssen und gehört werden wollen. Ich denke, für Leute, die noch nie in der Oper oder in der Operette waren, ist „Die lustige Witwe“ ein sehr guter Einstieg, weil sie spannend ist und sehr nah am Menschen.

     

    Woran würden Sie diese Nähe zum Menschen festmachen? Ist das etwas an der Handlung oder am Text selbst? Ist das, wie die Figuren geschrieben sind oder wie sie agieren?

     

    Bei der Handlung selbst kann man auch sagen, dass sie vielleicht ein bisschen abstrus ist, mag sein. Aber wie die Figuren geschrieben sind undbesonders wie unsere Regisseurin sie in ihrer Textfassung bearbeitet hat, da kann man sich sehr leicht selbst wiederfinden. Menschen, die Problemehaben offen und direkt miteinander zu kommunizieren und sich nicht wirklich sagen, was sie fühlen, sondern darum herum reden. Das ist sehr realistisch, darin kann ich mich sehr gut selbst erkennen. Wenn man das eine sagt, aber das andere meint oder etwas Spezielles von seinem Gegenüber hören will, das aber nicht gesagt wird, ich denke, das kennen viele Leute auch.

  • Für die Operette „Die lustige Witwe" von Franz Lehár  (Libretto von Victor Léon und Leo Stein, in einer Fassung von Regisseurin Susanne Lietzow) sind bei der Premiere morgen Abend, 20 Uhr, noch Plätze verfügbar. Weitere Aufführungen folgen nach dem Feiertag, von Dienstag 21. bis Sonntag 26. Mai. Beginn der Aufführungen ist  jeweils um 20 Uhr (mit Ausnahme der Sonntagsaufführung um 18 Uhr). Am Mittwoch den 22. Mai wird ab 19.15 Uhr eine Stückeinführung angeboten. Tickets und weitere Infos finden Sie online.