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Geschichten aus der Wiener Utopie

Der Dokumentarfilm „27 Storeys – Alterlaa Forever“ erzählt von einem wahren (?) Utopia am Rande von Wien.
27 Storeys 2
Foto: Mischief Films

Im Wohnpark Alterlaa im dreiundzwanzigsten Bezirk in Wien gibt es über dreitausend Türen. Hinter jeder wartet eine Geschichte. Eine, die ihre Kindheit dort verbrachte, ist die Filmemacherin Bianca Gleissinger. Sie hat dem Ort an dem sie aufgewachsen ist, nun ein filmisches Denkmal gesetzt. In „27 Storeys“ zeigt sie den Wohnpark so wie er heute ist. Von Architekt Harry Glück in den 1970ern geplant und gebaut, gilt Alterlaa als funktionierende Satellitenstadt. Die Idee dahinter klingt simpel, dennoch war das Projekt anfangs vor allem ein Experiment. Die Menschen sollten nicht einfach nur in Alterlaa wohnen, sie sollten dort ein Zuhause finden, mit allem, was ein Zuhause mitbringt. Ein soziales Umfeld, Beschäftigungsmöglichkeiten, Entspannung. Die Umsetzung kommt diesen hohen Ansprüchen auf den ersten Blick schon recht nahe. Der Wohnpark verfügt neben der besagten dreitausend Unterkünften weitläufige Grünflächen zwischen den drei futuristisch anmutenden Gebäudekomplexen, Geschäfte und Dienstleistungen im Erdgeschoss, zahlreiche Räume in denen Erwachsene und Kinder ihren Hobbys frönen können, und nicht zuletzt die Schwimmbäder auf dem Dach. „Wohnen wie die Reichen – für alle“, lautete das Motto, Kritiker*innen hingegen sprachen von „Pools für die Proleten“. Was wie ein feuchter Traum sozialen Wohnbaus klingt, wurde Realität. Noch heute gibt es den Wohnpark, und das Konzept geht auf – zumindest für die ältere Generation.

 

27 Storeys

Die Filmemacherin Bianca Gleissinger kehrt nach etlichen Jahren zurück an den Ort ihrer Kindheit. Sie besucht die Wohnung, in der sie aufgewachsen war, ehe ihre Eltern ausziehen mussten, gegen den Willen von Bianca, die diesen Ort lieb gewonnen hatte. Man lernte schnell andere Kinder kennen, traf sich mit ihnen auf den Grünflächen und Spielplätzen zwischen den Häuserblöcken, die schlicht A, B und C genannt werden, musste nie weit gehen oder gar suchen, um einen Spielpartner oder eine Spielpartnerin zu finden. Im Grunde ist alles so wie immer, findet Bianca. Ihr sehr persönlicher Streifzug durch den Wohnpark hält sie in diesem Film fest, garniert mit eigenen Gedanken. Kernstück des Films sind aber die zahlreichen Gespräche mit den Bewohner*innen. Es sind vor allem Menschen älterer Generation, die mit leuchtenden Augen vom Glück erzählen, das sie in Alterlaa fanden. Rund dreißig Clubs gibt es, vom Modellbauclub über den Filmclub, Sportschützenclub oder ein kurioses, privat geführtes Freddy-Quinn-Museum – langweilig wird einem hier nicht. Vorausgesetzt, man arrangiert sich mit dem gemächlichen Tempo, dem Stillstand, der hier herrscht, der Gleichförmigkeit des Alltags. Was denken die Jüngeren darüber, denn sie findet man durchaus auch hier vor, wenngleich in wesentlich geringerer Anzahl, das Bild ist stark von Älteren geprägt, weshalb Alterlaa manchmal spöttisch als das größte Altersheim Österreichs bezeichnet wird. Die Jungen, die im Film zu Wort kommen, schätzen manches, das der Wohnpark ihnen bietet, etwa die nahen Einkaufsmöglichkeiten, und natürlich den Pool am Dach. Einem Club würden sie aber nicht beitreten, deren Mitglieder sind ihnen zu alt. Ihre Freizeit verbringen die Jüngeren dann doch lieber im Großstadtdschungel, der nur wenige U-Bahnstationen entfernt auf sie wartet. Damit widersprechen sie der ursprünglichen Vision Harry Glücks, den Wohnpark zu einem vollumfänglichen Zuhause zu machen, einer Blase, aus der man nie ausbrechen möchte, weil es alles dort gibt. Die Zeiten haben sich aber verändert, genauso wie die Ansprüche der Jungen, die nachkommen. Der Wohnpark hingegen ist derselbe wie vor vierzig Jahren. Er geht nicht mit der Zeit, wird bald klar – was geschieht, wenn die Alten irgendwann nicht mehr leben, ist fraglich. Sicherlich wird mit ihnen ein Teil von Glücks Vision sterben, nämlich der Wille, sich von der Welt abzuwenden, und das persönliche Glück in einem Kokon zu finden. Über den Tellerrand zu blicken, ist wahrlich keine Stärke des Wohnparks und ihrer Bewohner*innen, das zeigt auch so manches Gespräch mit ihnen.

 

Der Lageplan des Wohnparks Alterlaa
Der Lageplan des Wohnparks Alterlaa.

 

Bianca Gleissinger führt charmant durch ihren Film, der sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vielmehr ist es der persönliche Blick, der hier besticht. Mit typischem Wiener Schmäh begegnet ihr so mache skurrile Gestalt, wie aus einem Paralleluniversum. Nichts anderes ist der Wohnpark Alterlaa, im Grunde eine Utopie, dessen Existenz für manche unglaublich erscheint – etwa für die Redaktion des New York Times Magazines, das jüngst eine Reportage über den Wiener Sozialbau veröffentlichte. Das Titelbild: Alterlaa. Aus Sicht der USA ist der Wohnpark wahrlich eine Utopie.

 

27 STOREYS - ALTERLAA FOREVER - Trailer