Economia | Reform

Wohin steuert die Gerechtigkeit?

Die geplante Steuerreform sieht man beim AFI skeptisch. Man zeigt auf: Das aktuelle Einkommenssteuersystem sorgt für eine Umverteilung im Sinne sozialer Gerechtigkeit.
Steuern
Foto: Pixabay

Nach der politischen Sommerpause will die neue Regierung in Rom ernst machen. Im September will das Kabinett von Ministerpräsident Giuseppe Conte mit dem Bilanzgesetz 2019 sein Konzept für die radikale Steuerreform vorstellen. Eine solche war von Movimento 5 Stelle und Lega im Wahlkampf versprochen worden und sieht als Kernelement die so genannte “Flat Tax” vor: ein fixer Steuersatz von 15 bzw. 20 Prozent auf Einkommen. Schon 2019 soll die Flat Tax von 15 Prozent für Berufstätige mit Mehrwertsteuer-Nummer (partite IVA) und Kleinunternehmen mit Erträgen bis zu 100.000 Euro im Jahr kommen. Die Flat Tax für Familien soll 2020 folgen.

Christine Pichler, Präsidentin des Arbeitsförderungsinstitutes AFI ist skeptisch: “Ob die Reform erstens finanzierbar ist und zweitens zu mehr Steuergerechtigkeit führt als heute, ist stark zu bezweifeln.” Die AFI-Präsidentin verweist auf eine aktuelle Veröffentlichung ihres Instituts, mit der sich belegen lasse, dass das derzeitige System der Einkommensbesteuerung deutlich dazu beitrage, Unterschiede zwischen den Einkommen auszugleichen. “Grund dafür sind nicht nur Steuerabsetz- und -freibeträge, sondern auch die progressiv ausgerichteten Steuersätze”, zeigt Pichler auf – Steuersätze, wie sie durch die Steuerreform der Regierung Conte abgeschafft werden sollen.

 


  • Die Steuerfreibeträge reduzieren die Steuergrundlage. Im Steuerjahr 2016 sind 20,5% der Südtiroler Steuerzahler in den Genuss von Steuerfreibeträgen gekommen, entsprechend einem Gesamtwert von 400.172.131 €, bzw. 4.663 € pro anspruchsberechtigtem Steuerzahler im Schnitt. In den meisten Fällen handelt es sich um Vor- und Fürsorgebeiträge (79,8%). Es folgen Freibeiträge für die Zusatzvorsorge (15,8%) und für die Hauptwohnung (11,0%).
  • Die Steuerabsetzbeträge hingegen reduzieren die Bruttosteuer. Diese Möglichkeit hat beinahe die Gesamtheit der Südtiroler Steuerzahler beansprucht (97,2%), entsprechend einem Gesamtwert von 710.128.592 €, bzw. 1.748 € pro anspruchsberechtigtem Steuerzahler im Schnitt. In 59,0% der Fälle werden Beträge für Einkommen aus lohnabhängiger Arbeit, Rente und gleichgestellte Einkommen abgesetzt. Es folgen Absetzbeträge für Familienlasten (14,6%) und Sanierungsarbeiten (12,2%), aber auch Sanitätsspesen, Bildungs- und Begräbniskosten.
  • Aufgrund der Steuerprogression – d.h. mit dem Einkommen progressiv ansteigende Hebesätze – reicht der durchschnittliche Steuersatz von 3,0% für die Einkommensstufe von 5.000 € bis 10.000 € brutto im Jahr bis auf 40,4% für Einkommen über 300.000 €. Im Schnitt beträgt der Steuersatz für die Südtiroler Steuerzahler 21,1%.
    (Infos: AFI)

     

Dabei wirkt der Umverteilungshebel im aktuellen italienischen Steuersystem stark, unterstreicht man beim AFI. “Es kann ruhig behauptet werden, dass das italienische Steuersystem imstande ist, den Reichtum unter den Steuerzahlern im Sinne größerer sozialer Gerechtigkeit umzuverteilen”, heißt es im Fazit der heute (20. August) erschienenen Untersuchung der Einkommensungleichheiten in Südtirol. Als Beleg dafür haben die AFI-Mitarbeiter die Einkommenssteuerdaten der 417.998 Südtiroler Steuerzahler unter die Lupe genommen. Konkret wurde der Gini-Koeffizient berechnet – einmal auf das Bruttoeinkommen (vor Abzug der Steuern) und einmal auf das Nettoeinkommen. Der Gini-Koeffizient misst die Ungleichheit einer Verteilung zwischen Null (alle haben gleich viel) und Eins (einer hat alles). “Wir kommen in unserer Studie auf einen Gini-Index von 0,465 berechnet auf das Bruttoeinkommen und von 0,405 auf das Nettoeinkommen”, erklärt AFI-Direktor Stefan Perini. “Ein klarer Beleg dafür, dass das italienische Einkommenssteuersystem ausgleichend wirkt.”

 

Und noch etwas hat man beim AFI festgestellt: Zwischen 2011 und 2016 ist eine leichte Tendenz in Richtung Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit zu erkennen. Unter anderem “ein Ergebnis der Wirkung von Steuerfreibeträgen, Absetzbeträgen und der progressiven Besteuerung”, so Perini.

Die Steuerreform der neuen Regierung – für Christine Pichler “eine Reise ins Ungewisse”. Zumindest beim AFI geht man davon aus, dass das derzeitige Steuersystem “völlig auf den Kopf” gestellt werden dürfte.