Società | Rückblick

Mahnende Erinnerung

Verstaubte Geschichtsbilder werden nach und nach aufgebrochen. Wie steht es um die Erinnerungskultur in Südtirol? Hannes Obermair und Elmar Thaler diskutieren.
Erinnerungskultur
Foto: Salto.bz

Stolz und Verachtung. Die Emotionen, die bei Hannes Obermair und Elmar Thaler hochkommen, wenn sie an das Siegesdenkmal in Bozen denken, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine ist Historiker und hat maßgeblich zur Historisierung des Denkmals beigetragen. Der andere ist Landeskommandant der Südtiroler Schützen und gegen den Faschistentempel aufmarschiert. Der eine ist fest überzeugt, ein Denkmal, dem zuvor ein Status verliehen worden sei, das es nicht verdient habe, in ein Mahnmal, das “als Zeuge gegen sich selbst auftritt”, verwandelt zu haben. Dem anderen kommt beim Gedanken an die Arbeit der Historikerkommission, das Dokumentationszentrum unter dem Siegesdenkmal und den “Nasenring” am Bauwerk selbst nur ein Wort in den Sinn: “Wischiwaschi.”

Beide sitzen an diesem vorweihnachtlichen Abend im Meraner Ost West Club. Mit Moderator Markus Lobis wollen Obermair und Thaler über Erinnerungskultur, den Umgang mit belasteten Zeiten und Symbolen sprechen. Und darüber, ob sich die Zeiten, spät aber doch, inzwischen geändert haben.
An Provokationen fehlt es nicht, die Samthandschuhe haben beide nicht angezogen. Ob Thaler Obermair unterstelle, ein Faschist zu sein, fragt der Moderator irgendwann. Nein, aber der Historiker verteidige die faschistischen Relikte mit denselben Argumenten, antwortet Thaler. Der sich wiederum von Obermair anhören muss, dass die “Heilige Allianz der Rechten” in Südtirol nur die Sprache trenne. “Ihre Grundirritation werden beide nicht los.”

Es ist verzwickt, das merkt das Publikum von Anfang an. Man spürt, dass die “unglaubliche Verspätung”, mit der die Aufarbeitung der Nachkriegszeit in Südtirol begonnen hat, wie Obermair hervorhebt, “die Lebenslüge des Systems Südtirol nach 1945”, wenngleich keine offenen Wunden, zumindest Narben hinterlassen hat. Juckende Narben. Anders ist wohl kaum zu erklären, dass sich der Landeskommandant des Schützenbundes auch im Dezember 2017, drei Jahre nach Abschluss der Arbeiten am Siegesdenkmal und wenige Monate nach der Enthüllung des Hannah-Arendt-Zitats am Piffrader-Relief, immer noch vorstellen kann, für die Entfernung und Verfrachtung des Siegesdenkmals in ein Museum auf die Straße zu gehen. Mahnmäler sieht er in den entschärften Bauwerken am Sieges- und Gerichtsplatz in Bozen nach wie vor keine. “Warum sollte Mussolini einen Südtiroler mahnen? Kann das Siegesdenkmal einen Südtiroler überhaupt mahnen?” Nein, ist die Antwort, die sich Thaler selbst gibt. Ergo: Weg damit. Ansonsten wäre es als ob man “einem Polen ein Hakenkreuz hinstellt und sagt, es solle ihn mahnen”.

Fassungslosigkeit bei Hannes Obermair. “Das Denken, Geschichte geht nur eine Sprachgruppe an, ist mir zuwider.” Ebenso die Opferrolle und die als bedroht stigmatisierte deutsche Volksgruppe, deretwegen für lange Zeit ein Mantel des Schweigens über die Tätergeschichte der Südtiroler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelegt worden sei. Wie es auch in den Reihen der Schützen passiert sei. Eine “eklatante Lücke” klaffe in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte, wirft Obermair Thaler vor. Dieser kontert, dass die Schützenkompanien, die 1943 in voller Breite vom Naziregime reaktiviert wurden, zwar wie Schützen ausgesehen haben, aber “nichts mit dem Schützenwesen und dem Schützenbund, der erst 1958 gegründet wurde, zu tun” gehabt hätten. Tatsächlich? Obermair hilft der Erinnerung auf die Sprünge, spricht die “problematischen” personellen Kontinuitäten an, die es nach Kriegsende bei den Schützen gegeben hat. “Die sind eine Herausforderung für Sie!”

Eine Herausforderung ist die Diskussion auch für den Moderator an diesem Abend. Inmitten der hitzigen Wortgefechte springt das Publikum zur Seite. Der Effekt des Ringes mit roter Leuchtschrift an einer der Säulen am Siegesdenkmal wird überschätzt, wie Elmar Thaler behauptet? Wie groß die Wirkung eines kleinen Eingriffs manchmal sein kann, veranschaulicht einer der anwesenden Zuhörer so: “Stellen Sie sich vor, in der grün-weißen Schützenfahne wird ein weißes Eck rot eingefärbt. Das würde doch auch stören. Gleich wie wenn man den Schützen anordnen würde, ab morgen mit einer roten Nase zu marschieren.”

Doch der Schützenkommandant kennt kein Erbarmen. Der “Nasenring” sei “keine rote Nase”, er störe höchstens wie “ein Tattoo am Allerwertesten”. Ab ins Museum mit dem Siegesdenkmal! Tja, und dann? Hannes Obermair wagt eine Prophezeiung. An Thaler gewandt meint der Historiker: “Wenn Sie die faschistischen Denkmäler nicht hätten, wären Sie doch todunglücklich. Es bliebe Ihnen nichts, jetzt wo Sie den Doppelpass auch noch bekommen.”
Faschisten lachen die historisierten Monumente höhnisch ins Gesicht, den Schützen liefern sie eine Existenzberechtigung. Und wie gehen die restlichen Menschen im Land damit um?