Bauland bebauen statt horten!
Gastbeitrag des Architekturzentrum Wien zur aktuellen Ausstellung
Text: Katharina Ritter
Ziel der Raumplanung sind eine flächensparende Siedlungsentwicklung, eine optimale Nutzung der Infrastruktur und der Erhalt von noch unverbauter Landschaft. Doch wenn jene Flächen, die eigentlich für eine Bebauung vorgesehen waren, nicht oder nur zu überhöhten Preisen am Markt verfügbar sind, kommt es unweigerlich zu Neuwidmungen auf raumplanerisch ungeeigneteren, dafür preislich günstigeren Flächen. Die notwendigen Infrastrukturanlagen (Straßen, Wasser, Strom) sind mit hohen Herstellungs- und Erhaltungskosten für die Allgemeinheit verbunden und ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs wird oft unrentabel.
Die Politik behandelt den Boden wie Joghurt» Jacqueline Badran
Bauland wird aus mehreren Gründen „gehortet“: Es wird für die Nachkommen behalten; Bauträger*innen erwerben günstig Flächen für spätere Projekte; die Widmung erfolgt aus planerischen Überlegungen, der Eigentümer will aber die derzeitige Nutzung beibehalten; der Eigentümer hofft auf Änderungen der Bebauungsvorschriften oder hat zu hohe Preisvorstellungen; und selbstverständlich auch aus rein spekulativen Gründen. Unter Baulandmobilisierung werden all jene Instrumente und Maßnahmen subsumiert, die einerseits bebaubare Flächen dem Bodenmarkt und andererseits einer widmungsgemäßen Nutzung zuführen.
Südtirol hat vorgezeigt, dass eine geordnete Siedlungsentwicklung einen gewissen Nutzungszwang erfordert. Der folgende Vergleich zwischen Südtirol und Tirol zeigt den Unterschied zwischen einer in sich abgestimmten Gesamtstrategie und eher dispersen Kompetenzen, zwischen vielen verbindlichen und vielen unverbindlichen Instrumenten, zwischen einer Haltung, die Eingriffe in Eigentumsrechte fördert und einer Haltung, die vor allem auf Rechtssicherheit setzt. Gleichzeitig wird klar, dass es keine Patentlösung gibt.1
Siedlungsentwicklung in Südtirol
Seit 1972 verfügt die Provinz Bozen-Südtirol über einen Autonomiestatus, der ihr in Angelegenheiten der Raumplanung, des geförderten Wohnbaus, der Landwirtschaft und des Landschaftsschutzes die primäre Gesetzgebungskompetenz überträgt. Im Gegensatz zu vielen anderen alpinen Regionen hat Südtirol sehr früh damit begonnen, der Zersiedelung und der Baulandhortung gegenzusteuern und ein durchgehend aufeinander abgestimmtes Planungssystem zu installieren.
Seit 1975 regelt der Bauleitplan2 die Ausweisung von Baugebieten in den Gemeinden. Die Ermittlung der nötigen Flächen richtet sich nach Zehnjahresprognosen, die Regeln für die Ermittlung gibt der Raumordnungsplan der Provinz vor. Dabei sind Baulandreserven im Siedlungsgebiet auszuweisen und Mindestdichten vorgeschrieben. Das sogenannte „Durchführungsprogramm“ ist ein Zeitplan für die Realisierung der Erschließung und Bebauung. Baubewilligungen können nur für Flächen erteilt werden, die Bestandteil des Durchführungsprogrammes sind. Wird ein Durchführungsplan3 von den Grundeigentümer*innen beantragt, müssen 60 % der projektierten Baumasse dem geförderten Wohnbau abgetreten werden. Für diesen Teil bekommen die Eigentümer*innen nur die Hälfte des Marktpreises bezahlt. Verzichten die Grundeigentümer*innen auf die Beantragung einer Baubewilligung für die ihnen verbleibende Fläche, kann die Gemeinde auch diesen Teil enteignen. Südtirol verfügt über ein eigenes Landesgesetz, das die Enteignung für gemeinnützige Zwecke regelt. Zweckgewidmete Flächen mit Gemeinnützigkeitserklärung können enteignet werden, wobei der geförderte Wohnbau vom Land Südtirol finanziert wird. Im Rahmen des Durchführungsplans kommt es auch zu Baulandumlegungen und Erschließungskosten werden bereits zum Zeitpunkt der Erteilung der Baubewilligung eingehoben.
Als effektives fiskalisches Instrument gegen das Horten von Bauland trägt der Umstand bei, dass die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung von Bauland der Marktwert ist und nicht wie in Österreich der Einheitswert.4
Doch trotz vielversprechender gesetzlicher Grundlagen und einer durchaus konsequenten Anwendungspraxis konnte Südtirol den Prozess der Zersiedelung nicht stoppen. Bevölkerungswachstum, kleiner werdende Haushaltsgrößen und enormer Wirtschaftsaufschwung haben nicht nur zu einer starken Verdichtung der ursprünglich locker bebauten Ortsteile geführt, sondern auch zu einer – zumindest – Verdoppelung der Siedlungsfläche in allen Gemeinden.5 Mit dem neuen Landesgesetz Raumplanung und Landschaft, das am 1. Juli 2020 in Kraft trat, will Südtirol eine Trendwende einleiten.6 Die Zusammenführung der Gesetze für Raumplanung und für Landschaft mit doch unterschiedlichen Zielsetzungen ist dabei ein spannender Ansatz. Künftig sind verbindliche Gemeindeentwicklungsprogramme zu erstellen und Siedlungsgebiete festzulegen. Innerhalb dieser Grenzen entscheidet nun – weitgehend autonom – die Gemeinde, außerhalb weiterhin das Land. Neues Bauland muss an bestehendes angrenzen. Auch die vorgeschriebene Mindestdichte erschwert die Realisierung frei stehender Einfamilienhäuser. Bauen außerhalb der Siedlungsgrenzen soll nur in klar definierten Ausnahmefällen möglich sein. Gänzlich neu ist das Instrument der Preisdeckelung im geförderten Wohnbau. Gemeinden können Bauland ausweisen und dabei festhalten, dass ein Teil des entstehenden Wohnraums zu festgelegten Preisen verkauft oder vermietet werden muss.7
Ob das neue Landesgesetz hält, was es verspricht, wird auch in diesem Fall von den Personen abhängen, die es anwenden. Wenn beispielsweise in Artikel 17 steht: „Bodenverbrauch außerhalb des Siedlungsgebietes […] darf nur dann zugelassen werden, wenn er notwendig ist und es dazu keine wirtschaftlich und ökologisch vernünftigen Alternativen durch Wiederverwendung, Wiedergewinnung, Anpassung oder Vervollständigung bestehender Siedlungen gibt […]“, lässt dies doch Interpretationsspielraum für findige Bauwillige.
Siedlungsentwicklung in Tirol
Noch bis Anfang der 1990er-Jahre wurden von Tiroler Gemeinden große Flächen Bauland auf Vorrat gewidmet und in Folge vom Land als Aufsichtsbehörde genehmigt. Ausreichend Bauland sollte die Preise senken und für lange Zeit die Siedlungsentwicklung prägen. Doch nur ein Teil davon stand dem Bodenmarkt wirklich zur Verfügung – mit den oben beschriebenen Folgen.
1994 begann die Landesregierung Tirol mit neuen Instrumenten auf die Situation zu reagieren. Mit Einführung des Örtlichen Raumordnungskonzeptes als zusätzliches Instrument müssen die Gemeinden seither die räumliche Entwicklung für einen Planungszeitraum von zehn Jahren verbindlich festlegen. Die Anwendungspraxis erwies sich jedoch als mangelhaft. Jene für eine kurzfristige Bebauung vorgesehenen Grundflächen verblieben im Bauland, wogegen die erst für eine spätere Bebauung vorgesehenen Flächen wiederum als Freiland gewidmet blieben – im Einvernehmen mit den Eigentümer*innen, denen durch die Zeitzonenfestlegung eine spätere Umwidmung ihrer Grundstücke gleichsam garantiert war.8 Als weiteres Instrument wurden Vorbehaltsflächen für u. a. geförderten Wohnbau eingeführt, die die Gemeinden in den Flächenwidmungsplänen ausweisen können. Allerdings wurde das Instrument bislang in nur 60 von insgesamt 279 Gemeinden (mit einer durchschnittlichen Fläche von 633 m2) angewandt.9 Die Möglichkeit, mithilfe privatrechtlicher Verträge eine widmungsgemäße und zeitnahe Nutzung zu erwirken, fällt zeitlich auch in diese Periode. Die Vertragsraumordnung kann zumindest seit ihrer rechtlichen Absicherung ein effektives Instrument zur Baulandmobilisierung bei Neuwidmungen darstellen, sofern Sanktionen bei Nichtbefolgung auch tatsächlich gesetzt werden.10 Mit der Gründung des Tiroler Bodenbeschaffungsfonds 1994 wird eine aktive Bodenpolitik der Gemeinden unterstützt.11 Der Fonds kauft Grundstücke (zu ca. zwei Dritteln des Verkehrswertes) und gibt sie auf Vorschlag der Gemeinde für Zwecke des geförderten Wohnbaus und für Betriebsansiedlungen zum Selbstkostenpreis weiter.
Die kurze Übersicht macht deutlich, dass insbesondere Instrumente, die Eingriffsmöglichkeiten in die Ausübung bestehender Eigentumsrechte vorsehen, nur sehr zaghaft angewandt wurden. Sie sind in hohem Ausmaß vom Willen und der Durchsetzungsfähigkeit des Gemeinderates abhängig. Das Tiroler Raumordnungsgesetz wurde seit den 1990er-Jahren mehrfach novelliert und zahlreiche weitere Maßnahmen geschaffen, um bei Neuwidmungen eine tatsächliche Nutzung zu erreichen.12 Künftige Baulandwidmungen sind auf zehn Jahre befristet, mit der Rechtsfolge des Wiederauflebens der Widmung als Freiland. Das Instrument der Vorbehaltsflächen für den geförderten Wohnbau wurde ein Stück weit verbindlicher.13 Den Gemeinden wird die Möglichkeit eingeräumt, einen vorgezogenen Erschließungsbeitrag auf unbebautes Bauland einzuheben.14 Und zur Verbesserung der Transparenz hat die Landesregierung alle fünf Jahre für jede Gemeinde eine Baulandbilanz zu erstellen, die auch Bauland- und Verdichtungsreserven enthält. Doch eine Mobilisierung von bestehendem Bauland ist weiterhin ein schwieriges Thema und Rückwidmungen oder andere Eingriffsformen weitgehend verpönt. Als der Innsbrucker Bürgermeister Georg Willi 2018 das seit Langem bestehende Instrument der Vorbehaltsflächen in Innsbruck anwenden wollte und 23 infrage kommende Grundstücke identifizierte, ging ein Aufschrei durch die Stadt und es war von Enteignung und „tiefstem kommunistischen Gedankengut“ die Rede.15
Auch wenn der Baulandüberhang in den vergangenen Jahren verringert werden konnte, steigen die Bodenpreise weiter nach oben. Es bleibt daher auch für Tirol abzuwarten, ob die derzeit zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen und insbesondere konsequent angewendet werden.
Zur Ausstellung erscheint der umfassende und reich bebilderte Katalog „Boden für Alle“ mit Essays von: Saskia Sassen, Gerhard Senft, Vandana Shiva, Robert Temel und Gerlind Weber.
Erhältlich im Az W Shop bzw. direkt über [email protected] zu bestellen.
Hrsg.: Karoline Mayer, Katharina Ritter, Angelika Fitz und Architekturzentrum Wien
Verlag: Park Books
Buchgestaltung: Manuel Radde & LWZ; Illustrationen: LWZ