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Gegen ein Tabu

Gewalt an Frauen ist omnipräsent. Am 25.11. will man dafür sensibilisieren, denn die Dunkelziffer der Opfer dürfte deutlich höher sein als die statistischen Daten.

Die Zahlen sprechen eine erschreckend deutlich Sprache: 2014 wurden in Italien 115 Frauen umgebracht – eine jeden dritten Tag. 75 Prozent der Morde finden im eigenen Zuhause statt, in 70 Prozent der Fälle Partner oder Ex-Partner. In Südtirol haben im Laufe des vergangenen Jahres 578 Frauen Hilfe bei einer der vier Kontaktstellen gegen Gewalt gesucht, 124 von ihnen wurden in einer der fünf geschützten Einrichtungen untergebracht. Europäische Statistiken zeigen, dass 12 bis 15 Prozent der Frauen in Europa jeden Tag Opfer häuslicher Gewalt sind. “Gewalt an Frauen ist eine der am weitesten verbreiteten Menschenrechtsverletzungen weltweit”, stellt der Europarat fest, “und muss bekämpft werden”.


Nur eine von zwanzig

Im Juni veröffentlichte das Landesstatistikamt ASTAT detaillierte Zahlen für Südtirol. Doch diese spiegeln nur die Häufigkeit der erfassten Vorfälle, nicht aber die Häufigkeit von Gewalt wider. Beim Land schätzt man, dass sich nur eine von 20 Frauen, die Opfer von Gewalt werden, an eine Kontaktstelle gegen Gewalt wendet. “Rechnet man die Zahlen hoch, käme man auf 14.000 weibliche Gewaltopfer in Südtirol”, so das ASTAT im Juni.

Eine alarmierende Zahl, auf die anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen am 25. November aufmerksam gemacht werden soll. “Jede Frau, die Gewalt erleidet, ist eine zu viel”, bringt es die Meraner Gemeinderätin Josefa Brugger auf den Punkt. Gewalt thematisieren, sichtbar machen, bekämpfen und verhindern – dieses Anliegen haben zahlreiche Initiativen, die von Gemeinden (darunter Meran, Bruneck und Bozen) und Land dieser Tage stattfinden. Und von Informations- und Diskussionsveranstaltungen über Theater- und Filmabende bis hin zu Sensibilisierungskampagnen reichen. Bereits am Sonntag fand in Bozen der 4. Stadtlauf gegen Gewalt an Frauen unter dem Motto “Umarm sie, erstick sie nicht!” Angesprochen sind damit in erster Linie Ehemänner und Lebensgefährten. Denn nicht nur italienweit, sondern auch in Südtirol sind in den häufigsten Fällen von Gewalt an Frauen die Partner, die zu Tätern werden.

Grafik: ASTAT

“Der Kampf gegen die männliche Gewalt an Frauen muss zur Aufgabe der gesamten Gesellschaft werden”, ist die CGIL-AGB-Gewerkschafterin Doriana Pavanello überzeugt. Aus einem klaren Grund: “Es handelt sich hierbei um ein Problem, das die Institutionen und seine Ordnungen und die soziale Struktur als gesamte betrifft. Diese ist hauptsächlich von Männern und auf männlichen Modellen aufgebaut”, kritisiert Pavanello. Auch das Ungleichgewicht in den Kraft- und Machtverhältnissen zwischen Männern und Frauen trage zur Gewalt an Frauen bei, da dieses Ungleichgewicht eine “für selbstverständlich erachtete, natürliche” Unterordnung der Frau mit sich bringe – “auch wenn das öffentlich abgestritten wird”, meint die Gewerkschafterin. “

Gewalt kennt viele unterschiedliche Formen – auch wenn nicht immer blaue Flecken entstehen, bleiben doch meist massive und bleibende Schäden bei den Opfern zurück. Daher gilt es zu sensibilisieren und aktiv dagegen vorzugehen. (Renate Gebhard)


Vielschichtiges Tabu

Die Art der Gewalt, die Frauen erfahren, beschränkt sich nicht nur auf körperliche Gewalt, sondern geht eigentlich immer mit anderen Arten einher. In etwa drei Viertel der Fälle, bei denen sich Frauen an eine Einrichtung gewandt haben, handelt es sich laut ASTAT-Daten um psychisch-physische Gewalt, gefolgt von psychisch-physisch-ökonomischer Gewalt. Weitere Kombinationen umfassen ebenso ökonomische und sexuelle Gewalt. Insbesondere in der letzten Zeit habe ein neues Phänomen einen enormen Zuwachs erfahren: Übergriffe auf Frauen im Internet. Ulrike Oberhammer, Präsidentin des Landesbeirates für Chancengleichheit, verweist auf einen kürzlich von den Vereinten Nationen veröffentlichten Bericht zur Online-Gewalt: 73 Prozent der Internetnutzerinnen haben dabei angegeben, bereits Opfer dieser Gewalt geworden zu sein.

“Gewalt in all ihren Formen darf endlich kein Tabuthema mehr sein”, fordert SVP-Landesfrauenreferentin Renate Gebhard. Auch sie kritisiert, wie Pavanello, die mangelnde Sensibilisierung der Gesellschaft und verlangt: “Gewalt muss zum einen präventiv durch vorbeugende Maßnahmen, aber auch durch Strafen und öffentliche Diskreditierung bekämpft werden.” Darüber hinaus kündigt sie an, in ihrer Eigenschaft als Parlamentsabgeordnete gegen die Entkriminalisierung des Tatbestands der obszönen Handlungen im öffentlichen Raum vorgehen zu wollen.

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gorgias Lun, 11/23/2015 - 19:31

Tut mir leid aber Gewalt gegen Frauen ist kein Tabu, sondern ein Thema das breit in der Öffentlichkeit diskutiert wird.
Was aber ein Tabu ist ist die Gewalt die von Frauen ausgeht und gegen Partner und Kinder geht. Dazu ist die Gewalt von Frauen gegen Männer ein weiteres Tabu das kleingeredet und nicht erns

Lun, 11/23/2015 - 19:31 Collegamento permanente
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Stefan Wedra Mer, 11/25/2015 - 18:17

Dieser Artikel ist Ausdruck einer sexistischen Grundhaltung. Es wird einseitig über Gewalt von Männern gegen Frauen referiert. Anders als im Artikel beschrieben, wird hier in der Öffentlichkeit nichts tabuisiert. Es gibt zum Glück eine Menge von Regelungen, die die vielfältigen Formen von Gewalt gegen Frauen sanktionieren. Zudem gibt es ein engmaschiges Netz von Beratungsstellen, die die Frauen rechtlich und psychologisch unterstützen. Gewalttätige Lebenspartner können einen Platzverweis und ein Umgangsverbot erhalten. Ferner gibt es Frauenhäuser, in die betroffene Frauen umziehen können.

Das wahre Tabu ist doch die Gewalt von Frauen gegen Männer. Männer, die Opfer von Gewalt durch Frauen werden, bringen dies nicht zur Anzeige. Es widerspricht doch dem Selbstbild eines Mannes, zugeben zu müssen, sich von der Frau schlagen zu lassen. Was ist denn das für ein Weichei?

Ich habe selbst eine Situation von sexueller Gewalt als Mann durch eine Frau erfahren. Eine ältere Frau hat mir herzhaft und zielgerichtet zwischen die Beine gegriffen. Man(n) kann das dann so abtun, "nun weisst Du, wie es den Frauen in solchen Situationen geht". Aber es ist ein Akt sexueller Gewalt gewesen und wäre, in anderer Konstellation zur Anzeige gebracht, umgehend und konsequent verfolgt worden. Aber welche Reaktion erwarten Sie als Mann von den Carabinieri oder der Polizei, wenn sie denen erzählen, mir hat eine etwa 80 Jahre alte "Dame" in den Schritt gegriffen? Machen Sie sich dieses Phantasie und entscheiden Sie als Mann! Genau, Sie lassen es.

Und hier ist erst der Anfang: Es gibt bei Gewalt von Frauen gegen Männer, kein Anzeigeverhalten. Männer haben oftmals gegenüber Frauen eine Aggressionshemmung und stehen somit deren Gewalt hilflos gegenüber. Es gibt eine Männerberatungsstelle in Bozen, aber sind Sie als Autoren des Artikels mal auf die Idee gekommen, dort mal nachzufragen, wie das umgekehrt aussehen könnte? Sehn Sie, Sie sind hier einfach betriebsblind. Es gibt kein Analogon zu Frauenhäusern. Männliche Gewaltopfer, die ausziehen müssen, sind auf sich selbst gestellt. Einzige öffentliche Institution wäre das Obdachlosenasyl.

Die einseitige Sichtweise und Thematisierung Ihres Artikels - Mann = Täter, Frau = Opfer - zeigt, wie wichtig Gender-Mainstreaming ist, wenn es um eine Gleichbehandlung und Gleichbewertung geht. Die neutrale Formulierung wäre z. B. Gewalt in der Partnerschaft / Ehe / Familie gewesen. Es geht darum, eine geschlechtsneutrale und empirisch fundierte Basis zu finden, um sich dem Phänomen Gewalt in Partnerschaften zu nähern.

Alles andere sind Machtspielchen und die Opferrolle in einem Machtspiel ist eine sehr starke Waffe. Nur für einen Empiriker wird diese immer mehr zum Anlass, kritische Fragen zu stellen, ob die in Südtirol vorherrschenden voremanzipatorischen Wahrnehmungsstrukturen ausreichend sind, dem Thema Genüge zu tun.

Mer, 11/25/2015 - 18:17 Collegamento permanente