Politica | Gastbeitrag

Die Lebenslüge der Euroretter

Wer oder was wird gerettet mit den so genannten Hilfsgeldern für Griechenland? Ein ungemütlicher Gastkommentar von Georg Stoumbos*.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Ich fürchte, man kommt in der Debatte um Griechenland und die Euro-Schuldenkrise nicht weiter und möglichen Lösungen nicht näher, solange man nicht bereit ist, die eine oder andere unangenehme Wahrheit anzuerkennen:  Eine dieser Wahrheiten lautet wohl, dass bei der so genannten Griechenlandrettung es nie in erster Linie um europäische Solidarität und die Rettung der „Griechen“ ging , sondern immer zuallererst  um die Rettung deutscher, französischer und griechischer Banken sowie deren Gläubiger und Anteilseigner!  Mindestens knapp 80% (einige Schätzungen sprechen gar von 90%) der Gelder, die im Rahmen der Rettungspakete an Griechenland geflossen sind, sind an Banken und Finanzinstitute gegangen, die sich auf diese Weise aus ihren dortigen Fehlspekulationen haben herauskaufen können und so drohenden Turbulenzen und  Pleiten entgehen konnten.

Die Kosten dieser sorgsam kaschierten Bankenrettungen wurden anschließend den weniger wohlhabenden Teilen der griechischen Bevölkerung in Form von Verarmung und Massenarbeitslosigkeit auferlegt und die langfristigen finanziellen Risiken dieser Transaktionen den deutschen, italienischen und anderen europäischen Steuerzahlern aufgezwungen. Ein ähnliches Muster wiederholte sich mit kleineren Variationen in Irland und Spanien. Das irische Beispiel ist an Dreistigkeit wohl kaum zu überbieten:  Hier wurde ein Staat mit einer minimalen Schuldenquote wohl gegen seinen Willen von der EZB gezwungen, die geplatzten Spekulationsschulden dreier privater Großbanken zu übernehmen, um die vor allem in Deutschland ansässigen Gläubiger dieser  irischen Banken auszuzahlen und damit vor dem Totalverlust zu bewahren.

Was versteckt sich hinter den Euro-Rettungspaketen?

Doch um die Lebenslüge unserer Eurorettungspolitik besser zu verstehen, muss man anscheinend noch ein wenig weiter zurück: Im Jahr 2008 platzt infolge der US-Subprimekrise die Weltfinanzblase und eine Vielzahl europäischer Finanzinstitute, die sich mit hochriskanten Spekulationsgeschäften in den USA verzockt hatten, riskieren die Abwicklung. Statt dies aber zum Anlass zu nehmen für eine Neuordnung und Restrukturierung der europäischen Banken- und Finanzwelt , was auch Pleiten und Schließungen im großen Umfang eingeschlossen und die milliardenschweren Anteilseigner und Gläubiger der Banken zur Kasse gebeten hätte, entscheidet sich die Politik in Berlin, Paris und anderswo für eine bedingungslose Rettung dieser Banken, und dies gegen den Widerwillen der eigenen Bevölkerung und mit hunderten Milliarden an neuen Staatsschulden.

So weit, so schlecht, aber anschließend  war auch klar: erneute Bankenrettungen waren politisch -  vor allem in Deutschland -  in dieser Form nicht mehr durchsetzbar. Als dann ab 2010 dummerweise auch in Spanien, Irland und in anderen Ländern Immobilienblasen platzten und ein hoffnungslos überschuldeter Staat  wie Griechenland zahlungsunfähig wurde, gerieten die europäischen Finanzhäuser erneut ins Schlingern und es musste irgendetwas her, in dem zwar steuerfinanzierte Bankenrettung drin war, nicht aber das Unwort „Bankenrettung“ draufstand. Und flugs waren „die Euro-Rettungspakete“ geboren! 

Europa hat kein griechisches Problem

Griechenland war pleite und Griechenland ist pleite – und es spricht für die Redlichkeit des heutigen griechischen Finanzministers Jannis Varoufakis, bereits 2010 auf diesen Umstand schonungslos hingewiesen zu haben und sowohl der damaligen griechischen Regierung  die Ablehnung des Rettungspakets und den Schritt in die Zahlungsunfähigkeit nahegelegt zu haben, als auch die europäischen Steuerzahler vor dieser Form von Konkursverschleppung gewarnt zu haben.  Und die fortwährenden Sparprogramme der letzten Jahre haben das Land offensichtlich nicht zahlungsfähiger gemacht, sondern eher noch zahlungsunfähiger. Und hieran sind beileibe nicht nur „die Griechen“ schuld! 

Aber das gehört dann wieder zu den Wahrheiten, die man sich als braver Europäer lieber nicht eingestehen möchte. Doch Europa hat letztlich kein griechisches Problem – auch wenn man mitunter den Verdacht nicht ganz los wird, dass das Thema Griechenland nur allzu gern medial genutzt wird, um ganz elegant Fragen nach dem wirklichen Ausmaß und den eigentlichen Ursachen der europäischen Finanzkrise aus dem Weg gehen zu können. Europa hat ein europäisches Problem!  

Wir wollen mehr sein als ein Europa der "winner" und "loser"!

Solange Profiteure und Verursacher von Finanzblasen und -krisen ungeschoren davon kommen, während europaweit mittels Austeritäts- und „Reform“-Politik die kleinen Leute durch Arbeitsplatzverlust und Lohnverzicht zur Kasse gebeten werden, ist nicht nur das Ende des „demokratischen Kapitalismus“ (siehe hierzu die vorzügliche Analyse des bundesdeutschen Soziologen  Wolfgang Streeck in: Gekaufte Zeit) programmiert, sondern langfristig auch das Projekt eines vereinten und friedlichen Europas. Wenn es nicht gelingt, der fortschreitenden sozialen und wirtschaftlichen Spaltung des Kontinents Einhalt zu gebieten, sowie einer kalten Markt-Logik entgegenzutreten, die Menschen, Bevölkerungsgruppen und Völker nur noch zynisch in „winner“ und „loser“ einteilt, riskiert man am Ende mehr als nur den Verlust eines gemeinsamen Zahlungsmittels. 

* Interessant sind die Kommentare unserer UserInnen fast immer. Doch manchmal sind sie so interessant und umfassend, dass sich daraus  neue Beiträge ergeben. So geschehen mit diesem Kommentar von Georg Stoumbos zu Oktavia Bruggers Beitrag Alptraum Europa, den uns der Autor freundlicherweise als Gastbeitrag veröffentlichen lässt.