Gottfrieds Lebensschmiere
salto.bz: Ihr 70. Geburtstag fällt in die Faschingszeit. Welche Unsinnigkeiten haben Sie in Ihrem Leben gemacht?
Gottfried Solderer: Da muss ich zunächst sagen, ich bin ja – komischerweise – an einem Faschingsdienstag geboren und nicht am Aschermittwoch. Mir war das erst viel später bewusst, als ich in meiner Biografie gekramt habe, auf den Kalender schaute und das bemerkte. Meine Geburt verbindet leider auch die tragische Geschichte meiner Mamma, die 28 Tage nach meiner Geburt verstorben ist. Wir waren sieben Geschwister, dann sechs, nachdem einem Bruder bei einer kleinen Operation zu viel Betäubungsmittel verabreicht wurde und er nicht mehr aufwachte. Heute sind wir noch vier.
Wie ist Ihr Vater mit dieser Familiensituation umgegangen?
Er hat ein zweites Mal geheiratet und das war dann für alle nicht einfach, für uns und auch die neue Mamma. Unser Nachbar hat sogar meinen Vater gefragt, ob er mich adoptieren dürfe. Er war kinderlos und hatte den größten Hof in St. Peter Lajen.
Dann wären Sie vielleicht Bauernbundobmann geworden…
Ich wäre der Großbauer von St. Peter Lajen geworden. Nun wohne ich seit vielen Jahren in Bozen, in den Semirurali, wie man so schön auf Deutsch sagt. Dort habe ich einen Garten, einen Teich, mittlerweile auch Bienen.
Wo haben Sie Ihre ersten Artikel veröffentlicht?
Ich habe das Johanneum in Dorf Tirol besucht und betreute die Schülerzeitung. Das war schon eine interessante Erfahrung – auch für die Lehrer. Damals habe ich einmal einen harmlosen Artikel über das amerikanische Wahlsystem veröffentlicht der für Aufregung sorgte. Mit dem gleichen Thema hab ich mich Jahre später bei der Journalistenprüfung in Rom auseinandergesetzt.
Wie beurteilen Sie das Wahlsystem der USA aus heutiger Sicht?
Ich habe nie verstanden, warum die amerikanische Verfassung so kompliziert sein muss, insbesondere das Wahlsystem. Die selbsternannten Oberdemokraten waren nie imstande ein Wahlsystem einzurichten, welches für alle verständlich ist.
Medien und Politik haben Sie schon immer fasziniert?
Mit 18 Jahren habe ich mich mit dem Sechstagekrieg in Israel beschäftigt und war überzeugt, sofort ein Buch zu diesem Thema herausgeben zu müssen. Ich holte mir für das Buchprojekt bei verschiedenen Zeitungen die Abdruckrechte diverser Artikel. Mein Bruder gab mir Geld für eine Schreibmaschine. Ich schrieb und fuhr mit den ersten 20 Seiten des Manuskripts zum Oldenbourg Verlag nach München, einem Schulbuchverlag. Der Verlagsleiter war zwar sehr nett, machte mir aber klar, dass er das Buch nicht machen könne. Er empfahl mich weiter, an den Verlag der Süddeutschen Zeitung. Ich hatte aber nur einen kurzen Aufenthalt in München geplant und musste zurück nach Südtirol, zur Heuarbeit.
und dann kommst du mit einem hohen Anspruch in eine Lokalredaktion und musst über beinahe jeden Beinbruch einen Bericht schreiben, das hat mich schon gestört. Aber es hat geheißen: Das interessiert die Leute.
Als junger Weltverbesserer sind Sie dann später zum Studium nach Salzburg…
Da muss ich protestieren, das Weltverbesserer-Syndrom habe ich nicht. Ich bin der Meinung, man muss was machen, man soll was machen, aber nicht im missionarischen Sinn.
In Salzburg war ich Verbindungsmann der Außenstelle der Südtiroler Hochschülerschaft, später Pressereferent im gesamten Studentenverein. Ich veranstaltete unter anderem einen sehr einprägsamen Diskussionsabend mit dem Schützenbund. Die Frage des Abends war: Hat der Schützenbund noch eine Berechtigung? Wir waren 30 Studenten und 300 Schützen im Saal – die Stimmung war aufgeladen und aggressiv. Ich forderte die Auflösung des Schützenbundes. Daraufhin bekam ich für einen bestimmten Zeitraum sogar Polizeischutz.
Ganz anders war Ihr Verhältnis zur Polizei bei einer politischen Protestveranstaltung in Salzburg…
Im Mai 1972 kam es zum Treffen zwischen Breschnew und Nixon. Wir wussten dass Nixon in Salzburg zwischenlanden wollte. Es gab eine Großdemonstration mit 3000 Menschen. Im kleineren Kreise sind wir, rund 200 Personen, auf das Flugfeld, legten uns hin, bis uns die Polizei aus dem Gelände prügelte. Mit einer kleinen Gruppe bin ich noch am frühen Morgen zum Salzburger Hof, wo der amerikanische Außenminister Rogers übernachtete, um die amerikanische Flagge vor dem Hotel anzuzünden. Wir haben durch unseren Protest das Kippen des Vietnamkrieges irgendwie miteingeleitet, jedenfalls hatten wir das Gefühl etwas erreicht zu haben.
Kein Weltverbesserer also, sondern ein Revoluzzer...
Das war erst der Anfang. Ich hatte gute Kontakte zu Alexander Langer und wir erachteten die Südtiroler Hochschülerschaft in vielen Dingen als langweilig. Mit rund 100 Leuten sind wir aus der Südtiroler Hochschülerschaft ausgetreten und wollten neue Basisgruppen gründen, an den Orten, wo es Außenstellen der Hochschülerschaft gab.
Wie erfolgreich war dieses umstürzlerische Unterfangen?
Hätte man die Kommunikationsmittel von heute, wäre das alles viel einfacher gewesen. Wir Studenten waren nur in sehr geringem Kontakt zu anderen Studenten. Man hatte sich wenige Male im Jahr getroffen, sonst kommunizierte man mit Briefen. Dementsprechend war unser Erfolg mit den neuen Basisgruppen eher dürftig.
Sie kamen in den 1970er Jahren zum Hörfunk des „Sender Bozen“…
Zuvor war ich noch in München, trat – zum einzigen Mal in meinem Leben – einer Partei bei, der SPD. Ich wollte eine Dissertation über die Jungsozialisten und ihre Kommunikationsmöglichkeiten schreiben, aber mein Professor wollte das nicht. Zeitgleich kam ein Arbeitsangebot aus Bozen, von der Rai. Meine Abschlussarbeit an der Uni habe ich einige Jahre später über die Rundfunkgeschichte in Südtirol geschrieben.
Wie war die Arbeit beim Hörfunk damals?
Der Anfang war schon sehr schwer. Wenn du vom Publizistikstudium kommst, auch die Akademie für Publizistik in Hamburg besucht hast – unter anderem bei Professor Hellmuth Karasek, mit dem ich immer befreundet geblieben bin – und dann kommst du mit einem hohen Anspruch in eine Lokalredaktion und musst über beinahe jeden Beinbruch einen Bericht schreiben, das hat mich schon gestört. Aber es hat geheißen: Das interessiert die Leute.
Zuerst geht er groß protestieren und dann macht er so ein Schmuseblatt.
Was hat Sie interessiert?
Mich hat Landtagsberichterstattung interessiert. Ich war der Initiator von Direktschaltungen aus dem Landtag, ausgestattet mit einem Aufnahmemikrofon und meinem eigenen Radiogerät, das ich von zuhause mitnahm, um die Fragen aus dem Radio zu hören.
Auch filmisch haben Sie eine dokumentarische Pionierleistung vollbracht…
Ich habe 1979 den ersten Film über die Option gemacht. Das war sehr spektakulär, Gerhard Mumelter vermittelte mir beispielsweise ein Interview mit dem faschistischen Präfekten Giuseppe Mastromattei, zudem interviewte ich Claus Gatterer. Er wollte die Aufnahmen auf seinem Balkon in Wien machen, vor seinen Geranien, dem Sinnbild der Dableiber. Er war auch der Grund, weshalb viele Südtiroler Aussiedler kein Interview für den Film geben wollten.
Radioarbeit, Filmdokumentationen… Warum verfolgten Sie Anfang der 1980er Jahre Ihre begonnene Rai-Karriere nicht weiter?
Der Politiker Klaus Dubis fragte mich, ob ich bereit wäre ein neues Printmagazin zu gestalten. Ich hätte zwar für die Rai nach Rom gehen sollen, aber ich suchte Veränderung.
Mit einem lokalen Freizeit- und Fernsehmagazin?
Ich habe das Scheitern alternativer Zeitungsprodukte in diesen Jahren mitverfolgen können. Manche waren Mitteilungsblätter von Parteien oder Gruppierungen und hatten keine Chance sich in der Bevölkerung zu etablieren. Da dachte ich mir, wenn nun die Chance besteht und das Geld da ist, dann muss man mit äußerster Vorsicht vorgehen. Wir haben uns an die Zeitschrift Bunte angelehnt, machten eine Ratgeberseite, eine Kochseite, eine Sportseite. Und eine Cartoon-Seite mit HPD, das war die größte Erfindung überhaupt und sie hat sich bewährt. Zudem haben ich und Dubis vereinbart, zwei Jahre lang keine politischen Artikel zu veröffentlichen.
Wie wurde das Magazin von den Leserinnen und Lesern angenommen?
Viele Kollegen haben mich belächelt und dachten vielleicht: Was macht er jetzt für einen Blödsinn? Zuerst geht er groß protestieren und dann macht er so ein Schmuseblatt. Im Lauf der Zeit brachten wir dann verstärkt aktuellere Sachen und tiefergehenden Journalismus.
...eine gewisse Schmiere braucht es im Leben.
Ein Jahrzehnt später wurden Sie Verleger und gründeten die Edition Raetia. Wer gab dem Kind den Namen?
Der Name stammt von mir. Ich komme ja aus einer Gegend, die direkt an der Sprachgrenze zum Ladinischen liegt. Es lag also nahe den Verlag – der in drei Sprachen publiziert – so zu nennen.
Es herrschte eine gewisse Aufbruchsstimmung damals, es gab viel Potenzial für neue Buchpublikationen, vor allem im Bereich der regionalen Zeitgeschichte.
Trotz Ihres politischen Engagements, waren Sie stets dem Humor sehr verbunden…
Es geht ja nicht ohne. Ich sag mal so, eine gewisse Schmiere braucht es im Leben, damit die Sachen weitergehen. Wichtig waren mir auch immer: gute Mitarbeiter, die Presse und natürlich meine Familie.
Hatten Sie viel Narrenfreiheit in Ihrem Leben?
Die habe ich immer noch und ich kann eigentlich tun und lassen was ich will. Die Freiheit – so heißt es – muss man sich nehmen, man bekommt sie nicht geschenkt.
Ein Bergkristall
Ein Bergkristall
„… er kommt aus kleinhäuslerischen Verhältnissen von einem Bauernhof mit sieben Kindern und vier Kühen“, hat in Salzburg und Hamburg Publizistik und Politische Wissenschaften studiert, die Wochenzeitschrift ff und den Verlag Rätia mitgegründet und strahlt mit seinen 70 Jahren viel Menschlichkeit aus: Gottfried Solderer … Ein Mensch der Hoffnung schenkt !
Der Lebenslauf von Gottfried
Der Lebenslauf von Gottfried Solderer ist voller Diamanten ! Seine Integrität, sein Wissen, sein Humor haben mich immer wieder sehr beeindruckt. Seinen Lieben wünsche ich, dass sie sein Leben als großartiges Geschenk und seinen Abschied als Tor zu neuem Leben erfahren können.