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Trotz Terror: Franziska Zemmer lebt in Istanbul

Seit Jahren lebt die Mutter aus Kurtinig in der Türkei. Um ein Haar ist sie einem Anschlag entkommen, dem jüngsten Putschversuch steht sie sehr besorgt gegenüber.

Franziska Zemmer wollte am 30. Juni um 6 Uhr morgens mit ihrem Mann Cengiz Secilir und ihren zwei Töchtern Lena (vier Jahre) und Melissa (fünfeinhalb Jahre) am Atatürk-Flughafen in Istanbul ihre Urlaubsreise nach Kurtinig antreten. So entkam die Familie knapp dem Terroranschlag, der am 29. Juni gegen 22 Uhr 45 Menschen in den Tod riss. Ganz ruhig erzählt die 41-Jährige im Garten ihrer Eltern in Kurtinig von dem Zufall, der sie und ihre Familie am Leben ließ. Ihre Töchter Lena und Melissa basteln am Gartentisch. Ehemann Cengiz sitzt daneben und ergänzt in perfektem Englisch die Ausführungen seiner Frau. „Wir sprechen Türkisch, Englisch und Südtirolerisch“, sagt die Kurtinigerin und zeigt mir ein Bild von ihrem Heimatort in der Türkei, Büyükçekmece, einem Viertel am westlichen Stadtrand von Istanbul mit 300.000 Einwohnern.


Von Anfang an akzeptiert

Hier lebt sie mit ihrer Familie. In unmittelbarer Nähe wohnt die Familie ihres Mannes. „Ich wurde von Anfang an akzeptiert, auch als wir noch unverheiratet waren, und hatte immer ihre volle Unterstützung“, erzählt Zemmer. Sie hat in Innsbruck Biologie studiert und zudem zwei Masterstudien absolviert. Während eines Studienaufenthaltes in England lernte sie 2001 ihren jetzigen Ehemann kennen. Zwei Jahre trennten sich ihre Wege, bis Franziska Zemmer 2004 beschloss – der Liebe wegen – nach Istanbul zu ziehen. Sie absolvierte eine Ausbildung als Englischlehrerin für Erwachsene, unterrichtete an Privatschulen und seit 2006 als Englischlehrerin an einer privaten Universität in ihrem Wohngebiet. An der Uni koordiniert sie seit eineinhalb Jahren weltweite Projektbeteiligungen zusammen mit nationalen und internationalen Profis.

Ganz selbstverständlich arbeitet Franziska Zemmer mit Menschen verschiedener Kulturen zusammen. Foto: Privat


Arbeit in internationalem Umfeld

„Ich werde von allen respektiert“, bemerkt Zemmer. Selbstbewusst öffnet sie sich selbst neue Türen in einem fremden Land. Die Biologin hat sich für ihr Doktoratsstudium ein neues Thema ausgewählt. „Es gibt in der Türkei kein städt-isches Pollenwarnsystem.“ So hat sich die Forscherin selbst ein Pollenflug-Messgerät aufgestellt, liefert seit 2012 regelmäßig den Pollenbericht über den europäischen Teil Istanbuls und ist dabei auch in Kontakt mit der medizinischen Fakultät. Ihr Mann verkauft im eigenen Geschäft gleich hinter dem Gewürzbazar Zubehör für optische Geräte. 50 Kilometer lang ist der Weg vom Stadtrand  ins Zentrum. „Das sind eineinhalb Stunden Fahrzeit mit den Öffis“, erklärt Zemmer, „das Leben geht weiter, auch nach den Anschlägen“. Sehr erschüttert hat sie der Putschversuch am 15. Juli. Franziska Zemmer hielt sich in dieser Zeit gerade in Lyon auf. „Der Putschversuch kam völlig unerwartet und war unerklärlich für mich. Zu viele Menschen mussten sterben. Und jetzt die Absetzung tausender Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Funktionäre. Das alles ist besorgniserregend.“

Präsident Recept Tayyip Erdogan habe dem Land laut Zemmer auch Gutes gebracht: „Es gibt mehr Grünflächen, der Personennahverkehr wurde verbessert und das Gesundheitswesen reorganisiert. So kann ein Termin beim Arzt per Mausklick vereinbart werden, die Blutproben und eine Arztvisite sind kostenlos. Innerhalb von zwei Stunden kann das Blutbild vom Computer abgerufen werden. Die zweite Visite beim Arzt kostet gerade mal 5 Türkische Lira, das sind knappe zwei Euro.“ Die Heirat mit ihrem moslemischen Mann war kein Problem, sie wurde von einem Iman vollzogen. Es gab keinen Zwang, zum Islam überzutreten. Für die katholische Ehe hätte die junge Frau eine Empfehlung der nächsten christlichen Gemeinde gebraucht, „dann habe ich darauf verzichtet“. Ihre Kinder sind getauft.


Viele Moscheen werden gebaut

Istanbul steht im Zeichen der Islamisierung. „Man erkennt dies daran, dass viele Moscheen gebaut werden. Ich finde, es bräuchte dringender Schulen. Auch sind bestimmte Hotels auf muslimische Klientel zugeschnitten, sodass nur Frauen und Männer getrennt die Saunas und Hamams besuchen könnten." „Das ist die Diskriminierung der liberalen Bevölkerung“, bemerkt die junge Frau kritisch. Gegenüber den syrischen Flüchtlingen herrscht Toleranz. Sie dürfen die staatlichen Schulen besuchen. „Die ausländerfeindliche Stimmung, wie sie in Europa vielerorts zu spüren ist, gibt es hier nicht“, meint Zemmer. So ist beispielsweise an den Universitäten das Tragen des Kopftuches erlaubt, und es gibt ein staatliches, kurdisches Fernsehen. Sie selbst zählt immer noch zu den Ausländern. Ihre italienische Staatsbürgerschaft und ihre Mehrwertsteuernummer hat Franziska Zemmer beibehalten. Zwischendurch arbeitet sie für das Landesamt für Naturparke. Es ist ein zweites Standbein, eine Brücke zu ihrer Heimat, die sie nicht abreißen lassen will.


Dieser Artikel ist in der August-Ausgabe der Zeitschrift Die Weinstraße erschienen.