Politica | St. Christina

Grödner Trauersinfonie

Chorleiter und Organist Claudio Kerschbaumer ist aus Protest gegen die Raumordnungspolitik der Gemeinde St. Christina zurückgetreten. Der Rücktritt schlägt hohe Wellen.

Claudio Kerschbaumer ist einer, der nicht auffallen will. Der 53jährige Grödner ist ein Mann der schönen Künste. Der gelernte Bildhauer und Musiklehrer schloss die Kunstlehranstalt in Wolkenstein ab und absolvierte auch ein Klavierstudium am Konservatorium in Trient.
Damit steht er in der Tradition seiner Vorfahren. Denn die Musik ist in St. Christina und auch darüber hinaus in Gröden unweigerlich mit den Namen der Familie Kerschbaumer verbunden. Großvater Josef Kerschbaumer wurde 1906 Kapellmeister in St. Christina und Vater Richard Kerschbaumer war jahrelang Dirigent und Orchestermitglied des Kirchenchores von St. Christina. Seit über zwei Jahrzehnten steht Claudio Kerschbaumer dem Kirchenchor als Dirigent und Organist vor. Im Chor von St. Christina singen auch Kerschbaumers Frau, seine beiden Söhne und sein Bruder mit.
Neben dem Chor leitet Claudio Kerschbaumer auch noch das Orchester von St. Christina und den Männerchor „Raetia“. Zudem gründete er zusammen mit Gebhard Piccolruaz 1996 das „Ensemble Geherdëina“, einen Chor, in dem Sänger und Sängerinnen aus dem gesamten Grödnertal zusammenfinden und der weit über die Landesgrenzen hinaus Erfolge gefeiert hat.
Doch seit zwei Wochen ist Claudio Kerschbaumers Karriere in St. Christina zu Ende. Der im Dorf überaus geschätzte Chorleiter und Organist ist überraschend aus seinen Ämtern im Heimatdorf zurückgetreten. Unwiderruflich. Seitdem brennt in St. Christina und darüber hinaus der Hut. „Der Fall ist längst auf Landesebene im Sängerbund zum brisanten Thema geworden“, sagt ein Funktionär des Chorverbandes.


Protest gegen die Gemeindeverwaltung

Denn der Rücktritt hat einen konkreten Hintergrund. Claudio Kerschbaumer ist aus Protest gegen die Raumordnungspolitik der Gemeindeverwaltung St. Christina zurückgetreten.
Dabei geht es um einen Fall, über den salto.bz bereits mehrfach berichtet hat: den Bau und die Erweiterung des Smarthotels Saslong. Claudio Kerschbaumers (Eltern-)Haus steht direkt neben dem umstrittenen Neubau.
„Ich und meine Familie leiden seit Jahren unter den Unregelmäßigkeiten und der Vorgangsweise der Gemeindeverwaltung St.Christina“, sagt Claudio Kerschbaumer zu salto.bz. Und weiter: „Man hat alles getan, um einen einzelnen Bürger zu bevorzugen und mehrere Bauvergehen zu sanieren“.


Chorleiter Claudio Kerschbaumer: Rücktritt aus Protest gegen Tourismuszone.

Claudio Kerschbaumer und seine Familie haben mehrere Eingaben und Rekurse gegen den Hotelbau gemacht. Zu den Vorgängen beim Bau und der Erweiterung des Smarthotels Saslong läuft auch ein Ermittlungsverfahren des Bozner Staatsanwaltes Giancarlo Bramante. Ein Gerichtsgutachter hat dabei eine ganze Reihe eklatanter und schwerwiegender Verstöße gegen die Baubestimmungen und Gesetze dokumentiert.
Die Gemeindeverwaltung tut aber so, als sei alles in Ordnung. „Man hat einfach so getan, als würden diese Bauvergehen nicht existieren“, sagt Claudio Kerschbaumer, „gleichzeitig hat man uns Nachbarn massiv einschüchtern wollen.“
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat Ende Dezember die Ausweisung einer Tourismuszone am Smarthotel Saslong im Gemeinderat von St. Christina. Der neue Bürgermeister Moritz Demetz will den eingeschlagenen Weg fortführen und die Bausünden jetzt durch eine weitere Vergrößerung des Hotels sanieren.
Claudio Kerschbaumer ist entrüstet. „Ich habe mich jahrzehntelang ehrenamtlich engagiert und einiges zum kulturellen Leben dieser Gemeinde beigetragen“, sagt er nachdenklich, „und der Dank ist, dass jene belohnt werden, die sich arrogant und präpotent über alle Bestimmungen hinwegsetzen“.


Welle der Solidarität

Claudio Kerschbaumer hat Mitte Jänner 2016 schriftlich seinen Rücktritt als Chorleiter, Dirigent und Organist in St. Christina hinterlegt. Seitdem ist der Fall Dorfgespräch. Eine Welle der Solidarität schwappt dem als überaus korrekt und politisch neutral geltenden Musiker entgegen. In Dutzenden Briefen, Emails und SMS haben viele Kerschbaumer in den vergangenen Tagen ihre volle Solidarität ausgedrückt. Mehrere honorige Mitglieder des Chores verstehen die Gründe für den Schritt und haben sich dem Boykott inzwischen angeschlossen.

Smarthotel Saslong und Kerschbaumer-Haus (rechts hinten): Versuchte Einschüchterung.

Wie sehr der Rücktritt die Kirchengemeinde von St. Christina beschäftigt, wurde spätestens am 17. Jänner 2016 deutlich. An diesem Sonntagabend trifft sich der Kirchenchor von St. Christina im Hotel Monte Pana zu seiner jährlichen Generalversammlung.


Die Rede des Pfarrers

Der Pfarrer von St. Christina, Raimund Perathoner, hält auf der Versammlung die Hauptrede, und er nimmt sich dabei kein Blatt vor den Mund.
Pfarrer Raimund Perathoner sagt:

„Während ich einige Gedanken für diesen Abend hingeschrieben habe, hörte ich zwei Sinfonien von Joseph Haydn: die „Trauersinfonie” und „La passione”. Für uns alle ist es traurig, dass heute unser geschätzter Organist und Chorleiter Claudio fehlt. Wir alle leiden darunter, dass er entschieden hat, seine Dienste für die Gemeinde St. Christina nicht mehr weiter auszuüben. Der Grund dafür ist eine Fehlentscheidung unserer Gemeindeverwaltung.
Seit fast 30 Jahren arbeitet er zum Wohle der Dorfgemeinschaft. Er verdient es deshalb nicht, so schikaniert zu werden. Sondern die Gemeinde sollte ihn eigentlich auszeichnen.
Ich verstehe seine Entscheidung und seine Aussage, „Jetzt habe ich genug“ vollkommen. Deshalb wundert es mich auch nicht, dass viele Leute mich anreden und sich beschweren, dass immer nur den Mächtigen entgegengekommen wird“.

Weil der Pfarrer von St. Christina bereits mehrmals offen seine Meinung kundgetan hat, wurde auf der Gemeinderatssitzung gesagt, der Pfarrer solle sich lieber um die Kirche und deren Probleme kümmern. „Diese Aussage hat mich sehr gekränkt“, sagt Raimund Perathoner an diesem Sonntagabend.
Dann wendet sich das geistliche Oberhaupt in seiner Rede direkt an die Gemeindeverwalter von St. Christina:

„Herr Bürgermeister, Sie sind jetzt für die Konsequenzen dieser Entscheidung verantwortlich. Die Gemeinde sollte aus diesem Grund die Entscheidung zurücknehmen und sich bei Claudio entschuldigen.“

„Die Gemeinde sollte die Entscheidung zurücknehmen und sich bei Claudio entschuldigen.“


Gefährliche Stimme

Dazu ist es bisher nicht gekommen.
Wie angespannt die Stimmung in St. Christina aber ist, hat man längst in ganz Gröden und darüber hinaus mitbekommen. Es besteht die konkrete Angst, dass der Rücktritt und damit der Fall um die Tourismuszone Smarthotel Saslong landesweit politische Wellen schlagen könnten.
Nach Informationen von salto.bz wurden in den vergangenen Tagen hohe ladinische Kulturträger bei Claudio Kerschbaumer vorstellig. Ihr Ansinnen: Der Chorleiter und Dirigent soll seinen Rücktritt zurücknehmen. Außerdem hat sich auch der Obmann des Südtiroler Sängerbundes zu einer Aussprache angemeldet.
Manchmal ist es eine klare, deutliche und überzeugte Stimme, die es schafft, einen ganzen Chor wieder in die richtige Tonlage zurückzuführen. Genau davor scheint man aber am meisten Angst zu haben. Nicht nur in St. Christina.