Cultura | Gastbeitrag

Kultur braucht eine Lobby

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Chefredakteur von "Politik & Kultur" hat für die Zeitschrift Kulturelemente zum Thema Kulturlobby geschrieben.
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  • Als ich vor mehr als 25 Jahren meine Arbeit als Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, des Spitzenverbands der Bundeskulturverbände, aufnahm, war es sehr ungewöhnlich, dass ich klar und deutlich formuliert habe: Kultur braucht eine Lobby und die Zusammenschlüsse aus dem Kulturbereich sind diese Lobby. 
    Unter Lobbyarbeit verstanden zu dem Zeitpunkt viele eine eher im Verborgenen stattfindende Einflussnahme auf Politik und Verwaltung, die möglicherweise auch noch mit Geldflüssen verbunden ist. Lobbyist oder Lobbyistin war und ist heute noch in der Öffentlichkeit eher abwertend gemeint und mit einem gewissen „Geschmäckle“ verbunden. 
    Meines Erachtens ist dies eine vollkommen falsche Vorstellung von Lobbyarbeit und erst recht von Lobbyarbeit für die Kultur.

  • Olaf Zimmermann: Ist seit ihrer Gründung im Dezember 2016 Sprecher der Initiative kulturelle Integration des Deutschen Kulturrates, die sich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das soziale Miteinander engagiert. Die Initiative kulturelle Integration geht auf eine Anregung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, des Bundesministeriums des Innern und des Deutschen Kulturrates zurück. Zimmermann ist ferner im Beirat für die Green Culture Anlaufstelle der Staatsministerin für Kultur und Medien. Foto: Wikipedia
  • Kultur ist nicht selbstverständlich

    Foto: KE 174

    Dass Kultur keineswegs selbstverständlich ist, mussten wir in Deutschland schmerzhaft während der Coronapandemie erleben. Von einem Tag auf den anderen mussten die Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen schließen. Keine Theateraufführung, kein Museumsbesuch, keine Kinovorstellung, keine Ausleihe in der Bibliothek, kein gemeinsames Musizieren im Chor oder Orchester – nichts. Nichts war möglich, Öffnung ungewiss. Die erste Schließung aus Infektionsschutzgründen, die Mitte März 2020 erfolgte, war temporär, nach relativ kurzer Zeit konnten unter Auflagen Museen wieder öffnen und danach andere Kulturorte. Doch sehr schnell folgten im Herbst 2020 weitere Schließungen, die weit bis in das Frühjahr 2021 hineinreichten, im Sommer 2021 Öffnungen und im Herbst wieder Schließungen, dann endlich ab dem Frühsommer 2022 die sukzessive Aufhebung der Schließungen und die Möglichkeit unter Einhaltung strikter Schutzmaßnahmen Kulturorte wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. 
    Die pandemiebedingten Schließungen waren ein bislang einmaliger Eingriff in den Kultursektor. Sie haben schmerzlich bewusst gemacht, welch wichtigen Beitrag der Kulturbereich zum Zusammenhalt in der Gesellschaft leistet. Kunst und Kultur machen das Leben lebenswert, Kulturorte sind Debattenorte, Orte der demokratischen Auseinandersetzung und der gesellschaftlichen Verständigung. Sie sind wesentliche Erlebnis- und Bildungsorte, die kulturelle Bildung für alle Alters- und alle Bevölkerungsgruppen bereitstellen. Kultureinrichtungen und Kulturunternehmen sind ein wesentlicher Teil lokaler Bildungslandschaften, sie kooperieren systematisch mit Schulen und Kindertagesstätten und sie vereinen Angebote informellen Lernens, Spaß und Unterhaltung. Emotionen wie Lachen, Weinen, Freude finden hier ihren Platz. Kunst kann dabei helfen, Einschnitte wie beispielsweise die Corona-Pandemie emotional zu verarbeiten.
    Das Live-Erleben von Kunst und Kultur – unabhängig von der künstlerischen Ausdrucksform – ist durch kein digitales Angebot ersetzbar. Das trifft ebenso für Kulturorte als Begegnungsorte zu. Der Lockdown zeigte, wie sehr Menschen einander und die Gemeinschaft brauchen. Kunst und Kultur stehen für diese Gemeinschaft. Kunst und Kultur sind essenziell für lebenswerte Kommunen und für die Werte, die unsere Gesellschaft bestimmen.

  • Zusammenhalt macht stark

    Wesentlich für die Existenz und die Weiterentwicklung des Kultursektors während der Pandemie waren in Deutschland die spezifischen Unterstützungsprogramme von Bund, Ländern und teils auch Kommunen. Neben der finanziellen Unterstützung wurde damit auch das Signal ausgesendet, dass Kunst und Kultur für die Gesellschaft unverzichtbar sind. Dies war für diesen Sektor ökonomisch und für das breite Verständnis über die Rolle der Kultur sehr wichtig.
    Eine besondere Rolle mit Blick auf das Volumen von 2 Milliarden Euro über drei Jahre und die dezentrale Vergabe spielte das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgelegte Programm NEUSTART KULTUR. Dieses Programm sollte dazu dienen, im gemeinnützigen und privatwirtschaftlichen Kulturbereich die Auswirkungen der Pandemie abzufedern und ihn für die Zukunft zu stärken.
    Diese Programme wurden aber erst dadurch möglich, dass Kulturverbände sich dafür stark gemacht haben, dass sie gemeinsam ihre Stimme erhoben und deutlich gemacht haben, wie unverzichtbar Kultur ist und dass für die Weiterexistenz die öffentliche Unterstützung unerlässlich ist. Ohne dieses gemeinsame Auftreten des Kultursektors und eine starke Stimme mit dem Deutschen Kulturrat wäre die Kultur vermutlich leer ausgegangen. Nur die Lobbyarbeit hat es schließlich möglich gemacht, dass die Politik die Förderprogramme auf den Weg gebracht hat.

  • Kompromisse sind wertvoll

    Foto: eSel

    Dabei darf im Kultursektor auch nicht außer Acht gelassen, dass es durchaus interne Konflikte gibt. Die Interessen von Künstlerinnen und Künstler als Arbeitnehmer oder Auftragnehmer unterscheiden sich durchaus von denen der Kultureinrichtungen oder Kulturunternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber bzw. Auftraggeber. Die einen wollen möglichst viel Kunst und Kultur – auch digital – kostenfrei oder zumindest kostengünstig zur Verfügung stellen, die anderen verdienen mit der Vermarktung künstlerischer Leistungen ihr Geld. 
    Wie in der Politik ist auch in Kulturorganisationen und Verbänden der Streit oder sagen wir als Stufe darunter die Auseinandersetzung unverzichtbar. Politische Parteien unterscheiden sich durch unterschiedliche Vorstellungen darüber, was der beste Weg für das Land oder auch die Kommune ist. Das Ringen um diesen besten Weg, die Auseinandersetzung – auch streitlustig – um diesen Weg ist in demokratischen Gesellschaften unverzichtbar. Verbände und andere Zusammenschlüsse haben eine wichtige Funktion in diesem Streit um den besten Weg. Sie bringen die Anliegen und Interessen ihrer Mitglieder ein. Sie liefern Beispiele und Hintergrundmaterial für Debatten und sie können ihrerseits politische Entscheidungen in ihre Mitgliedschaft zurückspiegeln, für Entscheidungen werben oder aber sie mit Argumenten mit einer Stimme zurückweisen. In diesem Meinungsstreit unterscheiden sich Demokratien von Diktaturen oder auch illiberalen Demokratien.
    In Diktaturen und illiberalen Demokratien werden abweichende Meinungen unterdrückt, sie dürfen nicht publiziert oder gesendet werden, sie werden von den Bühnen und Leinwänden verbannt, sie werden nicht gedruckt oder zumindest nicht öffentlich zugänglich gemacht.
    Liberale, freiheitliche Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie den Meinungsstreit aushalten, dass das Ringen um den besten Weg sie konstituiert, dass auch abweichende Meinungen, solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen, ausgehalten werden müssen. Letzteres kann schwer sein, bis zur Grenze des Erträglichen reichen, aber solange rechtsstaatliche Prinzipien, zu denen beispielsweise die Achtung der Menschenwürde gehört, eingehalten werden, müssen sie ertragen werden bzw. müssen sie sich dem Meinungsstreit stellen. Dazu gehört auch, sich gegen Meinungen zur Wehr zu setzen bzw. zu demonstrieren.

    Am Anfang steht sehr oft der Streit. Nicht der Streit um richtig oder falsch, sondern der Streit um Interessenlagen.

    Wo sind nun die Grenzen des Meinungsstreits? Sie finden sich im Grundgesetz. Verletzungen der Menschenwürde sind nicht durch Meinungsstreit oder auch Meinungsfreiheit gedeckt, Jugendschutzbestimmungen grenzen ein, Antisemitismus und Holocaustleugnung sind, davon bin ich fest überzeugt, keine Meinung. Sie gehören nicht zum Meinungsstreit, ihnen muss entschieden entgegengetreten werden.
    Auch im Deutschen Kulturrat, als Spitzenverband der Bundeskulturverbände, gibt es immer wieder Streit. Seine 285 Mitgliedsverbände bilden eine große Bandbreite an Meinungen, Positionen und Interessen ab. Aus diesen teils sehr widerstreitenden Meinungen einen Kompromiss zu erarbeiten, ist meine Kernaufgabe als Geschäftsführer des Verbandes.
    Am Anfang steht sehr oft der Streit. Nicht der Streit um richtig oder falsch, sondern der Streit um Interessenlagen. In der zweiten Phase geht es darum, die jeweils andere Position zu verstehen, die Hintergründe zu erkennen, teils auch die dahinterstehenden Zwänge, seien sie ökonomischer oder anderer Art zu begreifen. Und schließlich kommt die Königsdisziplin: einen Kompromiss zu formulieren, einen Kompromiss, der die verschiedenen Interessen oder auch Schmerzgrenzen respektiert, einen Kompromiss, der aus der Vielzahl an Meinungen und Positionen etwas Drittes, Gemeinsames herausarbeitet.

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    Sehr oft bildet für einen solchen Kompromiss ein Streit, gerne auch pointiert, die Voraussetzung. Je klarer die Positionen formuliert werden, desto einfacher kann abgeschätzt werden, wo Kompromisslinien gefunden werden können. Eine weitere unverzichtbare Voraussetzung für einen Kompromiss ist die Bereitschaft, sich überhaupt auf einen Kompromiss einzulassen. Verhandlungsbereitschaft. Bereitschaft, die Interessen der anderen Partei anzuerkennen.
    Ein ausgehandelter Kompromiss, der diese Voraussetzungen berücksichtigt, ist tragfähig und kann gegenüber Politik und Verwaltung vertreten werden. Er ist eben kein »fauler« Kompromiss, sondern das Ergebnis einer ernsthaften Auseinandersetzung um den besten Weg. Streit und Kompromiss gehören zwingend zusammen. Ohne Streit kein Ringen um die beste Lösung. Und ohne dieses Ringen keine beste Lösung, die alle das Gesicht wahren lässt, der Kompromiss.
    Lobbyarbeit für die Kultur kann meines Erachtens nur gelingen, wenn das Bewusstsein für die unterschiedlichen Interessen vorhanden ist, auf Kompromisse hingearbeitet wird und diese Kompromisse dann als gemeinsame Haltung formuliert und vertreten werden. Wenn dieses der Fall ist, kann es gelingen, große Förderprogramm durchzusetzen, die wirtschaftliche und soziale Lage im Kulturbereich zu verbessern oder auch andere für den gesamten Kultursektor positive Maßnahmen durchzusetzen. Eine solche Lobbyarbeit hat stets das Gemeinwohl im Blick und unterscheidet sich damit von der Lobbyarbeit anderer Interessensvertreter.