Cronaca | Zwangsversteigerung

Bozner Premiere

Zum ersten Mal hat in Südtirol ein Richter die sogenannte „legge salva-suicidi“ angewandt und die Versteigerung eines Hauses verschoben.

Das Urteil ist ein Meilenstein in der Südtiroler Justizgeschichte. Thomas Weissteiner, Richter in der 1. Zivilabteilung des Landesgerichtes Bozen, hat am 29. Jänner 2016 eine durchaus mutige Entscheidung getroffen.
Weissteiner hat vier Tage vor der Versteigerung einer Immobilie die Handbremse gezogen und per Richterspruch eine Immobiliarvollstreckung vorerst abgesagt. Es ist eineArt Rettung für den Betroffen in letzter Sekunde.
Das Novum dabei: Weissteiner begründet sein Urteil mit einem Gesetz, das man bisher in Italien kaum und in Südtirol noch nie angewandt hat.

Das Gesetz

Spätestens 2009 wird auch Italien von der weltweiten Finanzkrise erfasst. Es kommt zu einer Welle von Konkursen von Kleinunternehmern und Überschuldungen von Privatpersonen. Buchstäblich über Nacht verlieren Tausende alles was sie besitzen. Immer wieder kommt es dabei auch zu spektakulären Selbstmorden von Betroffenen.
Die Politik muss und will darauf reagieren. Anfang Jänner 2012 verabschiedet das Parlament das Gesetz 3/2012, das die Bezeichnung „legge salva-suicidi“ erhält. Obwohl das Gesetz damit seit über vier Jahren in Kraft ist, wurde es von Beginn an, bewusst totgeschwiegen und kaum angewandt. Der Hauptgrund: Diese neue gesetzliche Regelung ist vor allem den großen Banken und Investitionsfirmen ein Dorn im Auge.

Die Überschuldung

Der Kern des Gesetz 3/2012 ist die Möglichkeit, dass eine Privatperson, die sich in schwerwiegenden finanziellen Schwierigkeiten befindet, mit den Banken, Lieferanten und sogar mit Equitalia die Ausstände neu verhandeln kann. Es ist eine Art privates Ausgleichsverfahren mit dem vermieden werden soll, dass ein Mensch oder eine Familie ihr Haus und ihr gesamtes Hab und Gut verlieren.
In Artikel 6 des Gesetzes wird der Begriff der Überschuldung (sovraindebitamento) genau definiert:

„Per sovraindebitamento si intende una situazione di perdurante squilibrio tra le obbligazioni assunte e il patrimonio prontamente liquidabile per farvi fronte, nonchè la definitiva incapacità del debitore di adempiere regolarmente le proprie obbligazioni.“

In Italien gibt es nicht wie – etwa in Österreich – die Möglichkeit eines Privatkonkurses. Mit diesem Gesetz aber kann sich der Betroffene eines Vollstreckungsverfahrens an das Gericht um Unterstützung wenden. Das Gericht ernennt einen Fachmann, der dem Privaten bei den Verhandlungen mit den Banken und Gläubigern zur Seite steht. Der Bilanzfachmann analysiert den Schulden- und Besitzstand und erarbeitet einen Tilgungsplan (piano di rientro). Dabei ist von vornherein klar, dass nicht alle Schulden abgedeckt werden können, sondern das, was der Betroffene realistisch zurückzahlen kann. Sind mindestens 60 Prozent der Gläubiger mit diesem Vorschlag einverstanden, wird er per Gerichtsbeschluss umgesetzt.
So soll etwa ein Hausbesitzer, der seinen Kredit nicht mehr laut Vertrag zurückzahlen kann, sein Haus wenigstens vor der Zwangsversteigerung retten können.

Der Bozner Fall

Um einen solchen Fall geht es auch im Verfahren 408/2006 vor dem Bozner Landesgericht. Die Versteigerung der Immobilie war bereits für den 2. Februar 2016 um 9.15 Uhr festgelegt. Über seinen Anwalt hat der Betroffene aber Rekurs eingelegt und die Anwendung des Gesetzes 3/2012 eingefordert.

"Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetztdann haben viele Menschen endlich eine Chance aus dem Strudel des finanziellen Ruins wieder herauszukommen.

Vier Tage vor der Versteigerung hat Richter Thomas Weissteiner diesen Rekurs angenommen und die Aussetzung der Versteigerung dekretiert. Laut Gesetz vorerst für 120 Tage. Gleichzeitig wurde die von Gesetz 3/2012 vorgesehene Prozedur der Erstellung eines Tilgungsplanes eingeleitet. Zum ersten Mal in Südtirol.
Wenn sich diese Rechtsauffassung durchsetzt“, sagt ein Anwalt euphorisch, „dann haben viele Menschen endlich eine Chance aus dem Strudel des finanziellen Ruins wieder herauszukommen“.
Man wird sehen, ob dieses Urteil Schule macht.

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gorgias Mer, 03/30/2016 - 07:39

Finde die Sache im Prinzip gut, auch die Privatinsolvenz. Die Frage die, ich mir aber stelle ist wie sich das auf die Bonitätseinstufung bei Hypotheksdarlehen auswirken wird.

Mer, 03/30/2016 - 07:39 Collegamento permanente