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Heimlich in Mailand

Das Artist in Residence-Programm Eau&Gaz erkundet einen neuen Standort und ist zu Gast im FuturDome in Mailand. Eröffnung ist am Montag 1. April.
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Foto: Eau&Gaz

Zum fünfjährigen Jubiläum findet die Residenz Eau&Gaz sowohl im bekannten Kulturzentrum des Lanserhauses in Eppan, als auch in den Räumlichkeiten des FuturDomes in Mailand statt. Das 1913 entstandene Gebäude, in den vierziger Jahren von den letzten Futuristen bewohnt, war schon damals ein Ort, an dem über neue ästhetische Strömungen debattiert wurde. Der vor den letzten Handgriffen stillgelegte Renovierungsprozess spiegelt diese antizipatorische Stimmung auf eigentümliche Weise wider. Den Aufenthalt Eau&Gaz als Gelegenheit verstehen, die eigenen Prämissen des Zusammenlebens zu beleuchten. Untersucht werden Mechanismen von Vertreibung und Ausgrenzung, indem der Heimatort aus der Ferne betrachtet wird.

Mit Blick auf die historische Annexion Südtirols an Italien (es ist kein Zufall, dass Freud seinen Essay im Jahr des Versailler Vertrages schreibt), wird deutlich, wie schnell sich das eigene Heim in etwas Befremdliches und das Fremde in ein Zuhause verwandeln kann.

Sigmund Freud beschrieb das Unheimliche als etwas zugleich Vertrautes und Unbekanntes. In dieser beunruhigenden Ambiguität, ein Schlupfwinkel zwischen Wachsein und Traum, lässt das Unheimliche verschiedene, nebeneinander bestehende Bedeutungsebenen zu. Die Ausstellung The Uncanny Valley hebt die topografische Dimension des Freudschen Unheimlichen hervor, wobei das Private des Innenraums in Bezug gesetzt wird zu allgemeineren Reflexionen über soziale und individuelle Entfremdung, Verdrängung, Exil und Unterdrückung.  Die Zusammenstellung der Künstler und Künstlerinnen basiert auf einer Auswahl ehemaliger und aktueller Teilnehmer des Programms sowie mehrerer Südtiroler Positionen. Nach einem zeitweiligen Aufenthalt in Mailand wird Eau&Gaz in die Alpen zurückkehren, um dort seine jährliche Ausstellung im Lanserhaus in Eppan stattfinden zu lassen. 

The Uncanny Valley  
„Wir nennen das unheimlich, Sie nennenʼs heimlich.“ Karl Ferdinand Gutzkow 

Kommt man in den Innenhof des FuturDomes an, erscheint einem das Mini Capsule Hotel von Atelier Van Lieshout. Sein Inneres ist nicht viel größer als ein Doppelbett und lediglich mit dem Wesentlichen ausgestattet: Matratze, Bettwäsche, Decken, eine Nachttischlampe sowie eine Steckdose. In dieser winzigen Schlafkabine werden Begriffe des Wohnens, des Verweilens und des Ruhens neu definiert. Obwohl sie von Wohnräumen umgeben ist, wirkt sie seltsam fehl am Platz, und lädt zum gemütlichen Verweilen in ihrer Zelle ein. Indem sie eine Abschirmung vor der Öffentlichkeit bietet, schafft das Haus eine Zuflucht, einen sicheren und gemütlichen Raum. Das Wort heimlich wird zunächst als einer Haus- oder Familiengemeinschaft zugehörig definiert und ist damit eng mit der Häuslichkeit oder dem Zuhause verknüpft.

Neben Assoziationen des Vertrauten und Angenehmen bedeutet heimlich zugleich das Verborgene, das außer Sichtweite befindliche. Etymologisch gesehen haftet dem englischen canny eine ähnliche Mehrdeutigkeit an. Bedeutet das Wort in erster Linie klug oder besonnen, so konnte damit zugleich Gemütlichkeit, aber auch das Okkulte oder mit magischen Kräften ausgestattete bezeichnet werden. Beiden Begriffen, canny und heimlich, scheinen zwei gegensätzliche Auffassungen inne zu wohnen. Unter Berücksichtigung ihrer facettenreichen Bedeutungen allerdings meint ihr Gegenteil – das Unheimliche – weder  einen Widerspruch, noch eine Dichotomie zwischen Heimat und Fremde.

Stattdessen markiert es die Möglichkeit, das Reale mit dem Unwirklichen, das Imaginäre mit dem Gewöhnlichen zu verschmelzen – eine umgekehrte Vertrautheit, die in der Fremdheit zu Hause ist und anders herum. Das vor dem aufgeklärten Subjekt vorherrschende magische Denken und seine mystischen Überreste sind nicht, wie herkömmlich angenommen, veraltet und überwunden. Sigmund Freud zufolge wird das Unheimliche lediglich unterdrückt. Mit dem Präfix un reiht sich das Phänomen des Unheimlichen neben dem Unbewussten ein. Beides zeichnet sich dadurch aus, dass eine klare Trennung zwischen ihren Gegensatzpaaren fehlt, die sich stattdessen gegenseitig durchkreuzen. In dieser Unsicherheit, ein Interim zwischen Wachsein und Träumen, stehen wir einer klaren Unterscheidung gegenüber.

Es kommt zu einer Überschneidung der Perspektiven, der Bewusstseinsmodi: Das Tote ist wieder lebendig geworden, das Vergangene wird gegenwärtig, was fehlte, ist wieder an seinem Platz; das Unvorhersehbare geschieht.  The Uncanny Valley ist allgemein auch bekannt als ein Phänomen, das einen Bruch der Empathie kennzeichnet, sobald eine künstlich erschaffene Figur einen Grad an Menschenähnlichkeit überschreitet. Innerhalb dieses Tals des uncanny lauern das Unheimliche und das Unbekannte. 

Hartnäckige Widersprüche, Missverständnisse und Vorurteile, die sich aus kulturellen Unterschieden und dem Wissen über das Andere ergeben, bilden zugleich die Voraussetzung für ein Zusammenleben ohne Angst. Mit Blick auf die historische Annexion Südtirols an Italien (es ist kein Zufall, dass Freud seinen Essay im Jahr des Versailler Vertrages schreibt), wird deutlich, wie schnell sich das eigene Heim in etwas Befremdliches und das Fremde in ein Zuhause verwandeln kann. Die Ausstellungsbesucher- und besucherinnen werden mit Szenen der Entfremdung und der Vertreibung konfrontiert, wobei das Verdrängte stets als Spuk zurückkehrt,  um Vertrautes heimzusuchen.

Die Wohnungen des Futur Domes in seinem Zustand der stillgelegten Renovierung unterstreichen das Gefühl, im eigenen Haus nicht ganz zu Hause zu sein. Es ist die fundamentale Eigenschaft des Vertrauten, sich gegen seinen Besitzer zu wenden, und plötzlich verfremdet, surreal zu werden; wie im Traum.